© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/17 / 30. Juni 2017

„Fair“ ist das Zauberwort
Global Migration Governance: Die weltweite Migrationspolitik gleicht einem ineffektiven Flickenteppich / Von Rückführung ist selten die Rede
Stefan Michels

Wenn Ende Juni das Globale Forum über Migration und Entwicklung (GFMD) in Berlin zu seiner jährlichen Konferenz zusammentritt, wird das nur wenige Bundesbürger aufhorchen lassen. Das seit 2007 stattfindende Treffen nachgeordneter Ministerialbeamter zu Fragen der internationalen Migrationspolitik genießt in der öffentlichen Aufmerksamkeitsökonomie bisher nicht gerade oberste Priorität. Ort und Zeitpunkt des Forums sind aber kein Zufall. Die historisch beispiellose Grenzverzichtspolitik der Regierung Merkel hat Deutschland innerhalb kürzester Zeit zum Brenn- und Mittelpunkt internationaler Wanderungsbewegungen gemacht. 

Das GFMD gilt als die wichtigste internationale Kommunikationsplattform für die Steuerung und Regelung globaler Wanderungen (Global Migration Governance). Zugleich zeigt es aber auch die Grenzen dieses Ansatzes. Die Kontrolle über Grenzen und Einwanderung gehört neben dem physischen Gewaltmonopol seit jeher zu den staatlichen Kernkompetenzen schlechthin. Der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan siedelte das Forum deshalb absichtlich außerhalb der UN-Institutionen an, um Befürchtungen der Mitgliedsländer über einen möglichen Souveränitätsverlust zu zerstreuen. 

„Entwicklungseffekte“ für Herkunfts- und Zielländer

Das Forum wird in erster Linie von Regierungsvertretern sowohl aus Industrie- als auch aus Entwicklungsländern beschickt, Delegierte der sogenannten Zivilgesellschaft spielen bislang nur eine Nebenrolle. Der Charakter der bewußt als „Runde Tische“ ausgelegten Gespräche ist informell – die Beschlüsse entsprechend nicht bindend. Was den staatlichen Akteuren schon beinahe zuviel ist, geht anderen nicht weit genug. Globalistische Kritiker geißeln das GFMD als bloße „Laberbude“ und fordern mehr Mitbestimmung.

Die Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) Steffen Angenendt und Anne Koch sehen dies  in ihrer Studie „‘Global Migration Governance’ im Zeitalter gemischter Wanderungen“ anders. Derzeit stünden wichtige Weichenstellungen an, was die inhaltliche und institutionelle Weiterentwicklung der flüchtlings- und migrationspolitischen Zusammenarbeit betreffe. Den Forschern zufolge enthalten die 2015 verabschiedeten „Sustainable Development Goals“ (SDGs) der Vereinten Nationen migrationspolitische Ziele und Indikatoren, die für alle Staaten bindend seien. So verlangt die UN mit dem Nachhaltigkeitsziel Punkt 10.7  die UN eine „geordnete, sichere, reguläre und verantwortungsvolle Migration“, die die „Mobilität von Menschen“, unter anderem durch die Anwendung einer „planvollen und gut gesteuerten“ Migrationspolitik erleichtern muß.

Zudem, so die SWP-Wissenschaftler weiter, habe die Staatengemeinschaft im September 2016 beschlossen, innerhalb von zwei Jahren zwei globale Abkommen zu Flucht und Migration zu erarbeiten. Beide Abkommen würden sich auf das internationale Institutionengefüge auswirken. Zum einen werden dabei das Verhältnis und die Aufgabenteilung zwischen den drei im Bereich Migration und Flucht maßgeblichen Organisationen (Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), Internationale Organisation für Migration (IOM) und die  Internationale Arbeitsorganisation (ILO)) neu austariert. Zum anderen sei absehbar, daß die bestehenden zwischenstaatlichen Konsultationsforen weiter an politischem Gewicht gewinnen und eine neue Rolle in der Zusammenarbeit erhalten werden. Dies betreffe insbesondere eben das GFMD sowie den UN High Level Dialogue on Migration and Development (HLD).

Für Deutschland geht es nun zunächst darum, Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen und Möglichkeiten der internationalen Zusammenarbeit auszuloten. Die Übernahme des Co-Vorsitzes durch Marokko unterstreicht die Schlüsselrolle, die der Sicherung der nordafrikanischen Flanke zukommt. Bereits im März 2016 hatte der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für  Integration und Migration die Bundesregierung dazu aufgerufen, die „globale und faire Migrationspolitik strategisch“ mitzugestalten. Nur eine nachhaltige globale Migrationspolitik könne dazu beitragen, daß Migration „positive Entwicklungseffekte für Herkunfts- und Zielländer und für die Migranten selbst“ erziele.

Doch während es im globalen Handel umfangreiche Regeln und Steuerungsinstanzen gebe, gleiche die weltweite Migrationspolitik einem „Flickenteppich“. Es gebe bislang für „freiwillige“ Migration kein eigenes, umfassendes internationales Abkommen und keine UN-Organisation für Migration – die Internationale Organisation für Migration (IOM) sei „lediglich eine zwischenstaatliche Instanz ohne normative Aufsichts- und Führungsfunktion.“  

Ob das Forum aber der geeignete Diskussionsort für die Rückführung von Millionen von Wirtschaftsmigranten und Kriegsflüchtlingen ist, bleibt fraglich. Das diesjährige Thema lautet „Hin zu einem globalen Sozialvertrag über Migration und Entwicklung“. Einleitend wird zwar der Wert von Partnerschaft, Inklusivität und Kooperation zwischen allen betroffenen Parteien betont. Im Mittelpunkt der sechs angesetzten Debatten stehen aber eher die Belange der Migranten. 

