© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/17 / 30. Juni 2017

„Mit aller Macht kämpfen!“
Christine Lieberknecht war CDU-Fraktionschefin, Landtags- und bis 2014 Ministerpräsidentin. Mit Verve mischt sich die Thüringer Landespolitikerin in den beginnenden Bundestagswahlkampf ein, verteidigt Angela Merkel und kritisiert einseitigen Umgang mit Konservativen
Moritz Schwarz

Frau Lieberknecht, manche sprechen angesichts steigender Umfragewerte von einer „Wiederauferstehung“ Angela Merkels. Wie ist die zu erklären? 

Christine Lieberknecht: Es zahlt sich eben aus, Haltung zu bewahren. Die Bürger halten Angela Merkel einen erkennbaren inneren Kompaß zugute, auch in der Asylfrage.

Tatsächlich aber hat die Kanzlerin ihren Asylkurs doch revidiert. Die Medien schreiben von einem Wechsel von der „Willkommens- zur Abschiedskultur“.

Lieberknecht: Die Aufnahme der vielen Flüchtlinge im Spätsommer und Herbst 2015 war eine einmalige große humanitäre Entscheidung in einer festgefahrenen Situation. Daß dies eine Ausnahme bleiben mußte, war jedem Verantwortlichen bewußt. Daß zur Bewältigung der so entstandenen Lage Entscheidungsbedarf bestand, ebenfalls. Die Bundeskanzlerin hat geliefert. Offenbar vertrauen die Menschen dieser unaufgeregten Politik der kleinen Schritte.

Nicht nur die Union hat sich laut Umfragen erholt, auch die FDP. Früher war die ihr natürlicher Regierungspartner. Die letzten Legislaturen nähren allerdings den Verdacht, tatsächlich fühle sich die Merkel-Union mit der SPD weitaus wohler.

Lieberknecht: Ich sehe keinen Anhalt für diesen Verdacht. Die Bürger haben genug von Parteien, die sie reglementieren und gängeln. Ein freiheitliches Verständnis sehe ich am ehesten bei der Union und FDP. Schon die Grünen bevormunden die Menschen allzu gern.

Ein Teil der Grünen verachtet, ja haßt die Konservativen regelrecht. Erst jüngst nannte Katrin Göring-Eckardt laut Hannoverscher „Neue Presse“ sie, mit Blick auf ihre angebliche Homophobie, öffentlich vor Publikum „Arschlöcher“. Kann man, wie die CDU es ja tut, eine Koalition mit einer Partei erwägen, die zumindest einen Teil der eigenen Klientel derart verachtet?

Lieberknecht: Politik ist kein Mädchenpensionat. Im übrigen liegen die Wurzeln der Grünen in konservativen Wertvorstellungen. Sie wurden dann linksideologisch überlagert. Mit linken Themen locken die Grünen jedenfalls keinen mehr hinter dem Ofen hervor. Aber warten wir’s ab …

Im Herbst noch hat die AfD der Union zugesetzt, zu Jahresbeginn der „Schulz-Effekt“. Laut Umfragen spielt beides inzwischen für die CDU/CSU kaum noch eine Rolle. Allerdings: Hat die Kanzlerin diese Probleme nicht einfach nur ausgesessen und Glück gehabt? Denn Führung gezeigt – etwas unternommen, um die Gefahren abzuwenden – hat sie nicht.

Lieberknecht: Mit Verlaub. Allein mit dem Prinzip Hoffnung macht man keine auf Dauer zustimmungsfähige Politik.

Danach sieht es bei der Union aber aus.

Lieberknecht: Es geht darum, daß Politiker Probleme in einer komplexen und komplizierten Welt bearbeiten und möglichst lösen. Die Menschen vertrauen der CDU als arbeitender Partei.

