© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/17 / 30. Juni 2017

Zeitungen auf Deutschlandtour
Zur Bundestagswahl erklären uns die „Zeit“ und die „taz“ unser Land
Ronald Berthold

Wenn Bundestagswahlen anstehen, machen es Journalisten ähnlich wie Politiker. Sie gehen „raus zu den Menschen“. Sie möchten ihre Filterblase verlassen und berichten, was wirklich los sei in Deutschland. Die Wochenzeitung Die Zeit und die Tageszeitung taz haben dafür sogar eigene Ressorts gegründet. Sie versuchen die Frage zu beantworten, wie die Deutschen wirklich ticken. Ernstgemeintes Anliegen oder verschenkte Chance? Die JF hat nachgeschaut.

Die taz betont mit ihrem Schwerpunktthema „meinland“, was für Journalisten 365 Tage im Jahr selbstverständlich sein sollte: „Wir verlassen unsere Schreibtische und wollen raufinden, ob wirklich alles so nervös ist.“ Die Redaktion frage zugleich: „Wo sind denn eigentlich die Probleme?“ Tja, wo sind sie? Es geht bei der Artikel-Reihe um die typischen taz-Themen. Projektleiter Jan Feddersen gibt in einem Videospot die Devise vor: „Ich glaube, daß wir den Kampf gewinnen können, für eine offene Gesellschaft.“

Weniger zuhören als missionieren

So entsteht der Eindruck, die taz möchte bei ihrer Reise an 50 Orte in Deutschland weniger zuhören als missionieren. Beispiel Burladigen im Zollernalbkreis. Dort regiert seit 1999 Bürgermeister Harry Ebert – ein Parteiloser, der nun angeblich AfD-Nähe erkennen lasse. Auch die Sprache ist die übliche: Ebert mache „mit rechter Hetze auf sich aufmerksam“. Das Blatt geht der Frage nach, wie man diesen Bürgermeister loswerden könnte. Es lägen Unterschriftenlisten aus, doch kaum ein Burladinger wolle unterschreiben. Die Initiatoren erklären, das liege an der Furcht der Menschen. Die taz läßt eine Frau anonym zu Wort kommen, die einen Bezug zum Dritten Reich herstellt: „Es kann nicht sein, daß uns die Angst hindert – das hatten wir schon einmal in Deutschland. Ich laß mich nicht mehr in die braune Suppe werfen!“ Da klingen die Worte von Co-Projektleiterin Barbara Junge noch einmal ganz neu, wenn sie die Motivation von „meinland“ erklärt: „Die gesellschaftliche Debatte ist schrill geworden. Wir suchen Leute, die wirklich sprechen wollen, die den demokratischen Dialog suchen.“

Nicht viel anders sieht ein Bericht aus Mannheim aus, wo die AfD bei der Landtagswahl ein Direktmandant errang. Obwohl es dort so viele „positive Erfahrungen“ mit Multikulti gebe, hätten viele Mannheimer die junge Partei gewählt, beklagt die taz. Und dann dürfen der ehemalige Koranlehrer Bektas Cezik und Ilyes Mimouni vom Stadtjugendring Mannheim erzählen, „wo der Schuh drückt“. All das liest sich wenig mutig und neu. 

Während die taz über ausgetretene Pfade marschiert, hat sich die Zeit mit ihrem Projekt #D17 tatsächlich nach „Deutschland ab vom Wege“ aufgemacht, um Stimmungen einzufangen. 

Die Idee, die dem gleichnamigen Buch von Redakteur Henning Suße-

bach zugrunde liegt, der auf einer 50tägigen Wanderung vom Darß bis zur Zugspitze nur mit der Landbevölkerung gesprochen hat, ist tatsächlich innovativ. Und so kann Zeit Online das als Begründung für die Serie gemachte Versprechen einlösen: „Wir haben etwas gelernt: von Trumps Wahl, vom Brexit, von der neuen Gefahr von Desinformation und Propaganda. Deshalb gründen wir ein Ressort – nur für dieses Jahr: #D17. Im Jahr der Bundestagswahl wollen wir darin Deutschland Deutschland erklären.“

In den Serien „Heimatreporter“ und „Überland“ fahren Reporter quer durch die Republik und berichten über Entwicklungen, Probleme und Anliegen vor Ort. In dem Projekt „Deutschland spricht“ brachte die Zeit 600 gegensätzliche Paare über ein Frage bogen-Casting zusammen, die in ihrer jeweiligen Nachbarschaft politische Streitgespräche führten. Viele Reaktionen zeigen, daß trotz der oftmals gezeichneten Gefahr einer bipolaren Spaltung der Gesellschaft ein Dialog trotz unterschiedlicher Meinungen immer noch funktionieren kann.

Das Konzept von #D17 gelingt durchaus. Sußebach schreibt zum Beispiel: „Trotzdem haben Menschen wie ich – nicht nur Journalisten, auch Filmregisseure, Professoren, Politiker und viele Talkshowdauergäste – einen Fehler gemacht: Wir waren träge. Das ist ein schwerer Vorwurf an Leute, die von Berufs wegen neugierig sein sollten. Unser Kontakt zu viel zu vielen Menschen ist gerissen. Vor allem zu jenen auf dem Land.“ 

Im Mediendienst kress.de spricht er über die Konsequenzen, die sich daraus für seine Arbeit ergeben: „Durch diese überraschenden Erfahrungen mahne ich mich jetzt selbst, nicht mehr so schnell mein Urteil zu fällen. Oder schon in Konstellationen und Fronten zu denken, wenn ich eine Recherche beginne.“

Daß der Zeit-Redakteur den selbstverständlichsten Sinn journalistischer Arbeit betont und nun gelobt, nicht schon vor Beginn einer Recherche deren Ergebnis zu kennen, macht Hoffnung, zeigt aber auch, wie sehr sich der Journalismus von seiner Kernaufgabe – der Berichterstattung – entfernt hat. Würde dies mehr Reportern bewußt, dürfte sich #D17 gelohnt haben; weniger für die Leser als für die Redaktion.

 www.zeit.de

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