© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/17 / 30. Juni 2017

Laßt uns in Frieden arbeiten
Südafrika: Forderungen nach Enteignungen ohne Kompensationen verunsichern die weißen Farmer
Marc Zoellner

Deutlicher konnte Louis Meintjes’ Warnung an den südafrikanischen Präsidenten kaum ausfallen: „Es ist höchste Zeit, daß die Regierung davon Abstand nimmt, politische Forderungen vor die Türen der Landwirte zu werfen“, mahnte der Vorsitzende der „Transvaal Agricultural Union“ (TAU), der 1897 gegründeten agrarischen Interessenvertretung Südafrikas, mit Blick auf die politische Agenda Jacob Zumas. Der Präsident und sein ANC sollen die Bauern in Frieden das tun lassen, was diese auch „allein am besten“ könnten.“ Nämlich Wachstum erzeugen – und das, so Meintjes, könne sich tatsächlich sehen lassen: Mit plus 22 Prozent seit Beginn dieses Jahrzehnts, als die Weltwirtschaftskrise die einstige ökonomische Vorzeigerepublik am Kap der Guten Hoffnung mit der Wucht eines Faustschlags getroffen hatte.

345 Angriffe auf Höfe von weißen Farmern allein 2016

Das trotzige Wachstum der südafrikanischen Landwirtschaft sei ein hoffnungsvolles Zeichen für das südafrikanische ökonomische Potential, erklärte Meintjes Anfang Juni vor Vertretern der Presse. Selbst entgegen oder gerade trotz einer Landwirtschaftspolitik der ANC-Regierungspartei unter Jacob Zuma, die laut Meintjes nichts weiter ist als ein „von Rasse getriebener Prozeß“. Die Enteignungspläne Zumas wiederum, so Meintjes, seien „ein sozialistisches System, welches bestrebt ist, der Regierung die totale Kontrolle über Land und Boden zu verschaffen, und exakt das gleiche Modell, welches in der Sowjetunion Anwendung fand.“

Daß die Debatte um die Umverteilung der fruchtbaren Böden Südafrikas dieser Tage so heftig geführt wird wie nie zuvor, hat gute Gründe: allen voran in der Angst vieler weißer Bauern vor gewalttätigen Übergriffen radikaler Schwarzer auf ihre Farmen, ihre Familien und ihre Angestellten. Allein im vergangenen Jahr zählte die TAU über 345 Angriffe auf Höfe von Weißen sowie 70 ermordete Farmer. Im Jahr zuvor gab es noch 318 Angriffe; 2014 in Relation gesetzt nur 277. Von 1998 bis zum Ende vergangenen Jahres, so die TAU, wurden bei Überfällen über 1.848 Menschen getötet – darunter auch gut 300 Schwarze, die ihre Arbeitgeber zu verteidigen versucht hatten oder einfach nur ihren Arbeitsplatz nicht aufgeben wollten.

In Südafrika ist die Bodenreform ein sensibles Thema. Immerhin reichen die derzeitigen gesellschaftlichen Verhältnisse – und somit auch die Besitzansprüche vieler Grundeigentümer – bis zurück zu den Anfängen der Apartheid. 1913 erklärte ein als „Native Lands Act“ bezeichnetes Gesetz „die Gründung neuer Agrarbetriebe, Natural- oder Geldpachten für Schwarze außerhalb ihrer Reservate [der späteren Homelands] als verboten“. 

Noch zum Ende der Apartheid und den ersten freien Wahlen im Jahre 1994 besaßen Weiße, die gerade einmal neun Prozent der Bevölkerung ausmachten, über 90 Prozent der fruchtbaren Böden des Landes. Im gleichen Jahr erhob der ANC eine mögliche Bodenreform erstmalig zum Diskussionsgegenstand.

Tatsächlich kennt die südafrikanische Verfassung diesbezüglich auch Rahmen und Anwendungsmöglichkeiten, selbst zur Enteignung alteingesessener Bauern. Doch gerade hier beginnt die Kontroverse in der Debatte – und ebenso die Radikalisierung ihrer konkurrierenden Interessenvertreter: Denn das aus dem Jahr 1975 stammende Zwangsenteignungsgesetz klärt lediglich, daß „Boden oder das Besitzrecht auf Boden nur zu allgemeinen Zwecken oder aus allgemeinem Interesse heraus enteignet werden darf“. Dies auch lediglich bei Zahlung einer angemessenen Kompensation von seiten des Staates. Ob die Umverteilung weißer Wirtschaftsböden an mittellose Schwarze jedoch tatsächlich dem allgemeinen Interesse dient und wie hoch eine angemessene Kompensation auszufallen hat, ist höchst umstritten.

