© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/17 / 14. Juli 2017

„Ich fürchte die Verharmlosung“
„Hamburg“ kam nicht überraschend. Es ist Folge einer Blindheit gegenüber „links“, die sich nun in der Debatte danach fortzusetzen droht – warnt der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt
Moritz Schwarz

Herr Wendt, ist es normal, daß Bürger ihre Autos evakuieren und Schaufenster vernageln?

Rainer Wendt: Natürlich nicht. 

Scheinbar doch, denn sonst hätten sie es nicht getan und wären überrascht worden.

Wendt: Nein, ich werde den Normalitätsbegriff dafür nicht verwenden! Dennoch haben Sie im Grunde recht – und dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, daß etwas falsch läuft, vollkommen falsch! Aber das wird einfach ignoriert. 

Was läuft falsch? 

Wendt: Immer mehr Bürger haben kein Vertrauen, daß der Staat sie schützt.  

Also waren die Ereignisse in Hamburg absehbar?

Wendt: Absolut.

Warum haben sich dann hinterher alle überrascht gegeben? 

Wendt: Gute Frage. Denn sowohl von der Hamburger Polizei wie von uns – der Deutschen Polizeigewerkschaft – gab es genug Hinweise, daß es so kommen könnte, wie wir es dann erlebt haben.

Warum wurde darauf nicht gehört?

Wendt: Tja, stattdessen sind Vertreter unserer Polizeigewerkschaft von einigen sogar als Scharfmacher verunglimpft und damit in die Defensive gebracht worden – was fatal ist. Die Folgen mußten dann die Bürger tragen, denen das Auto angezündet und/oder der Laden demoliert wurde. Und Bürgermeister Olaf Scholz hat mit seinen Beschwichtigungen – „Seien Sie unbesorgt, wir können die Sicherheit garantieren“ etc. – die drohenden Gefahren nicht nur ignoriert, sondern verkleistert.

Trägt also Scholz die Verantwortung?

Wendt: Nicht persönlich, aber er hat eine politische Verantwortung und kann nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.  

Fordern Sie seinen Rücktritt?

Wendt: Ich meine, er sollte diesen zumindest in Erwägung ziehen, wenn er keinen Plan hat, wie er künftig linker Gewalt begegnen will. Daß er das nicht tut, finde ich angesichts dessen, daß er sich zuvor so weit aus dem Fenster gelehnt hat, schon bemerkenswert.

Wie ist zu erklären, daß er Versprechen macht, wissend, daß sie nicht zu halten sind und ihm auf die Füße fallen werden? 

Wendt: Das wundert mich auch, denn der Mann ist doch intelligent. Aber das müssen Sie Herrn Scholz selbst fragen.  

Selbst wenn man unterstellt, er sei ein Politiker, der nur an sich denkt, ergibt das keinen Sinn.

Wendt: Richtig – aber andererseits wundert es mich auch wieder nicht, angesichts dessen, wie linke Gewalt oft aus unserer Wahrnehmung verdrängt wird.

Inwiefern?

Wendt: Erinnern Sie sich noch an die Diskussion vor dem Gipfel? Müssen das so viele Polizisten sein? Und so viele Wasserwerfer? Was das alles kostet! Geht das nicht eine Nummer kleiner? Das war der Tenor. Nein, es ging leider nicht kleiner! Im Gegenteil, eigentlich hätten wir sogar noch mehr Einsatzkräfte gebraucht. Aber schon für die 20.000 eingesetzten Kolleginnen und Kollegen mußte die Einsatzleitung sich ja quasi rechtfertigen.  

Aber die Mehrheit der Bürger begrüßt doch den Schutz der Polizei. Warum also diese Bedenken bei den Politikern? Sie machen sich damit doch bei ihren Wählern nicht unbedingt beliebt. 

Wendt: Genau das stimmt. Und deshalb werde ich die Logik vieler Politiker auch nie nachvollziehen können. Manche leugnen ja sogar ganz, daß es linke Gewalt gibt. Bei ihnen kommt die Gewalt immer nur von rechts. Da weigert sich mein gesunder Menschenverstand, dem zu folgen. 

Interessieren sich Politiker vielleicht eher für das Lob der Medien, die ihnen bescheinigen, was für eine „weltoffene“ Haltung sie haben, als für die Meinung der Bürger?

Wendt: Tja ... auf jeden Fall gibt es manche Politiker – „die“ Politiker gibt es ja nicht! –, die offenbar hoffen, mit ihrer Verharmlosung eine bestimmte linke Klientel als Wähler zu gewinnen. 

Das heißt, das Problem beginnt schon lange vor Hamburg?

Wendt: Ganz genau. Stellen Sie sich nur mal vor, Pegida etwa würde ein Haus besetzen, es zur „rechten Zone“ erklären und von dort aus Aktionen planen. Würde man das Haus dann vom Staat aus übernehmen und zur Verfügung stellen? Natürlich nicht, und das ist auch richtig so. Da gäbe es ganz schnell glücklicherweise einen politischen Konsens, daß das nicht hinzunehmen ist. Genau das wünsche ich mir auch, wenn linke Gruppen so agieren – da aber passiert oft nichts. 

