© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/17 / 14. Juli 2017

Ein finanzieller Gigant im Krisenmodus
Golfkrise: Vier arabische Rivalen boykottieren Katar / Großinvestor in Europa / Absatzmarkt für Flugzeuge
Thomas Kirchner

Volkswagen und Siemens als Terrorpaten? Airbus bald im Krisenmodus, wenn ein wichtiger Absatzmarkt ausfällt? So lauteten die Befürchtungen, nachdem Saudi-Arabien, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Bahrain am 5. Juni die diplomatischen Beziehungen zu Katar abgebrochen hatten. 59 Personen und zwölf Organisationen mit angeblichen Verbindungen zu Katar wurden auf eine Terrorliste gesetzt. Der globale Nachrichtensender Al Jazeera müsse eingestellt und die Verbindungen zum Iran zurückgefahren werden. Das Golf-Emirat wurde zu Land, zur See und in der Luft blockiert – nur die Türkei und der Iran stellten sich demonstrativ hinter Katar.

Das einmonatige Ultimatum verstrich – aber nichts geschah. Die Regierung von Katar kündigte am Sonntag hingegen an, Bürger und Firmen im Golf-Emirat für die Sanktionsverluste finanziell zu entschädigen. Die angekündigten zwei Milliarden Dollar wären für Katar nur „Peanuts“. Der katarische Staatsfonds Qatar Investment Authority (QIA) sei 300 Milliarden Dollar schwer, verriet Zentralbankchef Abdullah Saud Al-Thani dem US-Sender CNBC. Die Zentralbank QCB habe Devisenreserven von 40 Milliarden Dollar sowie Gold.

Daß US-Außenminister Rex Tillerson und sein Amtskollege Sigmar Gabriel alle Beteiligten zum Dialog aufriefen hat nicht nur geopolitische, sondern auch wirtschaftliche Gründe. Das nur 2,7 Millionen Einwohner zählende Katar liegt mit einem Volumen von 2,5 Milliarden Euro lediglich auf Rang 52 der deutschen Exportmärkte (Saudi-Arabien: 7,3 Milliarden, Rang 33). Aber der QIA besitzt 17 Prozent an VW, 3,3 Prozent an Siemens, 14 Prozent an Hapag Lloyd und sechs Prozent an der Deutschen Bank. Die Sanktionen können theoretisch auf Firmen ausgeweitet werden, an denen Katar beteiligt ist. Vielleicht war es dann eine Präventivmaßnahme, daß die staatliche Qatar Airways den Erwerb einer Zehn-Prozent-Beteiligung an der größten US-Fluggesellschaft American Airlines (AA) ankündigte.

Finanzinvestoren kaufen meist nur 9,9 Prozent. Ab zehn Prozent gilt man in den USA als Insider und unterliegt allerlei Restriktionen. Zunächst will Qatar Airways 4,75 Prozent erwerben und nach Zustimmung des AA-Aufsichtsrats auf mehr als zehn Prozent aufstocken. AA-Chef Doug Parker ist nicht erfreut. Noch im März hatte er zusammen mit den Konkurrenten United und Delta einen Brief an Donald Trump geschrieben, in dem er die staatlichen Subventionen beklagte, die Qatar Airways sowie Emirates und Ethiad (VAE) erhalten. Mit dem Einstieg bei AA kann Katar zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: US-Sanktionen gegen Firmen mit einer Beteiligung Katars werden verhindert, und der Druck gegen Subventionen wird gelindert.

Staatsfonds tief in der Weltwirtschaft verwurzelt

Katar hat seinen Gas- und Ölreichtum in strategische Beteiligungen an westlichen Firmen investiert, die seit 2006 im QIA – einem der zehn größten Staatsfonds weltweit gebündelt werden. Mit einem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von 60.787 Dollar (2016) ist Katar laut Berechnung des Währungsfonds IWF das fünftwohlhabenste Land der Welt. Deutschland liegt mit 41.902 Dollar auf Rang 17. Die traditionelle Öl-Monarchie Saudi-Arabien kommt nur auf 20.150 Dollar. Katar unterscheidet sich durch seine Anlagestrategie von vielen Rohstoffexporteuren, die – wie Venezuela oder Nigeria – die die Einnahmen zur Wahrung der Macht der Regierung verplempern.

Der QIA ist in Europa so tief in der Wirtschaft verwurzelt, daß kaum ein Risiko von Sanktionen besteht. In Großbritannien besitzt der Staatsfonds mit 20 Prozent an IAG (British Airways, Iberia, Aer Lingus) sowie dem Flughafen London Heathrow und einem sechs­prozentigen Anteil an Barclays wichtige Unternehmen. Auch der legendäre Bürokomplex Canary Wharf in den Londoner Docklands gehört teilweise Katar. In Frankreich sind Prestigefirmen wie Vivendi, Lagardère und Vinci Teil des QIA-Portfolios. In den USA war Katar bislang mit Tiffany nicht strategisch involviert. Mit einer AA-Beteiligung wird sich das ändern. Mit einer rein passiven Investition von zehn Prozent wäre Katar zwar Insider, der Kauf würde allerdings nicht auf Fragen der nationalen Sicherheit geprüft – ein weiterer Aspekt, der sich ausschlachten ließe, um Terroranschuldigungen zu widerlegen.

Militärisch ist Katar ein wichtiger Partner Washingtons, das US-Oberkommando für die ganze Region sitzt in der Luftwaffenbasis Al-Udeid in der Nähe der Hauptstadt Doha mit 10.000 Soldaten. Der Irakkrieg wird von dort aus gesteuert. Am 16. Juni wurde der Kaufvertrag für 36 McDonnell Douglas F-15QA-Jets im Wert von 12 Milliarden Dollar unterzeichnet – genehmigt noch unter Barack Obama im November 2016. Es ist unwahrscheinlich, daß die Militär- und Wirtschaftsallianz aufgekündigt wird.

Die Juni-Sanktionen ließen die Katar-Börse QSE zunächst nur um zehn Prozent fallen. Der Markt sieht die politischen Turbulenzen nicht als langfristiges Problem. Die Golfstaaten werden nicht auch gegen QIA-Beteiligungen in Deutschland vorgehen. Kritisch würde es hingegen, wenn die USA so weit gehen würden. Mehr als politisches Säbelrasseln scheint aus Washington aber nicht zu kommen. Dort frage man sich, ob es den Saudis wirklich um Terrorfinanzierung oder um den lange schwelenden Zwist zwischen den Golfstaaten geht.

Airbus spürt den schärferen Wind hautnah. Vorige Woche stornierte Qatar-Chef Akbar Al Baker den Kauf von vier der 80 bestellten neuen Großraumjets der Reihe A350. Angeblich sind Qualitäts- oder Lieferprobleme der Grund. Fakt ist: Politischer Streit ist Gift für alle Golf-Airlines, die von dem Liniengeschäft Europa-Asien/Australien leben.

Daten der deutschen Außenwirtschaftsagentur Germany Trade & Invest: www.gtai.de/