© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/17 / 30. Juni 2017

Erinnerungen an den Sommer 1914
USA/Rußland: Die einst erwartete Entspannung zwischen dem Weißen Haus und dem Kreml ist schon lange verpufft
Thomas Fasbender

Wer erwartet hatte, ein Sieg von Donald Trump bei den US-Präsidentschaftswahlen würde eine Phase der Entspannung zwischen Rußland und den USA einleiten, ist längst eines Besseren belehrt. Der russische Präsidentenberater Sergej Karaganow fühlt sich bereits an den Sommer 1914 erinnert. Daß es bislang nicht zum Krieg gekommen sei, meinte er jüngst in Berlin, liege einzig allein daran, daß alle relevanten Akteure über Atomwaffen verfügten. Im Juni kam es zu weiteren Eskalationen in dem inzwischen extrem belasteten Verhältnis. Genau zur Monatsmitte verabschiedete der US-Senat mit 98 zu zwei Stimmen neue antirussische Sanktionen, vor allem gegen die dortige Öl- und Gaswirtschaft. Sanktionen, von denen auch deutsche Unternehmen betroffen sind. 

Diesen Kurs hätte Moskau von Hillary Clinton erwartet  

Diesmal versuchten die USA gar nicht erst – wie noch unter Trump-Vorgänger Barack Obama –, die Maßnahmen als rein politisch darzustellen. Ganz offen ist die Rede davon, der Verflechtung der europäischen Energie-Infrastruktur mit Rußland zugunsten des Vertriebs amerikanischen Flüssiggases entgegenzuwirken. Die russische Regierung arbeitet bereits an Gegensanktionen.

Drei Tage später schoß ein US-Kampfflugzeug einen syrischen Jagdbomber vom Typ Suchoi-22 im syrischen Luftraum ab. Als Reaktion kündigte Rußland an, künftig alle Flugkörper der US-geführten Allianz der syrischen Aufständischen im Luftraum westlich des Euphrat abzuschießen.

Am 20. Juni empfing Trump dann den ukrainischen Staatspräsidenten Petro Poroschenko. Glaubt man Korrespondentenberichten, so ist die Lieferung „tödlicher Verteidigungswaffen“ an die Kiewer Regierungsarmee derzeit wahrscheinlicher denn je. Anders als in Syrien steht dort Rußland auf seiten der Aufständischen. 

Die vorerst letzte Stufe der Eskalation war die Absage des für den 23. Juni geplanten Gesprächs zwischen dem russischen Vize-Außenminister Sergej Rjabkow und seinem US-Kollegen Thomas Shannon durch die russische Seite. Nach den neuen US-Sanktionen, so Rjabkow, sei das Treffen nicht mehr zielführend.

Für die Entwicklung existieren unterschiedliche Erklärungen. In den USA steht Rußland wegen der angeblichen Einflußnahme auf die Präsidentschaftswahlen 2016 unter Beschuß. So soll der Kreml mittels Daten-Hacking dafür gesorgt haben, daß die demokratische Kandidatin Hillary Clinton in einem schlechten Licht erschien. Außerdem heißt es, das Trump-Wahlkampfteam habe ungebührlich enge, möglicherweise illegale Kontakte zu russischen Diplomaten und Politikern gepflegt.

Die Triebkräfte hinter den massiven Vorwürfen sind die mächtigen linksliberalen Medien, die sich seit Trumps Machtantritt in ihrer Bedeutung beschnitten sehen, und die Anhänger der Demokratischen Partei in den diversen Institutionen. Bei einer Konferenz im Berliner Forschungsinstitut Dialog der Zivilisationen (DOC) sagte der Politikforscher John Mearsheimer von der Universität von Chicago, er habe trotz bester Beziehungen zum US-Sicherheitsapparat noch keinen einzigen Beweis für die angebliche russische Wühlarbeit zu Gesicht bekommen. Seiner Ansicht nach sind der Skandal und die Vielzahl an Untersuchungen zu dem Thema in erster Linie ein Instrument, mit dem die Gegner des Präsidenten dessen vorzeitige Amtsenthebung betreiben.

Mearsheimer sieht das Geschehen als unbedingt schädlich für die US-Demokratie. Daß Rußland und die Vereinigten Staaten von Amerika teils widerstreitende geopolitische Ziele verfolgen, stehe außer Frage. Die Tatsache jedoch rechtfertige keineswegs, das ohnehin schwierige Verhältnis der Ex-Gegner im Kalten Krieg zum Spielball innenpolitischer Interessen zu machen.

Aus Moskauer Sicht ist die weitere Entwicklung nicht mehr vorhersagbar. Russische Teilnehmer an den traditionellen Potsdamer Gesprächen in der Vorwoche meinten, Trump verfolge inzwischen den Kurs, den man in Moskau für den Fall eines Wahlsiegs von Hillary Clinton erwartet habe. Der führende russische Außenpolitik-Experte Fjodor Lukjanow sprach von Ermüdung, wachsender Entfremdung und Gleichgültigkeit.

Kommentatoren auf beiden Seiten halten eine Annäherung auf absehbare Zeit für ausgeschlossen. Jede versöhnliche Geste Trumps in Richtung Moskau würde als Beweis dafür ausgelegt, daß er „Putins Mann in Washington“ ist. 

Hinzu kommt, daß Trump mit begrenzten militärischen Aktionen positive Stimmung machen und von innenpolitischen Malaisen ablenken kann. Mit China wird er sich auf keinen Konflikt einlassen, auch nicht mit den völlig unberechenbaren Nordkoreanern. 

Im Vergleich dazu sind die Risiken der Stellvertreter-Scharmützel mit Rußland in Syrien durchaus überschaubar. So interpretiert auch mancher Beobachter den Abschuß der syrischen Suchoi als bewußten Einstieg in die weitere Eskalation. 

Jetzt stehen die Russen unter Druck, ihre Schutzfunktion in Syrien unter Beweis zu stellen – oder ihr „Gesicht zu verlieren“, und das nicht nur in den Augen ihrer syrischen Verbündeten.