© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/17 / 23. Juni 2017

Kollateralschäden der Energiewende
Bringt der Londoner Hochhausbrand das Ende der Styropor-Dämmung in Deutschland?
Martina Meckelein

Der katastrophale Hochhausbrand in London scheint keine unausweichliche Tragödie zu sein, vielmehr die Summe von Versäumnissen und Fahrlässigkeiten. Nach dem ersten Alarm am frühen Morgen des 14. Juni erreichte innerhalb von sechs Minuten der erste Löschzug den 70 Meter hohen Grenfell Tower in Kensington, in dem bis zu 600 Mieter lebten. Innerhalb von 15 Minuten fraßen sich die Flammen an der Fassade vom vierten Stock, dort wird der Brandausbruch vermutet, bis in die oberste Etage des 24 Stockwerke zählenden Blocks hoch. Wie viele Menschen in dem glühenden Backofen ihr Leben verloren, ist nicht klar – vermutlich mehr als hundert.

Der Block war 2016 für 8,6 Millionen Pfund saniert worden. Er bekam eine Dämmfassade unter anderem mit Aluminiumblechen, die einen Kunststoffkern aus Polyäthylen (PE) enthalten. Schon am Tag des Greenfell-Tower-Unglücks mutmaßen englische Zeitungen, daß der Grund für das verheerende Ausmaß des Feuers in seiner Außenfassade zu suchen sei. PE hat eine Temperaturbeständigkeit von minus 85 °C bis plus 90 °C und „brennt gut“, das wissen schon Gymnasiasten mit Chemieleistungskus. Die Dämmplatten wurden außerdem in einer sogenannten vorgehängten hinterlüfteten Fassade verbaut, also einen Spaltbreit von der Hausmauer weg montiert, um Schimmelbildung zu verhindern. Dieser Spalt führt aber bei einem Brand zum Kamineffekt, die Flammen breiten sich noch schneller aus.

Nur Stunden nach dem Unglück relativierte die FAZ unter der Überschrift: „Warum ein Feuer wie in London unwahrscheinlich ist“ die Gefahr, die von Dämmfassaden in Deutschland ausgeht und interviewte den Frankfurter Feuerwehrchef Reinhard Ries. Der Diplomingenieur sagte aber nur, daß in Deutschland an Häusern, die über 22 Meter hoch sind, nichtbrennbare Fassaden verbaut sein müssen. Was im Umkehrschluß allerdings bedeutet: Jede Fassade eines Hauses, das niedriger ist, darf mit brandgefährlichen Dämmsystemen, die als „schwer entflammbar“ deklariert sind, ausgestattet werden.
Brandschutzverordnungen sind der älteste Abschnitt des deutschen Baurechts. Schon im 11. Jahrhundert gab es Feuerverordnungen. Heute sterben in Deutschland jährlich rund 400 Menschen durch Brände, 4.000 weitere erleiden Verletzungen mit Langzeitschäden. Der Sachschaden beträgt allein im Privatbereich eine Milliarde Euro. Das Grundprinzip des vorbeugenden Brandschutzes ist es, Leben allein schon durch bauliche Maßnahmen zu retten, indem ein Feuer in sogenannten Brandabschnitten gehalten wird, zum Beispiel durch Brandmauern, Schutztüren und Fluchtwege.

Doch eben das scheint durch die Energieeinsparverordnung (EnEV) der Bundesregierung von 2009 – einer weiteren Maßnahme, den CO2-Ausstoß Deutschlands zurückzufahren – ausgehebelt. Ziel der EnEV ist es, den Anteil des Energieverbrauchs, der auf den Gebäudebereich entfällt, langfristig zu minimieren. Laut Umweltbundesamt liegt er bei mehr als 40 Prozent am Gesamt-Energieverbrauch. Das Mittel der Wahl: Fassadendämmung. Die Dämmlobby verspricht, daß die Investitionen durch Energieeinsparungen sich schnell rechnen. Marktführend in Deutschland ist Wärmedämmung aus Styropor.

Seit Jahren mehren sich aber Hinweise, daß Verdämmungen im wörtlichen Sinne brandgefährlich werden können. Wie der Brand im Düsseldorfer Flughafen am 11. April 1996 mit 17 Toten und 88 Verletzten. Am 29. Mai 2012 brannte in Frankfurt in Minuten die Fassade eines Rohbaus ab – Schaden: ein halbe Million Euro. Im Zuge dieses Brandes initiierte die Feuerwehr Frankfurt, Hausbrände mit wärmedämmender Fassadeneinbeziehung zu melden. Die Zusammenstellung im Netz beginnt 2001, zählt hundert Fälle mit elf Toten und 131 Verletzten.

