© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/17 / 14. Juli 2017

Bekenntnis zur Verständigung der Völker
Erster Weltkrieg: Der Reichstag verabschiedete seine Friedensresolution vor einhundert Jahren
Hans Fenske

Am 12. Dezember 1916 richteten das Deutsche Reich, Österreich-Ungarn, Bulgarien und das Osmanische Reich über neutrale Staaten eine Note an die gegnerische Allianz. Sie erklärten, daß der furchtbarste Krieg, den die Geschichte je gesehen habe, beendet werden müsse. Deshalb sollten alsbald Friedensverhandlungen stattfinden. Dazu würden sie Vorschläge mitbringen, die nach ihrer Überzeugung eine geeignete Grundlage für die Herstellung eines dauerhaften Friedens seien. 

Die Anfang 1917 eintreffende Antwortnote der Alliierten war schroff ablehnend. Sie wertete die Initiative der Mittelmächte nicht als Friedensangebot, sondern als Kriegsmanöver. Deutschland und seine Verbündeten müßten für alles, was sie begangen hätten, Sühne, Wiedergutmachung und Bürgschaften geben. Auch das Vermittlungsangebot des US-Präsidenten Woodrow Wilson vom 18. Dezember nahmen die Alliierten nicht an. Sie erklärten es für derzeit unmöglich, einen Frieden zu schließen, der ihren Vorstellungen entspreche.

In einer Rede im Senat warb Wilson am 22. Januar 1917 neuerlich für einen Frieden ohne Sieger. Das wurde in Berlin und Wien begrüßt. Die nun nach Washington übermittelten deutschen Erwartungen von einem Frieden waren bescheiden. Gewünscht wurde eine Deutschland und Polen gegen Rußland sichernde Grenze, die Wiederherstellung Belgiens unter Garantien für Deutschlands Sicherheit, die Verständigung über koloniale Fragen und der wirtschaftliche und finanzielle Ausgleich zwischen den Kriegführenden. 

Frieden ohne Annexionen und Entschädigungen

Zugleich mußte der deutsche Botschafter Wilson aber mitteilen, daß das Deutsche Reich am 1. Februar den uneingeschränkten U-Boot-Krieg aufnehmen werde. Die Befürworter dieses Schrittes, dem Reichskanzler Theodor von Bethmann Hollweg nur zögernd zugestimmt hatte, erwarteten davon, daß Großbritannien binnen eines halben Jahres verhandlungsbereit werde. Wilson reagierte auf diesen Beschluß mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Deutschland und führte die USA Anfang April 1917 in den Krieg (JF 15/17). Damit verschlechterten sich die Aussichten der Mittelmächte auf einen annehmbaren Kriegsausgang sehr.

In Österreich war die Friedensneigung ausgeprägter als in Deutschland. Der Reichstagsabgeordnete Matthias Erzberger vom Zentrum, amtlich mit Auslandspropaganda befaßt, wurde von der Reichsregierung nach Wien entsandt, um beruhigend zu wirken. Seine dort geführten Gespräche bestärkten ihn in der Ansicht, daß ein neuerlicher Friedensschritt nötig sei. In diesem Sinne wurden auch führende Sozialdemokraten tätig. 

In Rußland, das im März zur Republik geworden war, hatte der Kongreß der Arbeiter- und Soldatenräte Mitte April einen Frieden „ohne Annexionen und Entschädigungen“ gefordert. Diese Formel übernahm die SPD. Am 19. April erließen ihre Parteileitungen im Reich und in Preußen eine Erklärung, daß Deutschland als freies Staatswesen aus dem Kriege hervorgehen müsse – über eine innere Erneuerung wurde seit einiger Zeit lebhaft diskutiert. Sie begrüßten den Sieg der Revolution in Rußland und bekannten sich uneingeschränkt zum Frieden ohne Annexionen und Entschädigungen, zum Verzicht auf jede Eroberungspolitik und zur Sicherung des Weltfriedens durch obligatorische Schiedsgerichtsbarkeit und einen Völkerbund. 

Ihr Reichstagsabgeordneter Eduard David hielt Anfang Juni in Stockholm bei einer Vorbereitungskonferenz für einen internationalen Sozialistenkongreß, der freilich nicht zustande kam, eine Rede in diesem Sinne. Wenig später legte die SPD ihre Überlegungen der Reichsregierung in einer umfangreichen Denkschrift vor. Die Befürworter der Friedensinitiative erhofften davon eine stärkende Wirkung auf die Moral der Deutschen, eine gute Resonanz in den neutralen Staaten, die dann verstärkt bei den Alliierten auf Verständigung hinwirken würden, und ein positives Echo auch in den gegnerischen Staaten. Bethmann Hollweg hielt eine erneute Friedensinitiative einstweilen für unpassend, und die Oberste Heeresleitung hatte erhebliche Bedenken, da ein solcher Schritt als Zeichen von Schwäche ausgelegt werden könnte.

Ähnlich dachten viele Nationalliberale. Die Konservativen waren entschieden gegen eine Friedensresolution. In vielen Gesprächen zwischen Mitgliedern der Reichsleitung und führenden Parlamentariern, in den Verhandlungen des Hauptausschusses und des Verfassungsausschusses des Reichstags und im Interfraktionellen Ausschuß, in dem Nationalliberale, Zentrum, Fortschrittspartei und Sozialdemokraten seit dem 6. Juli ihre Ansichten zu koordinieren sich bemühten, wurde über die Friedensfrage und die inneren Reformen intensiv beraten. Dabei spitzten sich die Gegensätze zwischen den Befürwortern und den Gegnern der Friedensresolution sehr zu. Bethmann Hollweg schied am 13. Juli aus dem Amt, da er das Vertrauen der Reichstagsmehrheit verloren hatte. Neuer Reichskanzler wurde am Tage danach der Leiter der Reichsgetreidestelle Georg Michaelis.

