© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/17 / 21. Juli 2017

Linke Gewalt – was dagegen tun?
Sie fühlen sich sicher
Werner J. Patzelt

Naiv oder verblendet muß sein, wen die „Krawalle“ um das Hamburger G20-Treffen überrascht haben. Erstens waren sie angekündigt. Wenn aber zu „Welcome to Hell“ eingeladen wird, muß sich über Höllenartiges anschließend keiner wundern. Zweitens stehen die Hamburger Gewalttaten ganz  in der Tradition von Straßenschlachtszenen in Frankfurt (EZB-Eröffnung), Berlin („Kreuzberger Nächte“) und in vielen anderen Städten. Überall gingen – und gehen weiterhin – schwarz verkleidete Leute ihrer Lust auf Brandstiftung, ihrem Spaß an Zerstörungen und ihrer Freude am Verletzen von Polizisten nach. Deren Entmenschlichung zu „Bullen“, auf die „natürlich auch geschossen“ werden darf, läßt sich bis zu jener Kulturrevolution von 1968 zurückverfolgen, in deren Tradition ein Großteil der heutigen Sympathisanten solch politisch eingekleideter Straßenkriminalität steht.

Ohnehin hat es den Anschein, als träten die „Stadtguerilleros“ vom Schwarzen Block vor allem deshalb so unverschämt auf, weil sie sich getragen, geschützt und – solange sie es nicht allzu übel treiben – auch gerechtfertigt wissen vom breiten, stolz-linken „Juste milieu“ unserer Republik. In dessen Kreisen betont man wortreich die edlen Ziele, derentwegen junge und jung gebliebene Idealisten auf die Straße gingen. Ihnen stellt man real Unmenschliches am Kapitalismus, Imperialismus oder Neoliberalismus gegenüber. Anschließend erklärt man zum wirklichen Verursacher von Gewalt jene wahlweise dummen, aggressiven oder ohnehin faschistoiden Polizisten, die den Idealisten böswillig in die Quere kommen.

Was aber war tatsächlich in Hamburg der Fall? Niemand hat dort versucht, friedliches Demonstrieren oder gewaltfreies Protestieren zu unterbinden. Derlei ist ganz in Ordnung, ja gehört zu einer lebendigen, pluralistischen Demokratie. Solche friedlichen Demonstrationen fanden in Hamburg auch statt, und das war gut so. Doch so manche Protestaktion wurde von Raufbolden gekapert und endete fürs erste im Versuch der Polizei, friedfertige von nicht ebenso friedfertigen Demonstranten zu trennen.

Am Ende prägte das Bild, daß solche Leute, die sich als Linke verstehen und denen gegenüber sich andere Linke mit dem Ziehen von Trennstrichen schwertun, wieder einmal eine politische Großveranstaltung nicht nur zum Anlaß für friedlichen Protest genommen haben. Vielmehr nutzte eine ins Gewicht fallende Zahl von Leuten ihr Recht auf Protest dafür, sich um Recht und Gesetz überhaupt nicht zu scheren. Das reichte von der identitätsverhüllenden Uniformierung in Schwarz über die Selbstversorgung mit Pflastersteinen, Wurfflaschen oder Zwillen bis zur körperlichen Gewalt gegen Polizisten, zum Abfackeln fremder Autos, zur Plünderung  von Geschäften.

Im Grunde ermächtigte man sich zu einem gewaltlüsternen „Räuber-und-Gendarm-Spiel“ auf möglichst viel öffentliche Sichtbarkeit versprechenden Schauplätzen. Von der Polizei wünschte man sich rollenangemessenes Mitmachen, also vorheriges Auftrumpfen und anschließendes Kneifen, eine Mischung aus halbherzigen Angriffen und beschämtem Zurückweichen. Wütend machten deshalb Versuche der Polizei, ein solches Spiel schlicht zu unterbinden: vorab durch Auflagen und Aufrüstung, dann durch Verhandeln und Absprachen, am Ende durch Anwendung wirksamer Zwangsmittel. Die eigene Gewalttätigkeit scheint nicht wenigen Linken zwar peinlich zu sein – doch vor allem deshalb, weil derlei Gewalt sich auch „im eigenen Stadtviertel“ austobte und das Eigentum „kleiner Leute“ schädigte, statt in den Wohngegenden der Kapitalisten „die Richtigen“ zu treffen.

Also geht es hier um Distanzierung von falsch angewendeter Gewalt, nicht von Gewalt an sich. Weil aber politische Gewalttätigkeit sich nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verträgt, ja bei den „Hamburger Krawallen“ sich unverkennbar genau gegen deren Spielregeln richtete, läßt sich klar feststellen: Es war ein von Linken an den Tag gelegter Extremismus, der in Hamburg seine häßliche Fratze zeigte. „Antifaschistisch“ war am Verhalten der Hamburger Linksextremen überhaupt nichts. Und der eine oder andere wird die Leute vom Schwarzen Block wohl mit einstigen braunen Sturmabteilungen verglichen haben.