Die gastgebenden Völker scheinen dem Konferenzzuschnitt nach zu urteilen keine eigenen wirtschaftlichen oder kulturellen Eigeninteressen zu besitzen. Oder sie werden, wie seitens Ulrich Kober, Direktor bei der Bertelsmann-Stiftung, sogar als Nutznießer der Migrationsströme erachtet: „Deutschland hat die Chance, tatkräftig an einer neuen multilateralen Ordnung für faire Migration mitzuwirken. Migration darf nicht nur für die Zielländer einen Gewinn an Arbeitskraft bedeuten, sondern muß auch für die Entwicklung der Herkunftsländer und die Migranten von Vorteil sein.“ 

Woher Kober den Optimismus nimmt, daß Masseneinwanderung den Zielländern überhaupt einen wirtschaftlichen Vorteil verschafft, ist allerdings unklar. Laut dem Bildungsökonomen Ludger Wößmann etwa gelten „zwei Drittel der jungen Syrer nach internationalen Bildungsstandards als funktionale Analphabeten“ – wohlgemerkt in ihrer Heimatsprache Arabisch. Die Defizite der Schüler beim Schreiben, Lesen und Rechnen sind so groß, daß „diese Schüler in Deutschland, selbst wenn sie Deutsch gelernt haben, kaum dem Unterrichtsgeschehen folgen können.“ 

Selbst für Kanada, das mit seinem vorgeblich an der Ausbildung und Arbeitsqualifikation ausgerichteten Punktesystem gerne als Goldstandard gewinnbringender Arbeitsmigration angepriesen wird, ist Einwanderung aus der Zweiten und Dritten Welt ein ausgesprochenes Verlustgeschäft. Laut Berechnungen des kanadischen Ökonomieprofessors Herbert G. Grubel konsumieren Immigranten durchschnittlich umgerechnet 4.000 Euro mehr an staatlichen Leistungen, als sie an Steuern abführen. Die Mehrbelastung für die Steuerzahler beträgt dadurch 20 Milliarden Euro pro Jahr – just dieselbe Summe, die der laufende Bundeshaushalt für den jährlichen Unterhalt von Flüchtlingen und Asylanten vorsieht. Die Frage, ob solche gewaltigen Transferleistungen bei einer Arbeitslosenquote von 6 bis 7 Prozent, wie sie unter den Einheimischen beider Länder besteht, überhaupt gerecht sind, dürfte aber auf dem Forum kaum thematisiert werden. Zu der thematisch einseitigen Ausrichtung des GFMD gesellt sich nämlich der enge Zuschnitt der „Zivilgesellschaft“, die zu den Gesprächen zugelassen ist.  Es sind Caritas, Amnesty International, Rotes Kreuz, dazu verschiedene migrationistische Interessenverbände, die an den Tisch drängen. 

Die Fragestellungen der Experten drehen sich darum, wie globale Migration geregelt, verwaltet und „zum Nutzen aller“ gestaltet werden soll. Daß sie aber als Ganzes unterbunden oder an den Grenzen abgewiesen wird, liegt außerhalb der Diskussionskorridore. 

Dabei beweist das Beispiele Australiens, daß ein praktisch vollständiger Schutz gegen illegale Einwanderer sowohl zu Lande als auch zu Wasser mit relativ geringen Mitteln möglich ist – sofern der politische Wille vorhanden ist. Die globalistische Verfaßtheit des gesamten Diskurses findet ihre logische Fortsetzung in dem Ruf nach Schaffung einer übergeordneten „globalen Migrationsinstanz“. 

Nationalstaat auf verlorenem Posten?

Tatsächlich herrscht in diesem Bereich im internationalen System bislang ein relatives Vakuum. Zwar befaßt sich die Internationale Organisation für Migration (IOM) mit diesem Thema, die über 160 Mitgliedstaaten verfügt und jüngst zur Unterorganisation der Vereinten Nationen aufgewertet wurde. Ihr Apparat wurde aber bewußt klein gehalten, und ihr direkter Einfluß ist aus Furcht vor Widerstand noch marginal, da ein Machtzuwachs zwangsläufig einen nationalstaatlichen Souveränitätsabfluß nach oben und außen erfordern würde. 

Aus Sicht der Global Migration Governance ist dieser Bedeutungsverlust jedoch ohnehin eine Tatsache. Deshalb argumentiert sie, daß der Nationalstaat mit multinationalen Kooperationen „vielmehr Handlungsmacht in Politikfeldern zurückgewinnen würde, die er mit herkömmlichen Politikansätzen nicht bewältigen kann“, so der Freiburger Politikwissenschaftler Stefan Rother.

Der zunehmende politische Einfluß der Global Migration Governance wurde in der Flüchtlingskrise offenbar. Nach monatelangem Zuwarten griff die Regierung Merkel mit dem Türkei-Deal auf ein außer Haus erstelltes Konzept zurück, das der bis dato unbekannte Leiter der „Europäischen Stabilitätsinitiative“ (ESI) Gerald Knaus ausgearbeitet hatte. 

Die ESI wird von den Open Society Foundations (OSF) des amerikanischen Milliardärs George Soros finanziell mitgetragen. Die Stiftungsgruppe finanziert quer über Europa und Nordamerika globalistische und migrationistische Gruppen, die sich für eine Aufweichung der Grenzen und Schwächung der Volkssouveränität einsetzen.