Sie spielen auf die „Rote Flora“ an? 

Wendt: Eben, dabei müßte sie schleunigst geschlossen werden! Ebenso wie ähnliche linksradikale Zentren, von denen es etliche in deutschen Städten gibt. 

Sind es nur „manche Politiker“, wie Sie eben sagten, oder auch „manche Medien“?

Wendt: Konkret sind es alle, die sich dem Konsens verweigern, den wir bei rechter Gewalt wie selbstverständlich haben – nämlich auch linke Gewalt im Ansatz konsequent zu unterbinden.

Wenn es nur „manche“ sind, wie Sie sagen, wie ist dann zu erklären, daß die verharmlosende Stimmung dominiert? 

Wendt: Es sind eben wirkmächtige Stimmen. Und das, obwohl die Stimmung im Volk eine ganz andere ist – wie man ja bei Wahlen regelmäßig ablesen kann. Die Mehrheit der Bürger ist eher konservativ, mit großem Vertrauen zur Polizei, dem Wunsch nach Recht und Ordnung und daß Gewalt verhindert wird, egal ob rechte oder linke. 

Also sind unter den Medien, die die Ereignisse von Hamburg nun beklagen, etliche Heuchler? 

Wendt: Es gibt ein Betroffenheitsritual in der Politik: runde Tische, viel Reden, nichts tun. Vieles davon ist die Vorbereitung dazu, schnell wieder zur Tagesordnung übergehen zu können. Speziell denke ich da an die „Relativierer“, die erst ganz große Betroffenheitsbekundungen abgeben – nur um dann, Stück für Stück, die Geschehnisse zu verharmlosen und die Verantwortlichen zu entlasten, indem sie die Schuld ins Allgemeine verschieben. 

Natürlich ist es richtig, gewalttätige und friedliche Demonstranten zu unterscheiden. Gibt es aber dennoch nicht auch eine Mitschuld der friedlichen Demonstranten? 

Wendt: Es geht schon damit los, was friedliche Demonstranten sind? Viele Leute glauben etwa, daß es friedlich sei, eine Sitzblockade zu machen. Motto: Steine schmeißen nein, blockieren aber ist in Ordnung. Nein! Das ist nicht „in Ordnung“! Aber viele der sogenannten friedlichen Demonstranten haben davon schon gar keine Ahnung mehr, weil Blockaden von vielen Journalisten, Politikern und Teilen der Öffentlichkeit inzwischen also „normal“ betrachtet werden. Tatsächlich aber sind solche „friedlichen“ Demonstranten allesamt Straftäter. Um es einmal ganz klar zu sagen: Eine Fahrbahn zu blockieren – auch „um ein Zeichen für eine gerechtere Welt zu setzen“ – ist nicht friedlich. Natürlich sind solche Leute keine Gewalttäter, aber sie brechen den Rechtsfrieden und sind damit ebenfalls unfriedlich. Sie können also nicht mehr für sich in Anspruch nehmen, friedliche Demonstranten zu sein. Außerdem behindern Blockaden die Arbeit der Polizei – die in Hamburg aber allen Ecken und Enden gebraucht wurde! So sind also an so mancher Ausschreitung auch die angeblich „friedlichen“ Blockierer mit schuld. Weil sie dazu beigetragen haben, die Polizei insgesamt zu überlasten.  

Welche Rolle spielt die oft von friedlichen Demonstranten ausgehende Forderung nach minimaler Polizeipräsenz?

Wendt: Das ist gängige linke Rhetorik, nach der am Ende immer der Staat schuld ist und sobald die Polizei auftaucht, diese unzulässig „provoziert“. Das Problem fängt schon beim Sprachgebrauch an – und das sollten sich viele Medien mal hinter die Ohren schreiben: Leute, die blockieren, sind Rechtsbrecher und keine „Aktivisten“! Menschen, die Steine werfen, sind Straftäter und keine „Autonomen“. 

Aber werden all diese Aspekte in der nun angestoßenen Debatte denn thematisiert? Wenn aber keiner von den betreffenden Politikern, Medien und „friedlichen“ Demonstranten etwas verlangt, werden sie ihr Verhalten auch nicht ändern. Warum sollten sie? Wird sich also Hamburg beim nächstenmal nicht zwangsläufig wiederholen?

Wendt: Zum Glück gibt es freie und vielfältige Medien und Journalisten. Deshalb hoffe ich, daß es vielleicht diesmal endlich zu einer Debatte kommt, die die Frage stellt, wie wir eigentlich mit linker Gewalt umgehen.

