© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/17 / 07. Juli 2017

Medienanstalt nimmt „Streamer“ ins Visier
Internet: Einzelne Online-Kanäle sollen Rundfunklizenzen beantragen / Gefahr für nonkonforme Angebote?
Ronald Berthold

In großer Hektik versucht die Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen seit März, Video-Streamer unter ihre Fittiche zu bekommen. Diese sollen Rundfunklizenzen beantragen. Ob die Anträge genehmigt werden, entscheidet die Behörde. Ein Streaming-Dienst hat bereits aufgegeben und sendet nicht mehr. Sind das Vorboten, um unliebsamen Anbietern ihre Ausstrahlungen unmöglich zu machen? Betrifft das demnächst auch politisch inkorrekte Video-Produktionen wie die von der AfD oder konservativer Medien?

Bisher geht es hauptsächlich um Angebote, die Videospiele streamen. Die sogenannte „Let’s play“-Gemeinschaft fühlt sich gegängelt. Kürzlich ging bereits der Betreiber von „PietSmietTV“ vom Netz. Am 8. Mai war eine Frist abgelaufen, das Abfilmen von Computerspielen nur noch mit einer Rundfunklizenz betreiben zu dürfen. Eine solche staatliche Erlaubnis kostet zwischen 1.000 und 10.000 Euro. Ob sie überhaupt erteilt wird, ist unklar. 

Nicht so sang- und klanglos wie „PietSmietTV“ möchte der Anbieter „Gronkh“ abtreten, der ebenfalls auf dem Internetportal „Twitch“ sendet. Auch ihm teilte die Medienanstalt mit, er brauche ab sofort eine Lizenz, um weiterarbeiten zu können. Sein Kanal stelle „nach den geltenden Regelungen des Rundfunkstaatsvertrages“ möglicherweise „zulassungspflichtigen Rundfunk“ dar. Dagegen wehrt sich der „Gronkh“-Betreiber Erik Range nun mit Hilfe des Medienrechtsanwalts Jörg Schaller. Mehrere Schriftsätze hat dieser mit der Anstalt ausgetauscht.

Regelungen stammen aus dem analogen Zeitalter

Sollte der Jurist erfolglos bleiben, worauf die bisherigen Briefe der Landesmedienanstalt hindeuten, wird auch „Gronkh“ vom Netz gehen oder gravierende Änderungen seines Angebotes vornehmen müssen. Denn laut Rundfunkstaatsvertrag gilt es bereits als genehmigungspflichtig, wenn potentiell mehr als 500 Menschen gemeinsam dem Programm folgen. „Gronkh“ hat bis zu 680.000 Zuschauer.

Außerdem darf die Sendung weder journalistisch bzw. redaktionell bearbeitet sein. Daß die übertragenen Videospielabenteuer kommentiert werden, hat hier offenbar die Medienwächter auf den Plan gerufen. Eine Lizenz müssen die Betroffen laut Gesetz auch beantragen, wenn das Angebot nicht ausschließlich „persönlichen oder familiären Zwecken“ dient. Allein dieser Punkt dürfte auf so gut wie jedes Bewegtbild-Angebot im Internet zutreffen. Denn wer sendet schon nur für seine Eltern und Geschwister? Des weiteren zählt für die Behörden alles als Rundfunkangebot, das sich als Informations- und Kommunikationsdienst „an die Allgemeinheit richtet“, das die Nutzer weder zeitlich noch inhaltlich beeinflussen können und das entlang eines Sendeplans verbreitet werde.

Erkennbar stammen diese Regeln aus der Vor-Internetzeit, als es darum ging, wer im Radio oder Fernsehen ein Programm senden darf. Folgt man ihnen jetzt immer noch, bräuchten viele YouTuber eine Rundfunklizenz. Warum die Landesmedienanstalt diese nicht mehr zeitgemäßen Vorgaben nun so massiv und auf den letzten Metern der Amtszeit der rot-grünen Landesregierung anwendet, bleibt ein Geheimnis. Das neue schwarz-gelbe Bündnis hat in seinem Koalitionsvertrag angekündigt, sich des Problems anzunehmen. Darin heißt es: „Die Regeln für Streaming-Dienste passen wir an das digitale und konvergente Zeitalter an (keine Lizenzpflicht).“

Die unerwarteten Aktivitäten der nordrhein-westfälischen Landesmedienanstalt geben trotz der geplanten Gesetzesänderungen auf Landesebene einen Fingerzeig, welche Möglichkeiten die Behörden haben, Videos im Internet zu unterbinden. Denn es gibt in den übrigen Bundesländern 13 weitere Landesmedienanstalten, deren Mitglieder meist die Parlamente bestimmen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß politische Angebote zumindest vereinzelt nur noch mit Rundfunklizenzen verbreitet werden dürfen. Ob diese dann erteilt oder unerwünschte Stimmen mundtot gemacht werden, ist offen. Nach Jahren der freien Rede im Internet könnte sich diese Option – neben dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz von Justizminister Heiko Maas – zu einer weiteren Gefahr für die Meinungsfreiheit im Web entwickeln.