© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/17 / 07. Juli 2017

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Große Koallision
Paul Rosen

Aus der Großen Koalition wird in deren Endphase die große Kollision und Konfusion: „Normalerweise wäre das ein Koalitionsbruch“, bewertete CSU-Chef Horst Seehofer die im Handstreich geführte Aktion der Sozialdemokraten, mit der bestehenden rot-rot-grünen Mehrheit im Bundestag am letzten Sitzungstag vor der mehrmonatigen Sommerpause die „Ehe für alle“ zu beschließen (siehe oben). SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann lud nach dem rot-rot-grünen Votum zum „Umtrunk“ in den Reichstag – ein regelrechter Triumph. Gefeiert wurde auch der Bruch des Koalitionsvertrages, in dem Union und SPD vereinbart hatten, in Ausschüssen und im Plenum nicht gegeneinander zu stimmen. Die Union blieb weitgehend stumm, nur Fraktionschef Volker Kauder hatte sich über den „Vertrauensbruch“ des Partners empört. Folgen hatte die Empörung nicht, auch die Fraktionssitzung der Union am Dienstag verlief nicht unbedingt hitzig. 

Normalerweise hätte Kanzlerin Angela Merkel die SPD-Minister zur Entlassung zum Bundespräsidenten schicken und damit die Koalition beenden müssen. Eine historische Parallele ist der Bruch der sozialliberalen Koalition in Bonn 1982. Damals hatte der FDP-Vorsitzende und Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff an Kanzler Helmut Schmidt (SPD) ein 34seitiges „Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“ geschickt. Es war eine Generalabrechnung mit der bisherigen Politik von Schmidt. Rot-Gelb war damit beendet.

Lambsdorff hatte nur ein Papier geschrieben, was zum Ende der Regierung führte. Es gab keine Abstimmung im Bundestag darüber. Dagegen haben SPD-Chef Martin Schulz und Oppermann für einen Systembruch in Deutschland gesorgt – ohne daß dies Folgen für sie hat. 

Im Rechtsausschuß des Bundestages am Mittwoch gab es zunächst eine Debatte, ob ein Gesetzesantrag des Bundesrates zur „Ehe für alle“ auf die Tagesordnung gesetzt werden sollte. Das setzten SPD, Linke und Grüne gegen Protest aus der Union durch. Danach wurde kurz diskutiert und abgestimmt, wobei sich ein Teil der Unionsredner schon auf die Seite von Rot-Rot-Grün schlug. Dann „haben die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD geschlossen gegeneinander gestimmt“, schrieb der Bundestagspressedienst. Normalerweise wäre nach einem so schwerwiegenden Vorgang die Sitzung abgebrochen oder wenigstens unterbrochen worden. 

Doch mitnichten: Es ging munter weiter. Als ob nichts geschehen wäre, nahmen CDU/CSU und SPD ihre Koalition im Rechtsausschuß wieder auf und beschlossen Punkt für Punkt gemeinsame Änderungsanträge zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz von Justizminister Heiko Maas. In der Schlußabstimmung spielten Union und SPD große Einigkeit und beschlossen den wegen seines Zensurcharakters in der Union heftig umstrittenen Entwurf von Maas. Auch in den anderen Ausschüssen praktizierten Union und SPD großkoalitionäre Geschäftigkeit, als wenn nichts geschehen wäre. Aber es war etwas geschehen: Deutschland wurde in dieser Woche verändert.