© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/17 / 30. Juni 2017

Eine gute Sache bestätigen
Herrschaft: Der französische Historiker Pierre Rosanvallon arbeitet den Unterschied von nomineller und faktischer demokratischer Regierung heraus
Felix Dirsch

Pierre Rosanvallon gilt als einer der Protagonisten des gegenwärtigen Diskurses über Demokratie in Europa. Besonderes Aufsehen erregten seine Studien über „Demokratische Legitimität“ und „Die Gesellschaft der Gleichen“. In seinem jüngsten Werk hat der französische Historiker nun ein altes Thema neu beleuchtet: die gute Regierung und ihre Voraussetzungen. Rosanvallon möchte Varianten der Volksherrschaft aufzeigen, nicht nur dem Namen nach demokratische Herrschaftsmechanismen darstellen.

Über Jahrhunderte hinweg entstanden im Anschluß an antik-mittelalterliche Grundlagen zahllose Fürstenspiegel. Erzieher von künftigen Herrschern vermittelten ihren Zöglingen, welche Regentschaft gut ist und auf welche Weise eine solche unter den gegebenen Umständen errichtet werden könne. Im 18. Jahrhundert erschien die politisch-gesellschaftliche Welt zu komplex, um sie nur einem anzuvertrauen. Der Rousseausche Gemeinwille, in der Sicht Rosanvallons transparenzfördernd, mutierte mehr und mehr zum Schlüssel der Überwindung der vorrevolutionären Krise. Spätestens die Ereignisse der Französischen Revolution zwangen jedoch zum Überdenken einer solchen Lösung.

Rosanvallon wirft besonders einen Blick auf die französische Geschichte, die nach 1789 weithin als Wechselspiel zwischen charismatischen Herrschern und parlamentarischen Mehrheiten begriffen werden kann. Im Vordergrund seiner Überlegungen nach dem politischen Beben in Frankreich steht weniger die traditionelle „gute Regierung“, wie der Titel suggeriert, sondern mehr das Streben der Exekutive nach Vorherrschaft. Es beginnt mit Napoleon, der den einen als Vollender, anderen als Totengräber des epochalen Umbruches erscheint. Spätestens nach seiner Kaiserkrönung sahen viele jedoch klarer. Kaiser Napoleon III., in modernen plebiszitären Legitimationsstrategien versiert, versuchte vergeblich, das Werk seines Onkels zum Erfolg zu führen.

Seither setzten sich in Europa diverse personalisierte Herrschaftsvarianten durch. Eine von ihnen beschleunigte den Untergang der Weimarer Republik. Unter maßgeblicher Mitwirkung Max Webers schuf die republikanische Verfassung nach dem Ersten Weltkrieg einen Ersatzmonarchen, den Reichspräsidenten, der dem Parlamentarismus den Todesstoß versetzte.

Das Ende der deutschen Diktatur beschleunigte überall in den freien Ländern des Westens den Übergang zu politischen Systemen, die einem etwaigen Mißbrauch am ehesten einen Riegel vorschieben können – so eine weithin geteilte Ansicht. Wieder einmal scherte Frankreich aus. Die Herrschaft Charles de Gaulles mit der Fülle an politischer Macht, die dem Präsidenten zustand, bedeutete die wohl tiefste Zäsur im europäischen politischen System zwischen 1945 und 1989. 

Rosanvallon verbleibt jedoch nicht bei der historischen Betrachtung. Er unterbreitet Vorschläge für die Gegenwart. So fordert er Vertrauenspersonen an die Macht, die vor allem Integrität verkörpern und die Ansichten der Beherrschten bestätigen sollen. Folglich spricht er von „Bestätigungsdemokratie“. Der so wirkmächtige Autor stellt sich dabei in eine Traditionslinie, die Lügen und Täuschungen aufzudecken versucht. Er hebt namentlich Persönlichkeiten wie Hannah Arendt, Julian Assange und Edward Snowden hervor, ebenso Mobilisierungs- und Partizipationsinitiativen wie die Occupy-Bewegung.

Ganz so rosarot ist die politische Welt indessen nicht. Rosanvallon kommt auch in seiner aktuellen Untersuchung über die Gleichsetzung von Idealismus und Vernunft nicht hinaus. Das mindert ein wenig den Wert des Werks, das nicht weniger als einer „demokratischen Revolution“ den Weg bereiten will.

Pierre Rosanvallon: Die gute Regierung. Aus dem Französischen von Michael Halfbrodt, Hamburger Edition, Hamburg 2016, gebunden, 376 Seiten, 35 Euro