Am besten versteht man das Geschehene anhand der Empfindungslagen und inneren Motive derer, die in Hamburg nicht nur friedlich, sondern auch gewalttätig protestiert haben. Schon auf den ersten Blick nimmt man Wut über Dinge und Machtverhältnisse wahr, die anders sind, als man sie sich wünschte. Auf den zweiten Blick erkennt man Rechthaberei in der Sache, die auch symbolisch siegen will. Das verbindet sich oft mit moralischer Überheblichkeit, ja mit Arroganz: Wir sind nicht nur klüger als jene, die wir kritisieren, sondern wir stehen obendrein auf der richtigen Seite; und deshalb dürfen wir hier und jetzt alles das tun, was unserer Sache zu dienen scheint!

Auf den dritten Blick zeigt sich dann Lust auf praktizierte Gewalt gegenüber Gegnern, ja Selbstberauschung an plötzlicher Augenblicksmacht, und beides im Verein mit sentimentalem Reden über das eigene Tun und Empfinden. Man sieht auch Fühllosigkeit gegenüber geschädigten Anderen, gepaart mit Weinerlichkeit ob selbst erlittener Schäden. Und man stößt auf riesige politische Unbedarftheit, die sich aber besonders klug vorkommt und gegen mögliche Herausforderungen durch ohrenbetäubende eigene Lautstärke panzert. Am Ende läuft vieles hinaus auf martialisch maskierte Ichschwäche, auf persönliche Unreife, auf fehlende Fähigkeit zum blick-

erweiternden Perspektivenwechsel.

Wie erklärt sich das alles? Da ist die faktische Folgenlosigkeit solcher Gewalttätigkeit. Vermummung schützt wirkungsvoll gegen jene Identifizierung, welche die Voraussetzung eines Strafverfahrens ist. Gegen vielleicht doch noch vorgebrachte Anzeigen schützt sodann, daß auch zuordenbare Taten von den zuständigen Justizbehörden oft genug als für eine weitergehende Verfolgung zuwenig ins Gewicht fallend einschätzt werden. Und vor empfindlichen Strafen für am Ende nachgewiesene Vergehen schützt meist unser maßvolles Strafrecht in Verbindung mit milden Richtern.

Vor allem aber gilt in Deutschland die von Linken ausgehende Gewalt als letztlich entschuldbar, weil sie als „Nothilfe für die Schwachen“ zu verstehen wäre oder „eigentlich“ auf einen guten Zweck ausgerichtet sei. Der reicht dann von der „Kritik am Kapitalismus“ bis zum notwendigen „Kampf gegen Rechts“. Die politische Grundgleichung unseres Landes lautet nun einmal seit Jahrzehnten: Links ist gut, rechts ist schlecht. Inzwischen wird diese Gleichung oft noch durch die Behauptung ergänzt, gewalttätig und links zu sein wäre ein Widerspruch, weshalb linke Gewalttäter im Grunde gar keine Linken wären. Dennoch auf angeblich linke Gewalt hinzuweisen, lenke leichtfertig davon ab, woher wirklich Gefahr drohe: nämlich von rechts. Auf diese Weise schließen viele messerscharf, daß nicht sei kann, was nicht sein darf.

Eine Probe aufs Exempel kann man durch das Gedankenspiel machen, in Hamburgs Schanzenviertel hätten Pegida-Anhänger oder AfD-Sympathisanten genau das getan, was tatsächlich durch Linke geschah. Wäre da nicht längst bundesweit zu Gegendemonstrationen und Lichterketten aufgerufen worden? Oder man frage sich, wie lange statt Hamburgs „Roter Flora“ wohl eine „Braune Flora“ Bestand gehabt hätte, ja als wertvolle Errungenschaft staatsbefreiter Selbstbestimmung verteidigt worden wäre. Und hat man je die Forderung gehört, Demonstranten sollten Kundgebungen eilends verlassen, wenn bei ihnen Linksextreme auftauchten, weil sie andernfalls sich zuschreiben lassen müßten, selbst Linksextremisten zu sein oder mit diesen zu sympathisieren?

Unterm Strich ist schon sehr zu bezweifeln, es werde – wie von einer SPD-Spitzenpolitikerin behauptet – linke Gewalttätigkeit einfach nur „aufgebauscht“. Eher scheint es so zu sein, daß immer noch von einem nennenswerten Teil der Öffentlichkeit die von linken Gewalttätern und deren Sympathisanten ausgehende Gefahr unterschätzt wird. Wer sich solcher Verharmlosung hingegeben hat, der mag „nach Hamburg“ wirklich schockiert sein. Und vielleicht begreift er dann allmählich, daß es für unsere Zivilgesellschaft an der Zeit ist, sich gegen Dummdreistigkeit und Gewalt von links ebenso zu wehren wie gegen Dummdreistigkeit und Gewalt von rechts.

