© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/17 / 14. Juli 2017

Es gibt dort kein Gut und Böse
Der Publizist Michael Lüders kritisiert als Wurzel vieler Nahost-Konflikte die westliche Interventionspolitik
Fabian Schmidt-Ahmad

Ebenso einseitig wie der bundesrepublikanisch verordnete Blick auf den Orient mit seinen verschiedenen Konfliktgebieten ist, so manichäisch ist dessen Einteilung in gute und schlechte Akteure. Gut sind vor allem diejenigen, die in dieses Schema einstimmen und die eigene Meinung bestätigen. Wer sich dagegen eine differenzierende Sichtweise erarbeitet und die Konflikte in ihrer Vielschichtigkeit zu erfassen sucht, wird schnell der Gegenseite zugeschlagen. 

So auch der Journalist und Islamwissenschaftler Michael Lüders, der mit „Wer den Wind sät“ und „Die den Sturm ernten“ zwei miteinander korrespondiere Bücher über die Folgen westlicher Politik in Nahost und Nordafrika vorlegt. 

Im etwas allgemeiner gehaltenen ersten Buch, das erstmals vor zwei Jahren erschien, beleuchtet Lüders zunächst den Sturz des iranischen Premierministers Mohammed Mossadegh durch die CIA, den er als Blaupause für ähnliche Operationen wertet: „Der Putsch im Jahr 1953 zeigt ein Grundmuster, das die USA und ihre Verbündeten noch immer bei angestrebten Regimewechseln anwenden: die Dämonisierung des Gegners im Vorfeld der eigentlichen Operation“, schreibt Lüders. Mossadegh sei beispielsweise in Kampagnen wiederholt mit Hitler verglichen worden. Ähnliche Formulierungen finden sich später „fast wortgleich gegenüber Diktatoren wie Saddam Hussein, Gaddafi oder Baschar al-Assad“.

Dieser erste „Regime Change“ ist die geradezu idealtypische Illustration von einer immer wiederkehrenden Figur bei Lüders, dem „Blow Back“ westlicher Politik. Interventionen in der islamischen Welt, moralisch als Befreiung oder Demokratisierung überhöht, tatsächlich aber Ausdruck interessengeleiteter Machtpolitik, setzen Prozesse in Gang, die sich gegen die ursprünglichen Intentionen richten. In diesem Fall hatte die Intervention längerfristig die Islamische Revolution von 1979 zur Folge.

Gewiß sind Lüders’ Argumente manchmal relativ zu sehen. Ob Mossadeghs Sturz wirklich Ursache für eine bleibende Diskreditierung des Westens ist, sei dahingestellt. Die islamische Welt dürfte mehr Erfahrungen mit religiös verbrämter Machtpolitik denn mit Traumata aus demokratischen Verheißungen gesammelt haben. Neben letzteren sollten auch in der islamischen Gesellschaft selbst Ursachen gesucht werden, deren Propaganda für eigene Probleme hier einen Blitzableiter gefunden hat.

„Regime Change“-Politik als Auslöser des Syrien-Krieges

Deutlich wird dies vor allem am Abschnitt zum israelisch-palästinensischen Streit, in dem sich Lüders als Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft eindeutig positioniert. „In diesem Konflikt gibt es keinen Gleichstand der Waffen“, heißt es hier. „Israel ist eine der stärksten Militärmächte der Welt.“ Dennoch überwiege im Westen die Wahrnehmung, „Israel befände sich in einem ständigen Überlebenskampf, bedroht von Palästinensern, Arabern, Teheran“.

Differenziert ist dagegen Lüders knappes Porträt des afghanisch-sowjetischen Konfliktes als Keimzelle von al-Qaida sowie des sich hieran entzündenden „Dschihad-Tourismus“, der anfänglich vom Westen gefördert wurde. Auch das Porträt des Islamischen Staates und seiner Wurzeln in Saudi-Arabien ist trotz seiner Kürze informativ und illustriert geradezu idealtypisch den „Blow Back“, den Lüders auch bei diesen westlichen Interventionen ausmacht.

