© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/17 / 21. Juli 2017

„Meine Mama“
Kinder für alle: Auszug aus dem neuen Buch „Muttertier“ der Bestsellerautorin Birgit Kelle
Birgit Kelle

Preisfrage: Wer ist die Mutter, wenn ein Kind durch eine Samenspende und eine Eizellspende im Reagenzglas gezeugt, anschließend von einer indischen Leihmutter ausgetragen und danach von zwei amerikanischen Lesben adoptiert wird? Im globalen Kontext bereits heute ein absolut legales Vorgehen. 

Nun hatten die Väter dieser Welt schon immer ein kleines Unsicherheitsproblem, ob das Kind denn nun tatsächlich „ihres“ ist, aber zumindest galt die letzten Jahrtausende der alte lateinische Grundsatz: mater semper certa est – die Mutter ist immer sicher. Dank der Möglichkeiten moderner Reproduktionsmedizin wird diese Lebensweisheit allerdings gerade auf den Müllhaufen der Geschichte entsorgt. 

Im Beispiel oben sind bereits vier potentielle Mütter beteiligt, die Anspruch auf das Kind erheben könnten. Wer bekommt den Strauß zum Muttertag? Bertolt Brechts „Augsburger Kreidekreis“ muß erweitert werden, denn es rangeln noch mehr Mütter um ihn herum. Wem gehört dieses Kind? 

Der Eizellspenderin? Es ist ja nun zweifelsfrei und nachweislich ihr Genmaterial, das hier fortgepflanzt wird. Das Kind stammt von ihr ab. Blutslinie. Oder doch der Leihmutter? Dieser leibhaftige Brutkasten, in dessen Bauch das Kind doch erst lebensfähig wurde und aus deren Körper dieses Kind geboren wurde. Ohne Brutkasten kein Kind. 

Oder doch lieber den beiden sexuell vielfältigen, aber fruchtlosen Adoptionsdamen, schließlich haben sie einen Vertrag in der Hand, der ihnen juristisch die Mutterschaft zusichert. Pacta sunt servanda. Verträge sind einzuhalten. Vertrag ist Vertrag. Auch so ein lateinischer Grundsatz. Und schließlich haben sie doch viel Geld bezahlt, gilt denn das nichts? Für Streber noch die Zusatzfrage: Wenn die lesbischen Damen sich trennen, welche bleibt dann die Mutter? 

Ein Mann, eine Frau, ein Kind? Heute kann man dank medizinischem Fortschritt froh sein, wenn es am Ende des „Produktionsprozesses Kind“ überhaupt noch die Notwendigkeit für eine Frau als Mutter im Konsens bleibt. Seit all die selbsternannten Gender-Experten in ihren Stuhlkreisen beschlossen haben, daß das Mutterdasein ja nichts weiter als nur eine konstruierte Rolle sein soll, ist der muntere Rollentausch Teil des bunten Familien-Happenings geworden. 

Und sagte nicht schon Shakespeare in „As you like it“ (Wie es euch gefällt): „All the world’s a stage, and all the men and women merely players“? Das ganze Leben ist nur ein großes Schauspiel.

Man müßte an den Türen der Gender-Seminare „Keine Sorge, die wollen nur spielen“-Schilder anbringen. Denn da werden munter Rollen getauscht und auch dort bis zur Unkenntlichkeit des Spiels Mütter und Väter gefunden, wo vorher gar keine waren. Doch leider ist das kein Spiel, sondern bitterer Ernst.

Es ist ein Krieg entbrannt gegen die Mutterschaft, und die Mittel sind perfide geworden. Die ersten Opfer sind jedoch dieselben wie bei allen Kriegen: Frauen und Kinder. Mutterschaft? Nur noch eine Frage der Selbstdefinition. Wer sagt denn, daß unbedingt die Gebärende anschließend die Mutter sein soll? Kann sie nicht auch die Vaterrolle einnehmen und der Mann die Mutterrolle? Wir wollen ja schließlich auch keinem Mann den Zugang zu seiner Weiblichkeit verwehren, er leidet doch schon genug darunter, daß in seinem Bauch partout kein Baby wachsen will.

Gebär-Neid ist ja auch eine ganz traurige Geschichte. Längst sind die passenden Kinderbücher dazu auf dem Markt, die es mit freundlicher Unterstützung so mancher berufstoleranten Landesregierungen bereits auf Empfehlungslisten für Kindergarten-Bildung geschafft haben. In manchen geht es ganz ohne Mami. Wie etwa in dem Buch darüber, „wie Lotta geboren wurde“. Nämlich in der „Babyhöhle“ ihres Papas.

