© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/17 / 30. Juni 2017

Eine letzte gute Tat
Körperspender vermachen ihren Leichnam einem anatomischen Institut zu Lehr- und Forschungszwecken
Martina Meckelein

Kein einziger Name steht auf dem großen Grabstein des Leipziger Friedhofs, nur ein Satz: „Den Toten, die Euch den Lebenden halfen“, darunter: „Universität Leipzig Anatomisches Institut“ und eine Jahreszahl: „1999“. Der Gedenkstein ehrt Körperspender. Das sind Menschen, die ihren Körper nach dem Tod der Lehre, Wissenschaft und Forschung überlassen. Einmal im Jahr danken der Direktor des Instituts für Anatomie, Ingo Bechmann, und seine 350 Medizin- und Zahnmedizinstudenten den Spendern und deren Hinterbliebenen in einer ganz besonderen Feier für ein eben ganz besonderes Geschenk, das ihnen gemacht wurde. „Mich beeindruckt immer wieder, und das nehme ich auf dieser Feier wahr, daß die Angehörigen der Spender wirklich merken, wie dankbar wir ihnen sind“, sagt der 48jährige Medizinprofessor. „Ihre Spende ist für uns ein Geschenk, das wir unendlich zu schätzen wissen.“

Am Mittwoch, dem 5. Juli, wird in der Peterskirche in der Riemannstraße wieder der Spender gedacht. Einer von ihnen heißt Kurt Paul Alt. Geboren am 15. Februar 1939 in Thüringen, gestorben am 22. Januar 2016 in Leipzig. In der Kirche wird auch seine Frau Renate (82) sein. „Vor einigen Jahren annoncierte die Universität in einer Zeitung, daß sie tote Körper für die Wissenschaft brauchen“, erinnert sich seine Witwe. 32 Jahre waren sie verheiratet. Ihr Mann hatte als Tischler, Maschinengraveur und Modellbauer gearbeitet. Die Kattowitzerin, ihre Familie floh 1945 nach Leipzig, hält nichts von Organspenden. „Mein Mann auch nicht, aber eine Körperspende, die fanden wir richtig“, sagt sie. „Es ist ein Gefühl über den Tod hinaus, anderen Menschen helfen zu können.“

Nüchterne Leute, die den Aberglauben besiegt haben

Nüchterne Leute, die den Aberglauben besiegt haben, nennt Bechmann Menschen wie Renate Alt. „Schließlich steckt doch in jedem von uns der Gedanke an die Auferstehung des Fleisches, so wie es viele noch im Glaubensbekenntnis gelernt haben.“ Die Eheleute meldeten sich in der Uni. „Die schickten uns die Formulare zu. Die ließen wir dann allerdings erst einmal in der Schublade liegen“, erinnert sich Renate Alt. „Aber irgendwann dachte ich, jetzt ist Schluß, jetzt unterschreib das endlich.“ Sie mußten dann rund 1.000 Euro zahlen. „Früher waren Körperspenden ja kostenlos, die Universität kam für die Beerdigung auf, doch seit dem Wegfall des Sterbegeldes zahlt der Spender für die Bestattung. Aber das war uns egal. Es ist doch auch so, daß man den Kindern eine Grabpflege nicht zumuten will. Unsere beiden Söhne wohnen zum Beispiel nicht in Leipzig“, so Renate Alt. Bechmann hat solche Überlegungen in Gesprächen mit Spendern häufig gehört: „Die Eltern wollen ihren Kindern keine Unannehmlichkeiten und keine Arbeit bereiten.“

Alts besuchten, nachdem die Entscheidung gefallen war, häufig gemeinsam den Gedenkstein für die Spender. „Er ist herrlich, und es ist ein schöner Ort“, sagt Alt. „Wie oft standen wir, mein Mann und ich vor dem Stein und sagten uns, eines Tages werden wir hier gemeinsam liegen. Daß es dann so schnell gehen würde, haben wir natürlich nicht voraussehen können.“