Unverständlich, woher Sie diese Hoffnung nehmen, solange die von ihnen aufgezeigten Tabus nicht auf den Tisch kommen? Und daß das nicht passiert, zeigt zum Beispiel „Anne Will“ vom vergangenen Sonntag: In der gesamten Sendung praktisch kein Wort dazu. Und selbst wenn Olaf Scholz zurücktreten sollte – wäre das nicht nur ein Bauernopfer? Motto: Schuldiger gefunden, Akte zu. 

Wendt: Ich verstehe Ihre Skepsis, aber  es gibt durchaus auch Positives, etwa den Vorschlag zur Einrichtung einer europaweiten Datei für Linksextremismus. Das wäre natürlich noch nicht die Lösung – aber ein Fortschritt. 

Nun sprechen Sie von einer polizeilichen Maßnahme – die sicher nicht unwichtig ist. Nur haben wir doch festgestellt, daß das Problem in unserer politischen Kultur liegt. 

Wendt: Ich verliere die Hoffnung nicht. Politik kann sich ändern – denken Sie etwa, wieviel sich seit der Zuwanderungspolitik von 2015 getan hat!  

2015 protestierte Blockupy gegen das neue EZB-Gebäude in Frankfurt. Bald standen dicke Rauchsäulen über der Stadt, als würde sie bombardiert. Die „Welt“ titelte: „Frankfurt versinkt in Feuer“ Geändert hat sich, wie Hamburg beweist, nichts. 

Wendt: Ich weiß, dennoch ist es nicht so, daß sich nie etwas ändert. Manchmal dauert es einfach sehr lange. Aber natürlich haben Sie recht, die Gefahr, daß die Diskussion nicht konstruktiv, sondern in einer erneuten Verharmlosungsdebatte endet, ist nicht gering. Wenn ich etwa die jüngsten Stellungnahmen der Grünen und Linken dazu vernehme, muß ich schon das Schlimmste befürchten.

Gibt es eine Möglichkeit, das zu verhindern?

Wendt: Ich kann nur hoffen, daß bei der Aufarbeitung der Ereignisse alle Details und Zusammenhänge wirklich ans Licht kommen. Und daß systematisch geklärt wird, wie man dem hätte entgegenwirken können. Sowie daß daraus echte Konsequenzen gezogen werden. Etwa eben endlich die Rote Flora zu schließen, von wo aus viele Krawalle initiiert und gesteuert wurden.

Leiter des Einsatzes war Ihr Kollege Hartmut Dudde, dessen Strategie „Hamburger Linie“ heißt, weil er vor Jahren in der Hansestadt das Prinzip der Deeskalation durch Zurückweichen beendet hat. Fürchten Sie, daß am Ende Dudde die Schuld gegeben wird? 

Wendt: Erst mal will ich klarstellen, daß Duddes Hamburger Linie eine Strategie der Deeskalation ist – Deeskalation durch Stärke. Und daß sie insgesamt gesehen erfolgreich war. Außerdem, daß Hartmut Dudde einer der kompetentesten Polizeiführer Deutschlands ist! Nun an seiner Taktik herumzunörgeln und zu versuchen, ihn für alles verantwortlich zu machen, ist ein Unding. Aber wie das so ist – natürlich kommen hinterher überall kleine Supereinsatzleiter aus den Büschen und wissen alles besser.  

Sie waren während der vier Tage an den Einsatzbrennpunkten in Hamburg unterwegs. Was hat Sie am meisten beeindruckt? 

Wendt: Negativ: Als ich mit ansehen mußte, wie sogenannte Normalbürger, die am Rande standen, Beifall klatschten, als aus den Reihen der Gewalttäter Attacken gegen Polizeikollegen verübt wurden. Überhaupt, die schrecklichen Szenen der hemmungslosen und menschenverachtenden Gewalt gegen die Kollegen. Für mich war es reiner Zufall, daß kein Polizist ums Leben gekommen ist! Positiv: Die großartige Solidarität, die die ganz überwiegende Zahl der Anwohner den Kollegen bewiesen hat. Die Dankbarkeit, die Unterstützung mit Kaffee und Brötchen, die Einladung, die sanitären Einrichtungen in ihren Wohnungen zu benutzen – was während eines Einsatzes wichtig ist. Sowie die Kraft und das Engagement so vieler vor allem junger Kolleginnen und Kollegen, die bis zu fünfzig Stunden am Stück – mit vielleicht ein, zwei Stunden Ruhe – klaglos Dienst geleistet und nie das Vertrauen verloren haben. 






Rainer Wendt, ist Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), einer der großen Polizeigewerkschaften. Geboren wurde der Polizeihauptkommissar a.D. 1956 in Duisburg.

Foto: Spezialpolizisten am Samstag in Hamburg: „Fünfzig Stunden klaglos Dienst geleistet, mit vielleicht ein oder zwei Stunden Ruhe, und nie das Vertrauen verloren. Mein positivster Eindruck vor Ort war die Kraft und Einsatzbereitschaft so vieler, vor allem junger Kolleginnen und Kollegen. Und die Solidarität, die ihnen die große Mehrheit der Anwohner bewiesen hat.“ 

 

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