Im übrigen scheint bei vielen gewaltbereiten Demonstranten schlicht die Erziehung unzulänglich gewesen zu sein. So wie der terrorisierende „Schwarze Block“ führen sich gesittete Leute einfach nicht auf. Wer halbwegs das besitzt, was man früher „Herzensbildung“ nannte, der versucht nicht, andere durch sein Auftreten einzuschüchtern, wirft nach anderen nicht mit Steinen, zündet keine Fahrzeuge an, plündert keine Geschäfte. So verhält man sich nur unter den Bedingungen des Faustrechts im Bürgerkrieg, nicht aber in einer zivilisierten Gesellschaft. Doch anscheinend schaffen wir es nicht, die ihr angemessenen Verhaltensweisen verläßlich genug weiterzugeben.

Wir sollten also hinterfragen, ob in unserem Erziehungswesen wirklich alles auf einem guten Weg ist. Und in die nötige gesamtgesellschaftliche Selbstkritik sollten wir einbeziehen, daß auch jene Gaffer, Hobbyfilmer und Gewaltvoyeure üble Gewächse unserer Spaß- und Eventkultur sind, welche die Kämpfe zwischen Randalierern und Polizei mit jenem schauderdurchsetzten Amüsement betrachtet haben wie die alten Römer einst ihre Tierhatzen und Gladiatorenkämpfe.

Was tun? Natürlich muß man weiterhin auf Demonstranten hören, ihre Sorgen und Ängste zur Kenntnis nehmen, dabei das Vernünftige vom Irrationalen, das Begründete vom rein Phobischen unterscheiden. Dort, wo linke Protestierende sachlich recht haben, muß man auf Veränderungen der kritisierten Politik ausgehen – und zwar auch dann, wenn Richtiges in falschen Worten ausgedrückt oder von unrechten Handlungen begleitet wurde. Den bloß eingebildeten Befürchtungen muß man hingegen argumentativ den Weg verstellen und darf dabei nicht den „kommunikativen Nahkampf“ mit empörten Demonstranten oder deren Sympathisanten aus Politiker- und Akademikerkreisen scheuen.

Wo über Protestbekundungen hinaus Gewalt angedroht wird, dort muß die Zivilgesellschaft ihre Ablehnung aller Gewalt unmißverständlich ausdrücken und die Polizei bei gewaltpräventivem Handeln unterstützen. Werden von Protestwilligen dennoch Gewaltmittel in Stellung gebracht oder angewendet, muß die Polizei wirkungsvoll eingreifen. Dabei gilt zwar das Verhältnismäßigkeitsgebot. Doch es muß jederzeit klar sein, daß sich beim Zusammenstoß zwischen rechtsstaatlich geführter Polizei und gewalttätigen Demonstranten nicht zwei gleichberechtigte Streitparteien gegenüberstehen. Also muß sich stets die – von demokratisch verantwortlichen Politikern geführte – Polizei durchsetzen können.

Gewalttäter müssen häufiger als bislang identifiziert und verläßlicher einer solchen Bestrafung zugeführt werden, die auch abschreckt. Falls dafür Gesetze zu ändern sind, möge das geschehen. Und die Richter sollten immer wieder überprüfen, ob ihre Urteile eine dem Gemeinwohl verträgliche Balance halten zwischen einerseits der Resozialisierung eines Angeklagten und andererseits dem Interesse unseres Gemeinwesens daran, das errungene zivilisatorische Niveau zu halten.

Außerdem müssen wir auf Wege sinnen, zu besserer politischer Persönlichkeitsbildung zu gelangen. Es gilt hinzuwirken auf mehr Einfühlungsvermögen in die Sicht- und Denkweisen anderer, auf mehr Mitgefühl mit politischen Gegnern, die in einer freiheitlichen Demokratie ja gerade nicht den Status eines Feindes haben, und auf mehr Bereitschaft, Klarheit in der Sache mit Verbindlichkeit im Tonfall zu paaren. Die alten Römer hatten dafür den Merksatz, man solle sanft auftreten, doch seine Anliegen kraftvoll verfolgen. Wir aber neigen dazu, uns zunächst einmal rhetorisch und symbolisch aufzuplustern, anschließend aber opportunistisch zu handeln. Es wird Zeit, diesen Fehler abzustellen.






Prof. Dr. Werner J. Patzelt, Jahrgang 1953, lehrt Politikwissenschaft an der Technischen Universität Dresden und ist Mitglied im Kuratorium der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung. Auf dem Forum schrieb er zuletzt der AfD eine Warnung vor Extremismus ins Stammbuch („Den Volkswillen veredeln“, JF 13/17).

Foto: Black Block members walk along other protesters during demonstrations at the G20 summit in Hamburg, Germany, July 8, 2017