© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/17 / 30. Juni 2017

Euterpe, hilf!
Brotlose Kunst: Dichtervereinigungen fordern ein bedingungsloses Grundeinkommen für Lyriker
Richard Stoltz

Der Georg-Büchner-Preis, der dieses Jahr an den Naturlyriker Jan Wagner verliehen wird, gilt als der angesehenste deutsche Literaturpreis, dotiert zur Zeit mit 50.000 Euro. Das ist eine ansehnliche Summe, von der man eine Weile ordentlich leben kann, auch wenn man „nur“ in seinem stillen Kämmerlein sitzt und sich Verse ausdenkt. 

Wagner ist der erste „genuine Lyriker“, der den Preis erhält. Seine unmittelbaren Vorgänger, Marcel Beyer, Reinald Goetz, Jürgen Becker, schreiben zwar ebenfalls gelegentlich Gedichte (wer tut das nicht?), rangieren in der Branche aber eher als Prosaschreiber oder – siehe Goetz – als „Ereigniskünstler“. Wagner ist insofern ein Novum und erregt als solches die Gemüter. Wie kann ein „reiner“ Lyriker ohne ererbtes Vermögen, so wird gefragt, überhaupt von seiner Arbeit leben?

JanWagner (45) ist nun freilich kein typisches Beispiel, er verstand es von Anfang an blendend, mit dem Kulturbetrieb umzugehen, und lebte von den vielen Stipendien und Preisen, die er regelmäßig erhielt, bisher mehr als dreißig an der Zahl, davon einige sehr gut dotiert. Was aber geschieht mit den vielen auch begabten Nur-Lyrikern, die weniger Glück und Geschick haben als Wagner? Müssen die am Hungertuch nagen?

Schon hängen sich Dichtervereinigungen aus dem Fenster und verlangen ein „bedingungsloses Grundeinkommen“ für Lyriker sowie höhere Honorare für Lesungen. Sie berufen sich dabei auf eine „Studie zur Einkommenssituation von Dichter*Innen in Deutschland“, die die kargen wirtschaftlichen Lebensgrundlagen von Lyrikern aufdeckt.

Der Lyriker künftig als Angestellter mit festem Gehalt und vorgeschriebenem Produktionsausstoß? Wo leben wir denn? Sind wir schon wieder beim DDR-Minister Johannes R. Becher und seiner Staatslyrik angelangt? Da kann man wirklich nur noch ausrufen: Euterpe, hilf! Euterpe war bei den alten Griechen die Muse der Lyriker, die jeden von ihnen sowohl vor eigenem Hochmut als auch vor dem Zugriff der Polis, des Staates, zuverlässig schützte.