Auch der AfD wird ein solides Ergebnis für die Bundestagswahl vorausgesagt. Laut Wahlforschern stecken in den acht Prozent für sie auch einige Prozent ehemaliger Unionswähler. Gibt die CDU diese verloren oder will sie sie zurückgewinnen?

Lieberknecht: Als Volkspartei geben wir niemals Wähler auf! Und wie etwa die NRW-Wahl gezeigt hat, gelingt es, Wähler durch einen profilierten Wahlkampf zurückzuholen.

Allerdings müssen Sie für diese AfD-Wähler dann auch ein überzeugendes konservatives Angebot machen. Ist die Union dazu bereit? Wie wird dieses Angebot aussehen?

Lieberknecht: Noch einmal: Es geht darum, daß Politiker ihre Arbeit machen und Probleme, die in der Verantwortung des Staates liegen, lösen. Nehmen Sie die Innere Sicherheit. Die Aufgabe wird gemeinhin dem konservativen Themenkreis zugeordnet, selbst wenn die Gewährleistung von Sicherheit schlicht eine Grundaufgabe des Staates ist.

Also wird die Union gar nicht wegen ihrer Inhalte gewählt?

Lieberknecht: Die Union wird gewählt, weil wir nicht nur Worte machen, sondern weil wir ein realistisches Programm haben, für das wir arbeiten. Und natürlich folgt dieses Programm unseren christlichen Werten.

Tatsache ist aber doch: Wer die Union wegen ihrer Inhalte wählt, wird regelmäßig enttäuscht! Ob in Sachen kalte Progression, Gesetzestreue in der Eurokrise, Atomenergie, Bundeswehr, Bildung, Innere Sicherheit, Asylpolitik, Doppelpaß oder Merkels: „Multikulti ist gescheitert“. These: Der Bürger wählt CDU nicht wegen ihrer Leistungen, sondern wegen der Leistungen einer anderen Institution: der Wirtschaft! Diese, nicht die Union, hält das Land flott. Und die Bürger wählen CDU, weil sie glauben, daß sie diese Leistung weniger gefährde als SPD, Linke oder Grüne.

Lieberknecht: Ach du liebe Zeit! Konservativ heißt für mich nicht, überall den Status quo zu zementieren. Und ich darf daran erinnern, daß Politik auch nicht unter Reinraumbedingungen abläuft. Ihr Wesen ist der Kompromiß. Parteien sollen politische und gesellschaftliche Entwicklungen konstruktiv begleiten. Wir schreiben nichts vor, sondern sorgen für Rahmenbedingungen, in denen Bürger sich frei entwickeln können. Wir arbeiten für ein entsprechend funktionierendes Gemeinwesen, mit dem die Bürger sich identifizieren können. Das ist unser inhaltliches Ziel.

Trotz ihres Abschiebeversprechens – so bilanzierten zuletzt die Medien, etwa die „Welt“ – erfülle die Regierung diese Zusage an die Bürger nicht, vielmehr handele es sich um ein Abschiebedesaster. In drei Monaten ist Bundestagswahl. Mit welchem plausiblen Versprechen für Konservative will angesichts dieser Situation die CDU in den Wahlkampf ziehen?

Lieberknecht: Gerade seit dem Flüchtlingsansturm aus dem Jahr 2015 haben wir Gesetze zur Inneren Sicherheit und zum Asyl in einer Weise verschärft, an die zu Beginn dieser Legislatur nicht zu denken war. Es war immer die Union, die in Bund und Ländern ihre jeweiligen Koalitionspartner zum Jagen tragen mußte, etwa bei den sicheren Herkunftsländern oder den Verschärfungen im Aufenthaltsrecht. Und ich stimme Ihnen zu: Wer konsequente Abschiebungen ankündigt, der muß sie auch umsetzen. Auch das Schwarze-Peter-Spiel zwischen Bund und Ländern muß aufhören. Und nicht nur das: Wir brauchen ein gemeinsames Asyl-, das heißt auch Abschieberecht in allen Staaten der Europäischen Union. Dafür arbeitet meine Partei.