„Die den Sturm ernten“ konzentriert sich auf den Syrienkonflikt, den Lüders mit einer größeren, zeitgeschichtlichen Einführung einleitet. Ausgehend von der allmählichen Dekolonialisierung und Emanzipation arabischer Nationen beschreibt Lüders, wie die westlichen Mächte in diesem Prozeß ihre Interessen durchzusetzen suchen. Allen voran die USA, die damit ihr bisheriges Prestige als Nicht-Kolonialmacht in der islamischen Welt verspielen. Im Fokus Syrien: „Ohne syrisches Gebiet zu queren, rechnet sich keine Pipeline vom Golf oder aus dem Irak ans Mittelmeer“, gilt schon im Jahr 1956.

Besorgt sehen die USA und Großbritannien, wie sich die wechselnden syrischen Machthaber ihre Unterstützung zunehmend aus der Sowjetunion suchen. Und letztere registrieren beunruhigt Vorbereitungen zu einem neuen „Regime Change“. Lüders faßt die britischen, erst kürzlich publik gewordenen Pläne zusammen: „Er sah vor, mit Hilfe von Terroranschlägen und dem Einschleusen von Geld und Waffen einen Aufstand von Regierungsgegnern herbeizuführen und vor allem unzufriedene Stämme im Osten und Süden Syriens zu mobilisieren.“

Der Plan wird vorzeitig enttarnt, der amerikanische Botschafter des Landes verwiesen und Moskau droht mit einem Truppenaufmarsch an der bulgarisch-türkischen Grenze. Die nachfolgende Konsolidierung einer Militärdiktatur, an deren Spitze sich 1970 Hafis al-Assad setzt, ist entsprechend durch Paranoia vor westlichen Einflüssen geprägt, die das Regime destabilisieren sollen. „Für Damaskus ist das, was heute geschieht, ein Déjà-vu.“

Zwar schildert Lüders klar das rücksichtslose Vorgehen der Diktatur, doch macht er deutlich, daß die westliche Wahrnehmung, „die syrische ‘Opposition’ verträte das gesamte oder auch nur nennenswerte Teile des syrischen Volks“, schlechterdings falsch ist. Auch in freien Wahlen hätten die Aufständischen „kaum Chancen auf einen Sieg“. Gut und Böse gibt es in diesem Krieg sowieso nicht: „Rücksicht auf Zivilisten nehmen deren Kämpfer ebensowenig wie die des Regimes“, resümiert Lüders. „Greueltaten und Wegelagerei sind beiden Seiten vertraut.“

Zwar gelingt es Lüders aufzuzeigen, wie westliche Interventionspolitik unter Führung der USA zu einer Destabilisierung geführt hat. „Überspitzt gesagt kehren die Europäer mit der Flüchtlingskrise die Scherben einer verfehlten US-Interventionspolitik auf, bezahlen sie gutwillig den Preis für die Machtansprüche anderer.“ Nicht überzeugend wirkt jedoch Lüders einseitige Interpretation, wonach der „Blow Back“ lediglich ein irrationaler Irrtum dieser Politik sei. 

Daß die Europäer, allen voran Deutschland, längst selbst Objekte einer Interventionspolitik geworden sind, die sich in der massenhaften Ansiedlung orientalischer Einwanderer ausdrückt, auf diesen Gedanken kommt Lüders offensichtlich nicht. So beklagt er lediglich ein weiteres Erstarken des radikalen Islams, der ein „wahrer Jungbrunnen nicht zuletzt für die Rechtspopulisten in Europa“ sei. Dennoch bleibt ein gewinnender Eindruck von Sichtweisen jenseits des Gewohnten.

Michael Lüders: Wer den Wind sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet. Verlag C. H. Beck, München 2017, broschiert, 176 Seiten, 14,95 Euro 

Michael Lüders: Die den Sturm ernten. Wie der Westen Syrien ins Chaos stürzte. Verlag C. H. Beck, München 2017, broschiert, 176 Seiten, 14,95 Euro