Manche Brandschutzmittelsind zugleich Umweltgifte

Und was sagt die Bundesregierung dazu? Auf die an sich selbst gestellte Frage: „Welche Brandgefahr geht von gedämmten Gebäuden aus?“ antwortete das Bundeswirtschaftsministerium: „Eine sehr geringe. Von jährlich 180.000 Wohnungsbränden gehen nur wenige Fälle auf gedämmte Fassaden zurück. Insbesondere das derzeit in der Kritik stehende Polystyrol (bekannt über seinen Markennamen Styropor) war Auslöser für weniger als fünf Fälle – das entspricht einem Anteil von lediglich 0,003 Prozent.“ Für den Haushalt 2017 hat das Ministerium „rund 1,1 Milliarden Euro“ für Vorhaben des Nationalen Aktionsplans Energieeffizienz sowie unter anderem für die Förderung in den Bereichen, Energieeffizienz und Energetische Gebäudesanierung vorgesehen.“

Rund eine Milliarde Quadratmeter Fassade sind hierzulande schon verpackt. Dabei ist zu beachten, daß zur Bewertung des Brandverhaltens von Kunststoffen in der Regel nicht genau abgrenzbare Begriffe wie etwa „leicht brennbar“, „schwer entflammbar“ oder „nicht entzündlich“ verwendet werden, schreibt die Licharz GmbH aus Buchholz im Westerwald; sie produziert technische Kunststoffe. Es existierten keine allgemeingültigen Definitionen dieser Begriffe, und sie gäben das tatsächliche Brandverhalten des Kunststoffs nur unzulänglich wieder. Um der Feuergefahr ein wenig entgegenzuwirken, werden dem Styropor sogenannte Brandschutzmittel beigefügt. Dies wiederum macht die Entsorgung problematisch und teuer.

So behandelte Fassaden müssen rund alle zehn Jahre ersetzt werden, sie sind Sondermüll. Laut Greenpeace ist das Brandschutzmittel Hexabromcyclododecan (HBCD), das bis vor einem Jahr beigemischt wurde, ein Umweltgift, das sich in Organismen anreichert. Die AfD will die EnEV komplett abschaffen. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) will nach dem Brand in London immerhin endlich „überprüfen“ lassen, „ob die aus energetischen Gründen geforderte Außendämmung eine zusätzliche Brandgefahr auslöst“.


Liste der Brandereignisse in Verbindung mir Wärmedämmverbundsystemen: www.feuerwehr-frankfurt.de/index.php/projekte/wdvs


Probleme der Styropordämmung

Jedes Jahr werden rund 4,5 Millionen Kubikmeter Styropor an Fassaden angebracht, gibt der Industrieverband Hartschaum (IVH) an. Rund sechzig Prozent der Weltproduktion an Styropor wurden für die Wärmedämmung verbraucht. Der IVH schätzt den Anteil von Styropor an der Fassadendämmung auf über 80 Prozent, bei Dämmaterialen auf insgesamt 32 Prozent. Im Vergleich zur nichtbrennbaren Steinwolle sind die Kosten für eine Wärmedämmung mit Styropor etwa um 30 Prozent günstiger. Auf rund 40.000 Tonnen beziffert die Deutsche Handwerkszeitung den jährlich anfallenden Müll aus alten Dämmstoffen. Die Entsorgung einer Tonne Styropor mit dem giftigen Flammschutzmittel HBCD kostete bei lizenzierten Verbrennungsanlagen bis zu 8.000 Euro. Seit dem 28. Dezember 2016 stuft das Umweltbundesamt diesen jedoch nicht mehr als Sondermüll ein, was die Entsorgungskosten drastisch senkte. Das Konstanzer Industrieberatungsunternehmen Ceresana geht davon aus, daß der europäische Dämmstoffmarkt im Jahr 2021 einen Gesamtumsatz von über 21 Milliarden Euro haben wird.

Foto: Brennender Grenfell Tower in London: Angela Merkels Energieeinsparverordnung hebelt auch den hohen deutschen Brandschutz aus