Der Islamismus-Experte Ahmad Mansour mahnt, die deutsche Politik solle endlich ehrlich sein und bei Terror, Gewalt und Übergriffen von Moslems aufhören zu behaupten: „Das hat nichts mit dem Islam zu tun.“ Wäre so eine neue Ehrlichkeit nicht ein Angebot, das die Union konservativen Wählern machen könnte?

Lieberknecht: Alle, auch Herr Mansour, wissen, daß die Probleme kompliziert sind. Deshalb helfen solche Schlagworte nicht. Eher verhindern sie eine Lösung, weil sie Öl ins Feuer gießen. Natürlich gibt es den politischen Islam, aber eben auch viele, viele Formen des Islam, die nichts mit Gewalt zu tun haben.

Bei Terror von „rechts“ habe dieser stets „natürlich“ mit der Mitte der Gesellschaft zu tun. Bei Terror von Islamisten dagegen „natürlich“ nicht (bezogen auf die islamische Mitte). „Das“, so Ahmad Mansour, „verstehe ich bis heute nicht.“

Lieberknecht: Tut mir leid, ich halte die pauschale Mitte-These in beiden Fällen nicht nur für falsch, sondern für kontraproduktiv. Es ist unsinnig, alle Moslems für den Islamismus verantwortlich zu machen. Das würde den Islamismus nur stärken.

Worauf Herr Mansour wohl aufmerksam machen will, ist die Tabuisierung eines Zusammenhangs zwischen islamischer Kultur, die durch Einwanderung ins Land gekommen ist, und islamischer Gewalt.

Lieberknecht: Die Unionsparteien arbeiten daran, die „Fluchtmigration“ zu unterbinden, weil Einwanderung geordnete Verfahren braucht. Auch um Gewalttäter fernzuhalten. Ansonsten gilt: Wir können der terroristischen Gefahr, egal woher, nur mit starkem Staat, einem möglichst gemeinsamen Europa und einer starken Zivilgesellschaft begegnen.

Kein Land konnte den islamischen Terror bisher besiegen, obwohl die meisten einen viel schlagkräftigeren Sicherheitsapparat haben als wir. Warum also sollte ausgerechnet uns das gelingen? Streut Ihre Position ergo den Bürgern nicht Sand in die Augen und läuft in Wahrheit darauf hinaus, daß wir den Terror akzeptieren?

Lieberknecht: Niemals akzeptieren, sondern mit aller Macht bekämpfen! Und gleichzeitig an unserer freiheitlichen Gesellschaft festhalten und diese Freiheit leben.

Klingt gut – solange Terror, Tod, Verstümmelung und Trauma nicht mich, sondern immer andere trifft.

Lieberknecht: Es kann mich morgen ebenso treffen wie Sie oder jeden anderen. In der S-Bahn, U-Bahn, am Flughafen, im Konzert … Ich weiß, wie es sich mit Begleitschutz lebt. Und ich weiß, wie es ist, ohne diesen Schutz unterwegs zu sein. Auch mit Angehörigen von Terroropfern hatte ich in Thüringen zu tun. 2002 erschoß ein Neunzehnjähriger 15 Menschen im Erfurter Gutenberg-Gymnasium. 2011 wurden die NSU-Morde aufgedeckt. Die Täter kamen aus Thüringen.

Zur Prävention rechtsextremer Gewalt gibt es viele staatlich geförderte Initiativen. Warum nicht auch zur Prävention linksextremer Gewalt?

Lieberknecht: Wer hier Grund zur Beschwerde sieht, der sollte sich nicht beklagen, sondern Angebote nutzen oder selber schaffen. In gleich vier Vereinen und Stiftungen bin ich tätig, die sich mit dem Rechts- und Linksextremismus auseinandersetzen. Mindestens zwei davon erhalten erhebliche öffentliche Mittel. 