Um ethnische Eskalationen zwischen der weißen Minderheit und der schwarzen Mehrheit der Kaprepublik zu vermeiden, galt von 1994 an für Enteignungen die Faustregel des „bereitwilligen Verkäufers, bereitwilligen Käufers“. Weiße Landbesitzer mußten bei den staatlichen Aufkäufen ihrer Böden um Erlaubnis bitten, die Kompensation unweit des tatsächlichen Marktpreises angesiedelt werden. Gut 60 Milliarden Rand, umgerechnet etwa viereinhalb Milliarden Euro, investierte die ANC-Regierung seit den 1990ern in den Ankauf sowie die Umverteilung von rund acht Millionen Hektar Acker- und Weidefläche – einer Fläche von der Größe Niedersachsens und Nordrhein-Westfalens zusammengenommen.

Präsident Zuma versucht zu beschwichtigen 

Doch die ANC-Bodenpolitik erwies sich als fatal für die neuen Besitzer: „Diese Farmen, welche aktiv Einnahmen für den Staat angesammelt hatten, wurden anderen Leuten übergeben, und nun funktionieren 90 Prozent von ihnen nicht mehr“, mußte der damalige wie heutige landwirtschaftliche Entwicklungsminister Gugile Nkwinti bereits 2010 eingestehen. Sie seien „nicht produktiv, und der Staat verliert dadurch die Einnahmen. Wir können uns nicht leisten, so weiterzumachen.“

Sechs Jahre später – und ungeachtet der damaligen Mahnung Nkwintis an seine Parteikollegen – kam der südafrikanische Finanz- und Steuerkongreß in einer Veröffentlichung vom Oktober 2016 zu einem noch verheerenderen Ergebnis: Auf den untersuchten Bauernhöfen, deren Besitzer von der Bodenreform profitiert hatten, waren die Ernteerträge im Durchschnitt um 79 Prozent eingebrochen. Etwa 84 Prozent der vorher bestehenden Arbeitsverhältnisse mußten nach der Umverteilung gekündigt werden. In der Provinz KwaZulu-Natal sogar ganze 94 Prozent. Der einstige Agrarexporteur Südafrika mußte plötzlich selbst Nahrungsmittel importieren.

Der zu erwartende gesellschaftliche Aufschrei blieb nicht aus – richtete sich jedoch ausschließlich gegen die noch verbliebenen rund 40.000 weißen Farmbetriebe. Nicht schnell genug, argumentieren seitdem der ANC und seine Verbündeten, wäre die Bodenreform vonstatten gegangen. „Unsere Leute werden mit der Verfassung hingehalten“, erklärte kürzlich Sipho Mbatha von den linksextremen Economic Freedom Fighters (EFF), der drittstärksten Partei im  Parlament, hinsichtlich der gesetzlichen Vorgabe für angemessene Kompensationen. „Aber sie können die Verfassung nicht essen. Sie können sich auch nicht in der Verfassung ansiedeln.“ 

Auch Jeremy Cronin, Mitglied der südafrikanischen Kommunistischen Partei, macht deutlich, was er von Entschädigungen hält: Kompensationen, so der stellvertretende Minister für Öffentlichkeitsarbeit in Jacob Zumas Kabinett, „brauchen in bestimmten Fällen nichts weiter als ein Zeichen des Entgegenkommens darstellen“. Die südafrikanische Verfassung, so Cronin, kenne schließlich kein Prinzip des „bereitwilligen Verkäufers, bereitwilligen Käufers“.

Zwischen den Stühlen sitzend, versucht Jacob Zuma dieser Tage zu beschwichtigen. „Wir werden keine Landreformen wie in Zimbabwe durchführen“, versprach der südafrikanische Präsident Anfang Juni. Alles werde innerhalb des gesetzlichen Rahmens geregelt. Doch dieser könnte sich rasch wandeln: Vom 30. Juni bis zum 5. Juli lädt der ANC seine Anhänger in Johannesburg zur 5. Nationalen Politikkonferenz. Einer der wichtigsten Tagespunkte: die ökonomische Transformation des Kapstaates – mitsamt seiner Boden- und Industriereform. Für die Folgezeit kündigten ANC-Sprecher – ohne die Ergebnisse der Konferenz abzuwarten – bereits vorsorglich ein Volksreferendum zur Verfassungsänderung an, um kompensationslose Enteignungen weißer Farmer juristisch alltagstauglich zu machen. Die Stimmen der Wähler der EFF, versprach Sipho Mbatha, hätte Zuma hierfür bereits sicher in der Tasche.