© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/17 / 14. Juli 2017

Dorn im Auge
Christian Dorn

Trump ist Trumpf. Auf dem Heimweg überhole ich vier Ausländer, die gerade dabei sind, ihre Gemeinsamkeiten zu definieren. Einer von ihnen fragt: „Have you seen ‘The Life of the Others’? It’s such an amazing movie!“ Diese Spracharmut ist unvorstellbar weit entfernt vom „amazing feeling“ Freddie Mercurys, den wohl das Programm „48 Tunten Neukölln“ – im Rahmen des Stadtfests „48 Stunden Neukölln“ – angezogen hätte. Dort hat der queere Nachtclub „Schwuz“ in einer Saalwette zur Versammlung von 480 Drag-Queens aufgerufen. Die Lebendigkeit und das babylonische Sprachengewirr an diesem Wochenende katapultiert mich in meiner Wahrnehmung unwillkürlich in die Lower Eastside New Yorks, als mir tatsächlich eine orientierungslose Gruppe junger US-Amerikaner entgegenschlendert, aus der eine junge Schwarze selbstbewußt vorgibt: „Okay, we gonna find some Germans!“ Das Ziel allerdings erscheint als ein, wenngleich rührendes, Nonplusultra dekadenter Devianz: So tanzt und singt in einer Eckbar ein junger Kerl im Kleid, dessen Gesicht unvermittelt an AfD-Gründer Bernd Lucke erinnert, zur Melodie der Sting-Ballade „Englishman in New York“. Deren Schlußrefrain („Be yourself no matter what they say“) erklingt hier in schamloser Travestie als „Schäbigkeit ist das, was zählt.“


Eine künstlerisch überzeugende Drag-Kultur bietet dagegen „Fly, Edith, Fly – Vom Ballermann zum BER“, das neueste „Neuköllnical“ der Trash-Truppe um Ades Zabel alias „Edith Schröder“ im BKA (Berliner Kabarett Anstalt). Passend zur Barwand des Veranstaltungsortes, die eine Hakenkreuzfahne mit aufgenageltem Bundesadler ziert, fängt das Stück mit „Ediths tönender Wochenschau“ an, die in einem 1989 beginnenden Exkurs mit der Bauruine des Berliner Flughafens abrechnet. Auch mit Blick auf jüngste Boulevardmeldungen zu deutschen Mallorca-Besuchern ist das Stück der Travestie-Company mit ihrem „altbewährten, politisch sympathisch unkorrekten Humor“ (Berliner Zeitung) abermals auf der Höhe der Zeit. Da Ediths beste Freundin, Kneipenwirtin Jutta Hartmann (Bob Schneider), vor den „Touristen und Salafisten“ nach El Arenal geflüchtet ist, ihre Wohnung über Airbnb als Partyhölle untervermietet und ihre Kneipe an eine „Influencerin“ (Modebloggerin) verpachtet hat, die einer „veganen Fleischerei“ Platz zu machen droht, schwant Edith: „Igitt, da machen sie doch aus Altpapier Schinken!“ Das Kiezkolorit von Zabels Bühnensoap macht das Ganze hier (www.bka-theater.de) – direkt neben dem Imbiß Curry 36 – zu einer echten Volksbühne.