© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/17 / 07. Juli 2017

Vom IS befreit, aber weiter unsicher
Irak: Die Islamisten hinterlassen eine Spur der Verwüstung / Rückkehr mit Hindernissen
Marc Zoellner

In Mossul herrscht Feiertagsstimmung: Tausende Anwohner der einstigen Millionenmetropole am Tigris hatten sich dieses Wochenende auf den Straßen versammelt, um gemeinsam die vorbeimarschierenden Soldatenkolonnen zu begrüßen. Es ist ein Tag der Freude im Irak. Selbst vom Datum hätte er nicht besser fallen können. Denn genau vor drei Jahren war es, als der Anführer der Terrorgruppe Islamischer Staat am 29. Juni 2014 in der an-Nuri-Moschee, dem religiösen Heiligtum Mossuls, von seinen Anhängern zum Kalifen über deren weitläufig eroberte Gebiete im Irak sowie in Syrien ernannt worden war. 

Eklatante Versorgungsprobleme 

Mit dem Fall der Moschee, die von ihren Besatzern in Schutt und Trümmern zurückgelassen worden ist, konnte Haider al-Abadi vergangenen Donnerstag den Sieg über die radikalislamischen Terroristen ausrufen. „Die Rückkehr der al-Nuri-Moschee und des al-Hadba-Minaretts in den Schoß unserer Nation markiert das Ende des verlogenen Daesh-Staates“, verkündete der irakische Premier am 29. Juni 2017.

Acht Monate dauerten die Kampfhandlungen um die Einnahme der strategisch wichtigen Stadt, der zweitgrößten des Irak. Am Ende fand sich eine beinahe schon obskure Allianz ein, um den IS aus seiner Festung zu vertreiben: Kurdische Peschmerga drangen vom Norden her vor, um die an Mossul angrenzende Ninive-Ebene zu besetzen. Unterstützt wurden sie von turkmenischen Milizen und diese wiederum von der Türkei. Auch die irakischen Streitkräfte, die vom Süden her etwa um den Flußlauf des Tigris vorstießen, fanden nichtreguläre Mitstreiter: so wie jene Zehntausende bewaffnete Anhänger des Schiitenpredigers Moktada al-Sadr, die ihrerseits wiederum für den Kampf gegen den IS Geld und Waffen vom Iran beziehen. Auch die US-Luftwaffe trug mit Aufklärungsflügen sowie Präzisionsbombardierungen maßgeblich mit zur erfolgreichen Erstürmung Mossuls bei.

„In der Schlacht von Mossul konnten wir die Barrieren zerstören, an welchen der IS zwei Jahre lang gearbeitet hat“, erklärte ein Angehöriger der Bombenräumungseinheit der irakischen Polizei der Nachrichtenagentur Rudaw. „Der IS hat viele Schützengräben ausgehoben und Bomben vergraben. Dank Gott konnten wir jedoch alle entfernen und die Stadt ihren Bürgern zurückgeben.“

Die große Schlacht gegen den IS ist geschlagen – zumindest im Irak. Doch um einen tatsächlichen Sieg zu verkünden, ist es dieser Tage noch viel zu früh. Dies gleich aus zweierlei Gründen: Denn noch immer sitzen Tausende Zivilisten in den engen Gassen der Altstadt Mossuls gefangen. Teilweise ohne Nahrung, ohne Wasser und ohne Medikamente. Hier hält sich der IS auf gut einem Quadratkilometer Fläche verschanzt, in Kellern, Wohnstuben und Hinterhöfen, und schickt beinahe täglich Selbstmordattentäterinnen auf die Straße, um von seiner Niederlage abzulenken. Erst Anfang der Woche starben fünfzehn Menschen bei drei Suizidanschlägen in und um Mossul. Die Frequenz dieser Anschläge könnte sich, fürchten Experten, noch dramatisch erhöhen, je mehr sich der IS in die Ecke gedrängt fühlt.

Auch die Frage der Rückkehrer in die vom Krieg zerstörten Städte und Provinzen steht erst am Anfang ihrer Beantwortung: Insbesondere jener der christlichen Minderheiten. Eine Viertelmillion irakischen Christen hatten einst, bis zur Vertreibung durch die Milizen des IS, die Ninive-Ebene bewohnt. In dieser Gegend fand sich auch eine der ältesten christlichen Gemeinden der Welt. Doch wie die anderen ethnischen und religiösen Minderheiten der Region, die Jesiden und Turkmenen, mußten auch die Christen dem Ansturm der Radikalislamisten weichen, um ihrer drohenden Ermordung zu entgehen.

Christen ziehen nicht an einem Strang  

„Was soll ich denn tun, wenn ich zurückgehe?“ fragt Salim Yousif sich nach der Befreiung Mossuls. „Was gibt es da noch für mich? Es gibt dort keine Elektrizität mehr und kein Wasser und keine anderen Lebensgrundlagen. Wohin sollte ich zurückkehren? Mein Haus wurde niedergebrannt. Ich werde hier wohl bleiben müssen.“

Salim ist einer von rund 150.000 christlichen Flüchtlingen, die in den Bergen der autonomen Kurdenregion des Irak Zuflucht fanden – und bei ihrer Rückkehr in die Heimat nun vor den Trümmern ihrer Existenz stünden. Gut 70.000 fanden überdies Schutz in Europa. Die Rahmenbedingungen und Möglichkeiten ihrer Wiederansiedelung in der Ninive-Ebene war dieser Tage die zentrale Thematik einer Konferenz, die vom schwedischen Christdemokraten und EU-Abgeordneten Lars Adaktusson in Brüssel organisiert wurde. „Wir tragen eine Verantwortung als Europäische Union, hierbei zu assistieren. Es ist in unserem Interesse, daß das Mosaik von Völkern des Irak als solches erhalten bleibt, denn dies bringt der Region Stabilität“, erklärte Adaktusson das Ziel dieser Tagung. „Und Stabilität im Nahen Osten bedeutet ebenso, daß wir in Europa davon profitieren.“

Doch schon im Vorfeld fielen Schatten auf die Tagung: Gleich drei der zehn geladenen christlichen Parteien des Irak kündigten ihre Teilnahme auf. Die Konferenz, erklärte ein Sprecher der „Assyrian Confederation of Europe“, einer Dachorganisation, welche die Belange von rund einer halben Million Assyrer in der EU vertritt, zeige einen „deutlichen Vorsatz, die politische Diskussion zur Zukunft der Ninive-Ebene in eine Richtung zu steuern, welche sich mit der offenen Absicht der kurdischen Autonomiegebiete deckt, die Gegend zu annektieren“.

Die Forderung vieler christlicher Parteien nach einem Autonomiestatus wurde – trotz des Verweises auf den Status des Irak als Föderation – hingegen nicht bewilligt. Geeinigt werden konnte sich in Brüssel lediglich auf die Errichtung eines neuen Gouvernorats. Einer Provinz für die überwiegend christliche Minderheit, wie sie schon im Januar 2014, also vor dem Vormarsch der IS-Milizen von Bagdad geplant worden war. Allerdings ohne Selbstverwaltung, dafür jedoch mit dem „Recht auf Rückkehr“ der christlichen Minderheiten sowie einem noch zu spezifizierenden Wiederaufbau- und Aussöhnungsplan.

Diffus bleibt somit das künftige Schicksal der aus Mossul vertriebenen Christen. Viele von ihnen würden gern zurück in ihre Häuser, zu ihren Familien. „Wir möchten heimkehren“, erklärt Salim Yousif sein Zögern. „Aber wir möchten auch Sicherheit und Stabilität, so daß uns nicht wieder weh getan werden kann.“