Kurt Paul Alt erkrankte 2012 an Parkinson. „Er hatte die schwerste Form, die man sich vorstellen kann. Die letzte Zeit lag er im Heim, konnte sich nicht mehr rühren“, sagt seine Frau. Nachdem Kurt Paul Alt gestorben war, kam er ins Anatomische Institut, so wie er es zuvor entschieden hatte. „Bei uns wird dann der Körper erst einmal fixiert“, erklärt Bechmann die weitere Verfahrensweise. „Wir durchspülen den Toten mit Alkohol und Glycerin, um ihn haltbar zu machen. So ist auch seine Lagerung bei Raumtemperatur möglich.“

Zwölf bis 15 angehende Mediziner können an einem Präparat, also einem Spender, ausgebildet werden. „Diese Ausbildung ist von ungeheurer Bedeutung. Denn die Dreidimensionalität des menschlichen Körpers können sie nicht zweidimensional in einem Buch darstellen“, sagt Bechmann. Darüber hinaus werden auch OP-Techniken an Körperspendern gelehrt, in Leipzig zum Beispiel eine effektivere OP-Methode bei Muttermundkrebs. Sie führt zu einer höheren Überlebensrate. Es wurde errechnet, so die Uni, daß in diesem Fall eine Spende 2.600 Menschen 83.200 Lebensjahre schenkte. 14 Tage nachdem ihr Mann gestorben war, lud Renate Alt zu einer Trauerfeier nach Leipzig ein. „Zwiespältig in der Zeit war, daß mein Mann ja noch über der Erde war. Dieses Gefühl war auf der einen Seite schön, auf der anderen Seite konnte ich schlecht abschließen“, sagt die Witwe.

„Darauf können wir stolz sein“

„Ehrlicherweise muß man sagen, daß man den Verbliebenen auch etwas aufbürdet“, sagt Bechmann. „Denn die Wartezeit bis zur endgültigen Beerdigung kann bis zu drei Jahre betragen.“ Renate Alt telefonierte nach dem Tod ihres Mannes deshalb öfter mit der Uni. „Ich sprach mit einer verständnisvollen Mitarbeiterin, fragte sie einmal, ob mein Mann ihr und den Kollegen habe helfen können. Und da sagte sie aus vollstem Herzen ‘Ja’. Das tat mir natürlich gut, und es bestätigte mich in der Entscheidung.“

Ende Dezember 2016 informierte die Universität Renate Alt, daß am 9. Februar die Beisetzung ihres Mannes stattfinden würde, in einem Gemeinschaftsgrab auf dem Leipziger Friedhof, das 50 Urnen faßt. „Von dem Tag an fand ich dann ein bißchen Ruhe.“

Die feierliche Ehrung ihres verstorbenen Mannes durch Studenten der Universität, die ihn vielleicht selbst untersucht haben, empfindet Renate Alt als richtig: „Diese jungen Menschen zeigen uns damit, wieviel sie von unseren Lieben, also eben auch von meinem Mann gelernt haben. Ich finde, die Körperspende ist eine gute Tat, und darauf können wir stolz sein.“





Körperspenderausweis

Wer sich für eine Körperspende entscheidet, unterzeichnet einen Vertrag, zum Beispiel mit dem Institut für Anatomie und Zellbiologie der Uni Heidelberg oder dem Institut für Anatomie der Uni Leipzig zur „letztwilligen Verfügung“. Dann erhält er einen Körperspenderausweis. Der Spender kann die Einwilligung jederzeit rückgängig machen. Im Sterbefall wird das jeweilige Institut informiert, es veranlaßt die Überführung. Erst nach einer dort durchgeführten zweiten Leichenschau wird der Körper fixiert. Alle bei der Präparation anfallenden Gewebeteile des Spenders werden gesammelt und am Ende der Analysen  mit ihm bestattet. Wurde der Verstorbene schon zuvor pathologisch oder gerichtsmedizinisch untersucht, hatte er eine infektiöse Erkrankung oder einen schweren Unfall, können das Ausschlußkriterien für eine Spende sein. Eine zuvor gezahlte Bestattungsbeteiligung würde dann zurückgezahlt. Das Leipziger Institut erhält im Jahr 120 Körperspenden.

 ana.uni-heidelberg.de/

 anatomie.medizin.uni-leipzig.de