Zwei Tage später brachten Zentrum, Fortschrittliche Volkspartei und SPD die Friedensresolution im Reichstag ein. Zu Beginn der Debatte darüber am 19. Juli sprach Michaelis. Er unterstrich, daß Deutschland den Krieg nicht gewollt habe und daß es nur für einen ehrenvollen Frieden kämpfe, der seine Grenzen sichere und seine Lebensbedingungen in Europa und in Übersee gewährleiste. „Der Friede muß die Grundlage für eine dauerhafte Versöhnung der Völker bilden“ und der weiteren Verfeindung vorbeugen. Das lasse sich im Rahmen der Resolution erreichen. 

Damit machte er sie sich inhaltlich zu eigen. Abschließend sagte er, ließen die Feinde von ihren Eroberungsgelüsten und Niederwerfungszielen ab, „werden wir ehrlich und friedensbereit zuhören, was sie zu sagen haben“.

Diese Erklärung begrüßten für das Zentrum Constantin Fehrenbach, für die Fortschrittspartei Friedrich von Payer und für die Sozialdemokraten Philipp Scheidemann. Die Nationalliberalen und die Konservativen übten zurückhaltend Kritik, sehr scharf tat das Hugo Haase von der Unabhängigen Sozialdemokratie. Für ihn war die Friedensresolution unzulänglich. Mit 212 gegen 126 Stimmen nahm der Reichstag die Friedensresolution an. Es gab 17 Enthaltungen und zwei ungültige Voten. Für die Resolution entschieden sich alle Sozialdemokraten, die Fortschrittler bis auf einen und fast die gesamte Zentrumsfraktion, nur fünf ihrer Abgeordneten stimmten dagegen.

Zu Beginn der Friedensresolution hieß es, das Deutsche Reich habe für die Verteidigung seiner Freiheit und Selbständigkeit und für die Unversehrtheit seines Gebietes zu den Waffen gegriffen. Sodann bekannte sie sich zu einem Frieden der Verständigung und der dauernden Versöhnung der Völker und erklärte erzwungene Gebietsabtretungen sowie politische, wirtschaftliche und finanzielle Vergewaltigungen als damit unvereinbar. Sie sprach sich gegen alle Pläne aus, die auf eine wirtschaftliche Verfeindung der Völker nach dem Kriege zielten. „Nur der Wirtschaftsfriede wird einem freundschaftlichen Zusammenleben der Völker den Boden bereiten.“ Den Einsatz des Reichstags für die Schaffung internationaler Rechtsorganisationen sagte sie zu. Gingen die feindlichen Regierungen auf einen derartigen Frieden nicht ein, so hieß es abschließend, werde das deutsche Volk unerschütterlich ausharren und solange kämpfen, bis sein und seiner Verbündeten Recht auf Leben und Entwicklung gesichert sei.

Kein anderes Parlament tat einen solchen Schritt

In Deutschland wurde die Friedensresolution vielfach begrüßt, und auch in den neutralen Staaten fand sie eine günstige Aufnahme. Die Haltung der alliierten Regierungen beeinflußte sie in keiner Weise, sie hielten unbeirrt an dem Niederwerfungsziel fest, das sie seit Beginn des Krieges verkündet und für das sie sich auch vertraglich verbunden hatten. Der britische Premier David Lloyd George, der im September 1916, wenige Wochen vor der Berufung in das Amt, in einem Zeitungsinterview gesagt hatte, der Kampf werde bis zum Knockout des Gegners dauern, sprach jetzt von der Ankündigung eines falschen Friedens. 

Ihre Verweigerung eines Verständigungsfriedens bekundeten England und Frankreich auch dadurch, daß sie den Friedensaufruf des Papstes Benedikt XV. vom 1. August 1917 nicht aufnahmen. Die Regierung Michaelis befürwortete dagegen die Vorschläge des Papstes und unterstrich dabei ihre Sympathie für das Postulat, daß an die Stelle der Waffengewalt die moralische Macht des Rechts treten müsse. Ein Friedensangebot auf diplomatischem Wege machte Michaelis nicht mehr, da, wie er am 19. Juli im Reichstag gesagt hatte, die ausgestreckte offene Hand schon einmal von den Alliierten nicht ergriffen worden war.

Die Friedensresolution des Reichstags war ein eindeutiges Bekenntnis zur Verständigung der Völker. Kein anderes Parlament der kriegführenden Staaten tat zwischen 1914 und 1918 einen solchen Schritt. Sie eröffnete eine große Perspektive. Die maßgeblichen Politiker der Entente wollten diese Perspektive nicht sehen. Hätten sie sich zu ehrlichen Verhandlungen bereit gefunden, so hätte die europäische Geschichte seit 1917 fraglos einen anderen und glücklicheren Verlauf genommen.






Prof. Dr. Hans Fenske lehrte Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Breisgau. Er ist Autor des Buches „Der Anfang vom Ende des alten Europa. Die alliierte Verweigerung von Friedensgesprächen 1914–1919“ (München 2013).