Papas können nämlich auch Kinder kriegen, so fröhlich absurd werden Fakten für Kinder hier auf den Kopf gestellt. Fake News schon für Zweijährige. Denn sie sollen dringend Transgeschlechtlichkeit kennenlernen, die ganz auf Weiblichkeit verzichten kann.

Und wieso sollte es überhaupt nur eine Mama geben für ein Kind, wenn es doch auch viele geben könnte? Und viele Papas. Co-Parenting nennt sich das dazu erfundene, höchst moderne Familienmodell. In den Niederlanden arbeitet eine emanzipatorisch besonders versierte Regierung bereits daran, hierfür auch eine gültige Rechtsform zu finden.

Bei den Grünen in Deutschland haben wir dafür auch schon seit Jahren ein Konzept in der Schublade, es nennt sich die „soziale Elternschaft“. Bis zu vier Menschen könnten sich dann legal nach diesem Konzept als „Eltern“ eines Kindes eintragen lassen. Wieso eigentlich nur vier? Haben die die Zahl gewürfelt? Vielfalt ist doch unendlich, und die Polygamisten sollten doch nun wirklich nicht weiter diskriminiert werden. 

Analog zum Konzept der „Ehe für alle“ gibt es jetzt auch „Kinder für alle“. 

Das Pippi-Langstrumpf-Prinzip muß ja nicht bei unserer eigenen Geschlechterdefinition haltmachen. Wenn ich mir die Welt schon so mache, wie sie mir gefällt, dann soll doch bitteschön meine Biologie nicht meine potentielle Elternschaft eingrenzen. 

Die Natur ist ja auch so diskriminierend zu den Menschen. Man sollte sie wirklich dringend verbieten. Immer noch fordert sie einen biologisch eindeutigen Mann und eine biologisch eindeutige Frau und auch nur einen Mann und nur eine Frau zur Zeugung eines Kindes und verweigert sich damit allen neuen Erkenntnissen zu „sozialer Elternschaft“. Dabei haben die beim Co-Parenting doch so eine tolle Lösung gefunden. 

Besonders beliebt ist das Modell, bei dem sich zwei Schwule und zwei Lesben zusammentun und mit vereinten Kräften und Genmaterial ein Kind zeugen. Die Beaufsichtigung des Nachwuchses wird anschließend partnerschaftlich vertraglich aufgeteilt. Im Internet existieren bereits Online-Plattformen, wo sich Samenspendenwillige und potentielle Brutkästen zusammenfinden können, um emotionslos Kinder zu zeugen. Beziehungen sind ja auch so anstrengend. Wozu der ganze Streß, man will ja nur ein Kind.

Was hier geschieht, ist nicht mehr und nicht weniger, als einem Kind die Erfahrung zu rauben, in einer ganz normalen Familie groß zu werden. Falls man sie noch so bezeichnen darf. Inzwischen wird man reflexartig schnell am politisch rechten Rand einsortiert, wenn man Vater, Mutter, Kind, also die biologisch einzig mögliche und zudem natürliche Variante zur Zeugung eines Kindes, für normal hält. 

Was hier unter „Co-Parenting“ als schöne, neue bunte Familienwelt medial gehypt wird, ist in Wahrheit die Degradierung des Kindes zum Objekt. Wir teilen uns ein Kind. Es gehört uns. Wir haben uns die Rechte erworben. Jeder bekommt seinen fairen Anteil, jeder trägt einen Teil der Kosten. In Großstädten kann man das auch mit Autos machen. Das nennt sich dann „Car-Sharing“. Hier machen Erwachsene „Child-Sharing“. Ich kotze gleich.

Wir gewöhnen uns gerade daran, Kinder als eine Art Handelsware auf dem Verschiebebahnhof der Menschheit zu behandeln. Man kann nicht nur ein Halbtagskind haben, es entwürdigt das Kind. Wie sollen aus Halbtagskindern ganze Persönlichkeiten werden? Wir sind ja auch nicht nur Teilzeitschwangere. Und auch keine Teilzeitmütter. Ganz – oder gar nicht.

Wer ein Kind in seinem Bauch gespürt hat, wer es geboren hat, wer in Kinderaugen gesehen hat, die Generationslinien spiegeln, der weiß, daß Mutterschaft nicht teilbar ist. Nicht für Mütter und im übrigen auch nicht für Kinder. 