Für eine ernsthafte Prävention gegen die Gefahr des Linksextremismus hatte sich Ihre Parteikollegin Bundesfamilienministerin Kristina Schröder eingesetzt. Doch sie scheiterte – nicht zuletzt wegen mangelnder Unterstützung aus der eigenen Partei!

Lieberknecht: Es hat sich seit Gründung der CDU ausgezahlt, auf keinem der beiden Augen blind zu sein, weder links noch rechts. Mag sein, daß die medialen Lautsprecher da manchmal einen anderen Eindruck zu erwecken suchen.

Warum ist das so?

Lieberknecht: Aus meiner Sicht liegt das unter anderem an der unterschiedlichen Organisationsbereitschaft der verschiedenen politischen Milieus. Bündnisse gegen Rechtsextremismus sind breit aufgestellt, sehr mobil und gut vernetzt. An der Kurzform „gegen Rechts“ störe ich mich. Es geht ja nicht um links und rechts auf dem Boden des Grundgesetzes, sondern um Extremismus.

Eben, man hört etwa kaum, daß die CDU Gewalt gegen die AfD anprangert.

Lieberknecht: Ich kenne keinen Parlamentarier, der Gewalt nicht verurteilen würde. Das gilt auch gegenüber der AfD.

Bis in die neunziger Jahre wurde etwa Gewalt gegen Ausländer stets nachträglich verurteilt. Dann kam man zu dem Schluß, das reiche nicht; man müsse das Problem thematisieren, in der Mitte der Gesellschaft diskutieren und medial präsent machen – es also präventiv bekämpfen. Das alles aber passiert bei der Gewalt gegen „rechts“, also wenn Konservative Opfer sind, nicht. Hier wird immer noch im Stil der achtziger Jahre – wenn überhaupt – nur nachträglich (und vermutlich pro forma) bedauert.

Lieberknecht: Hätten die jüngsten Anschläge auf die Deutsche Bahn einen rechtsextremen Hintergrund, wäre die gesellschaftliche Debatte dazu ungleich intensiver. Das ist so. Dennoch gibt es jede Menge Programme der politischen Bildung, auf die dieser Vorwurf nicht zutrifft.

Verdienstvoll, aber leider irrelevant. Zum Beweis: Die politische Leitlinie „Kampf gegen Rechts“ ist allgegenwärtig. „Kampf gegen Linksextremismus“ dagegen existiert nicht einmal als Begriff.

Lieberknecht: Es dürfte unstrittig sein, daß diese Inkonsequenz vornehmlich SPD und Grünen zuzuschreiben ist, die den politischen Preis dafür an die Linke entrichtet haben. Anspruch der Union ist, daß sich rechts von ihr dauerhaft keine andere Partei etablieren kann. Auch dafür werben wir um das Vertrauen der Wähler. 






Christine Lieberknecht, führte von 2009 bis 2014 als Ministerpräsidentin Thüringen sowie den Landesverband der CDU. Mitglied in der sogenannten Ost-CDU seit 1981, war sie von 1990 bis 1999 Landesministerin für Kultus sowie für Bundes- und Eruropaangelegenheiten und von 2008 bis 2009 für Soziales und Gesundheit. Dazwischen bekleidete sie von 1999 bis 2004 das Amt der Landtagspräsidentin und von 2004 bis 2008 das der CDU-Fraktionsvorsitzenden. Nach der Wahlniederlage ihres Koaltionspartners SPD 2014 mußte sie trotz Zugewinns für die CDU den Regierungssitz aufgeben. Jedoch ist die 1958 in Weimar geborene ehemalige Pfarrerin weiterhin Abgeordnete des Thüringer Landtages.

Foto: Unions-Politikerin Lieberknecht: „Hätten die jüngsten Anschläge auf die Deutsche Bahn einen rechtsextremen Hintergrund, wäre die gesellschaftliche Debatte ungleich intensiver“ 

 

 

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