© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/17 / 14. Juli 2017

Türkei
Auf beiden Ohren taub
Marc Zoellner

Vergangenen Sonntag erlebte Istanbul die größte Massenkundgebung in der Geschichte der türkischen Nation: Anderthalb Millionen Menschen gingen auf die Straße, um gegen die autoritäre Politik des türkischen Präsidenten zu demonstrieren; gegen Menschenrechtsverletzungen und Massenverhaftungen, staatliche Willkür und die Aushebelung der Rechtsstaatlichkeit durch Recep Tayyip Erdogan. Allein – dieser reagiert nicht. Er scheint auf beiden Ohren taub bleiben zu wollen, wenn es um die Belange der Opposition geht. Mit seiner Mehrheit im Parlament – und auch jener hauchdünnen im Verfassungsreferendum – kann er sich das leisten. Fragt sich nur: Wie lange noch?

Auf diplomatischem Parkett ist Erdogan längst ins Rutschen gekommen: Die Verhandlungen zum EU-Beitritt liegen auf Eis. Zum Schicksal Syriens beraten Rußland und die USA mittlerweile über Ankaras Kopf hinweg. Seine militärische Unterstützung Katars verdrängt den türkischen Präsidenten von den Verhandlungstischen des Nahen Ostens auf die Zuschauerbank. Und nun macht auch noch die größte Oppositionspartei im eigenen Land gegen Erdogan mobil. Massenmobil. Sollte er nicht anstelle der Konfrontation auch Kompromisse zu suchen lernen, erwartet ihn in der Türkei ein unruhiger Sommer. Einer, der durchaus auch dazu geeignet sein könnte, über die politische Zukunft des türkischen Landesvaters zu entscheiden.