„Meine Mama“, wie oft habe ich das in den vergangenen Jahren von meinen eigenen Kindern gehört. Einfach nur „Meine Mama“ und dazu ein Kind, das sich an einem Hosenbein festklammert, das seine Ärmchen um deinen Hals wickelt und wild entschlossen ist, selbst gegen die berechtigten Ansprüche seiner eigenen Geschwister, dies eine zu verteidigen: „Meine Mama“. Eine und meine.

Das Muttersein wird gerade von der biologischen Abstammung abgekoppelt und zu einem Spielball menschlicher Interessen und vertraglicher Vereinbarungen gemacht. Kinder sind zu einem Geschäft geworden. Das Gebären zu einer Dienstleistung. „Reproduktions-Arbeit“ nennen es die aufgeklärten Gender-Experten der Neuzeit. 

Willkommen im Dienstleistungszeitalter. Die Prostituierte ist jetzt „Sex-Arbeiterin“ und die Leihmutter eine „Reproduktions-Arbeiterin“. Beutete man bisher nur die Sexualität von Frauen aus, ist jetzt die Fruchtbarkeit dran.

Man sagt den Kunden, die Leihmütter in Indien und Thailand machten das freiwillig und würden gut bezahlt. Wieviel der eigenen Seele verkauft man als Mutter dabei mit? Es ist möglicherweise die perfideste Art der Degradierung der Mutter, daß man sie jederzeit durch egal wen, auch durch zwei Männer, als ersetzbar erklärt.

Es ist gruselig, was wir da machen: Eine ganze Zunft von Forschern beschäftigt sich mit der Frage, wie man schon im Mutterleib ein Kind fördern kann. Wir haben Gesetze, die werdende Mütter vor Streß bewahren sollen, denn wir wissen, der erlebte Streß der Mutter kommt beim Kind an. Sie sind eine Symbiose. Neun Monate lang eins. Und dann kommen die Kinder auf die Welt, und wir erlauben, daß sie einfach einem Fremden in die Hand gedrückt werden. Wir erlauben, daß einem wehrlosen Kind das einzige weggenommen wird, was es wirklich kennt: seine Mama. Sein Zuhause. Seine elementare Bindung.

Ich will mich an diese Art von „Modernität“ und „Vielfalt von Familienformen“ nicht gewöhnen. Nicht der Vatikan und auch nicht konservative Familienpolitik machen Frauen zu Brutkästen, es ist die Gender-Lobby. Die Frau wird reduziert auf ihre Funktionalität als Gebärmaschine. Das Kind reduziert zur Ware. Ich kauf mir ein Kind. Wie ein Auto aus Übersee. Wo ist der Unterschied? Beide werden im Katalog aus Extras zusammengestellt, produziert, bezahlt und abgeholt. Es ist die moderne Form von Menschenhandel, und niemand regt sich auf.

Die feministischen Schwestern sind allesamt in Deckung, schließlich ist es auch ein gar zu peinliches Dilemma. Eigentlich müßte jede Frauenrechtlerin, die etwas auf sich hält, angesichts einer Frau, der zwei Männer das Kind quasi aus den Armen reißen, sofort auf den Barrikaden sein, doch man schweigt, denn es sind Schwule. Das politisch korrekte Opfer-Kollektiv gebietet hier zu schweigen. Und Lesben tun es ja auch. Selbst heterosexuelle Frauen tun es. 

Kämpfte man vor zwei Jahrzehnten noch für das Recht, sich nicht fortzupflanzen, sprich für Abtreibung, kämpft man heute für das Recht auf ein Kind für jeden. Auch für diejenigen, die sich biologisch gar nicht fortpflanzen können. Und ganz nebenbei nimmt man der Frau ihre ureigene Domäne aus der Hand: die Fähigkeit, Leben weiterzureichen. Das größte Potential, das ihr geschenkt wurde. Auf der Strecke bleibt die gebärende Frau, die Mutter. Insofern allerdings ist es wieder einmal konsequent. Denn die Mutter stand noch nie unter dem Schutz des Feminismus. 






Birgit Kelle, Jahrgang 1975, Publizistin und Mutter von vier Kindern, veröffentlichte die Bestseller „Dann mach doch die Bluse zu. Ein Aufschrei gegen den Gleichheitswahn“ (2013) und „Gender-Gaga. Wie eine absurde Ideologie unseren Alltag erobern will“ (2015).

 http://birgit-kelle.de

Birgit Kelle: Muttertier. Eine Ansage. Fontis–Brunnen, Basel 2017, gebunden, 256 Seiten, 20 Euro