© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/17 / 21. Juli 2017

Söder rechnet vor
Wahlversprechen: Die Steuersenkungspläne der Unionsparteien fallen deutlich geringer aus als von Wirtschaftspolitikern erhofft
Paul Rosen

Steuern senken galt in den letzten Jahren als Relikt aus dem Kohl-Zeitalter und war verpönt. Doch kurz vor der Bundestagswahl werden Steuersenkungspläne wieder aus der Schublade geholt. Während sich die SPD traditionell knauserig zeigt, versprechen CDU und CSU den Deutschen eine jährliche Entlastung von 15 Milliarden Euro. Die Summe hört sich gewaltig an, entspricht aber gerade einmal dem jährlichen Aufkommen des Solidaritätszuschlags, der ein Vierteljahrhundert nach der Wiedervereinigung ein Eigenleben entwickelt hat wie die einst zur Finanzierung der kaiserlichen Flotte erhobene Sektsteuer: Die Flotte existiert nicht mehr, aber die Steuer gibt’s immer noch. 

Bei der Vorstellung des vollmundig schon als Regierungsprogramm bezeichneten Maßnahmenpakets verwiesen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) auf die gute Zusammenarbeit der noch vor gut einem Jahr zerstrittenen Unionsparteien: „An keiner Stelle hat es auch nur den Hauch einer Differenz  gegeben“, lobte der Bayer. Und Merkel gab das Lob zurück, indem sie die Arbeit mit der CSU als „sehr vertrauensvoll, ohne jede Friktion“ würdigte. Den Wirtschaftsflügel der Union hatten die Parteispitzen nicht eingebunden, denn dann wäre die Einigung nicht so einfach gewesen: Die Wirtschaftspolitiker hatten eine jährliche Entlastung von 30 Milliarden Euro gefordert.

Deutschland bliebe Hochsteuerland

Was jetzt von den Unionsparteien beschlossen wurde, „atmet den Geist der Großen Koalition“, wie FDP-Chef Christian Lindner sorgenvoll anmerkte. Die Entlastungspläne können keinesfalls als Kehrtwende im Hochsteuerland Deutschland bezeichnet  werden. Denn im internationalen Vergleich werden die Bürger in Deutschland besonders stark belastet. Nach einer OECD-Vergleichsrechnung ist Deutschland nach Belgien Vizeweltmeister beim Belasten der Bürger mit Steuern und Abgaben. Einem Alleinverdiener bleiben von 100 Euro Gehalt im Durchschnitt noch 60 Euro, im Durchschnitt der 35 OECD-Länder sind es 75 Euro. Während die Steuer- und Abgabenlast in den anderen Ländern sank, stieg sie in der Bundesrepublik an. Selbst die klassische Alleinverdienerfamilie, bei der ein Ehepartner nicht berufstätig zu Hause bleibt, wird mit 21,3 Prozent wesentlich stärker belastet als Familien im OECD-Durchschnitt (14,3 Prozent).

Den Bürgern etwas zurückgeben

„Wir wollen keinen steuerpolitischen Stillstand mehr. Es ist Zeit, den Bürgern etwas zurückzugeben“, sagt der bayerische Finanzminister Markus Söder. Der bayerische Finanzminister, der sich seit Jahren um die Seehofer-Nachfolge in Stellung bringt, legte Berechnungen vor, wie sich die Entlastungspläne der Union auswirken werden, die eine Erhebung des Spitzensteuersatzes von 42 Prozent erst bei 60.000 Euro statt bisher 54.000 Euro vorsehen. Durch diese im Fachjargon „Rechtsverschiebung des Steuertarifs“ bezeichnete Maßnahme kommt es zu Entlastungen für alle Einkommensklassen oberhalb des steuerfreien Grundfreibetrages, da der linear-progressive Tarif bis zur Erreichung des Spitzensteuersatzes nicht mehr so schnell steigen muß.

Nach Söders Berechnungen hat ein lediger Arbeitnehmer mit einem Jahresbrutto von 23.000 Euro eine Entlastung von 236 Euro zu erwarten (19,66 Euro im Monat). Das reicht bei den heutigen Preisen kaum für einen Wirtshausbesuch. Bei 28.000 Euro Jahresverdienst beträgt die Entlastung 534 Euro (44,50 Euro im Monat). Bei 33.000 Euro soll es 628 Euro Ersparnis geben (52,33 Euro im Monat). Ein verheirateter Arbeitnehmer mit einem Kind soll bei einem Jahreseinkommen von 40.000 Euro eine Entlastung in Höhe von 873 Euro erfahren (72,75 Euro im Monat). 

Neben den Änderungen am Steuertarif planen die Unionsparteien noch allerlei weitere Maßnahmen, die in der Gesamtsumme von 15.000 Euro enthalten sind: Das von der Besteuerung freigestellte Existenzminimum für Kinder soll auf das Niveau des Grundfreibetrags für Erwachsene angehoben werden. Das Kindergeld soll um 25 Euro im Monat steigen. Außerdem soll die Bautätigkeit durch ein Baukindergeld von 1.200 Euro pro Kind und Jahr, zahlbar für zehn Jahre, angekurbelt werden. Mit der Abschaffung des Solidaritätszuschlags soll erst von 2020 an „schrittweise“ begonnen werden. 

Clemens Fuest, der Präsident des Münchener Ifo-Instituts, zeigt sich nicht überrascht, daß bei dem mäßigen Entlastungsvolumen „für die versprochene Abflachung des Mittelstandsbauchs nicht mehr viel Spielraum“ bleibt. Der „Mittelstandsbauch“ bedeutet, daß gerade mittlere Einkommensschichten für jeden zusätzlich verdienten Euro über 50 Cent an öffentliche Kassen abführen müssen. „Wenn die wirtschaftliche Entwicklung wie derzeit erwartet weiter gut verläuft, wird diese Entlastung nicht ausreichen, um den Anstieg der Steuerquote zu stoppen“, erklärt Fuest.

Diese Steuerquote, das heißt die Belastung aller Bürger und Unternehmen im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt, betrug Ende 2016 23,3 Prozent und war damit sogar höher als zum Ende der Amtszeit von Merkels Vorgänger Gerhard Schröder (20,8 Prozent). Hätten wir heute Schröders Steuerquote, hätten die Bürger und Unternehmen rund 90 Milliarden Euro mehr in den Geldbörsen. Der rheinland-pfälzische Finanzminister Volker Wissing (FDP) hält denn auch eine Entlastung von 40 Milliarden Euro für möglich, ohne daß die „schwarze Null“ im Haushalt von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) in Gefahr geraten würde. 

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