© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/17 / 23. Juni 2017

Homosexuelle wollen Elternschaft umdefinieren
Angriff auf die Natur
Friederike Hoffmann-Klein

Beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg ist derzeit ein Verfahren anhängig, dessen Inhalt unser Verständnis von Elternschaft weitreichend tangiert. Ein lesbisches Paar ruft den Gerichtshof mit der Begründung an, die Bundesrepublik Deutschland habe ihre in der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierten Rechte verletzt (Beschwerde-Nummer 46808/16, R. F. und andere gegen Deutschland). Anknüpfungspunkt für diesen Vorwurf ist die Weigerung der deutschen Behörden, die beiden Frauen, die in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft leben, als gemeinsame Eltern eines Kindes zu registrieren.

Der Weg zu einer „biologischen“ Elternschaft der beiden Frauen verläuft wie folgt: Das Kind wurde mit der Eizelle der einen Partnerin durch anonyme Samenspende gezeugt, der so „hergestellte“ Embryo anschließend aber nicht ihr, sondern ihrer Partnerin eingepflanzt und von dieser ausgetragen. Die beiden Frauen verlangten nun, daß auch die genetische Mutter als Mutter des Kindes registriert werde. Die Behörden lehnten ab. Nach deutschem Recht (§ 1591 BGB) gilt als rechtliche Mutter die Frau, die das Kind zur Welt bringt.

Die Instrumentalisierung des Kindes geht in dieser Situation noch einen Schritt weiter. Eizellspende und Schwangerschaft fallen jetzt absichtlich auseinander mit dem einzigen Zweck, eine Art von Pseudo­elternschaft zweier Frauen zu begründen.

In Deutschland gibt es die Möglichkeit, daß der gleichgeschlechtliche Partner das Kind des anderen adoptiert. Hierdurch erhält er die vollen elterlichen Rechte. Dieser Weg hätte den Beschwerde­führerinnen also offengestanden. Er genügte ihnen nicht. Sie sehen in der verweigerten unmittel­baren Anerkennung der jeweiligen Elternschaft – also einer Anerkennung allein aufgrund ihres zuvor geäußerten Willens – eine Diskriminierung ihrer sexuellen Orientierung, die nach Artikel 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention verboten sei. Ebenso haben die beiden Frauen in dem Verfahren eine Verletzung des Rechts des Kindes auf Schutz seines Privat- und Familienlebens geltend gemacht.

Die Elternschaft allein von dem erklärten Willen der beiden Frauen abhängig zu machen, bedeutet nichts weniger, als den Begriff der Elternschaft und der Abstammung von Grund auf zu verändern. Es ist sicher nicht übertrieben, zu behaupten, daß es auch den beiden Beschwerdeführerinnen des genannten Verfahrens genau darum geht, einen weiteren Meilenstein im Hinblick auf die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften zu setzen. Das Kind soll als biologisches Kind der beiden Frauen gelten, während der Vater außen vor bleibt. Es wird so getan, als könnten zwei Frauen ein Kind zeugen. Es genügt den Betreffenden nicht, eine elterliche Beziehung nur per Adoption zu begründen. Es ist der – wirklichkeitsfremde – Traum einer Elternschaft unabhängig vom Geschlecht. Hier geht es um weit mehr als um den Zugang zur medizinisch assistierten Reproduktion auch für gleichgeschlechtliche Paare. Ein raffinierter Weg der LGBQT-Aktivisten, die so verhaßte „Biologie“ zu überwinden und eine absolute Symmetrie zwischen heterosexuellen und lesbischen Paaren in der Frage der Elternschaft herzustellen.

Die Instrumentalisierung des Kindes geht in dieser Situation quasi noch einen Schritt weiter. Nun geht es nicht mehr nur darum, daß die Wunschmutter das Kind durch Samenspende zeugen läßt und aus einem objektiven Grund, weil sie selbst nicht dazu in der Lage ist, weil etwa die Schwangerschaft für sie mit einem gesundheitlichen Risiko verbunden ist, das Kind von einer anderen Frau austragen läßt. Ein Auseinanderfallen von Eizellspende und Schwangerschaft wird jetzt absichtlich herbeigeführt, mit dem einzigen Zweck, eine Art von Pseudo­elternschaft der beiden Frauen zu begründen. Denn dieser Gesichtspunkt ist ja der einzige Grund dafür, warum der Embryo nach der künstlichen Befruchtung nicht auf die genetische Mutter übertragen wurde. Die Anerkennung der doppelten Mutterschaft wird darüber hinaus auch für den Fall gefordert, in dem die andere Frau gar nicht die austragende Mutter, sondern nur die Partnerin der genetischen Mutter ist.
Die Kritik an einem solchen Paradigmenwechsel contra naturam kann sich in allererster Linie auf das Kindeswohl stützen. Das Recht auf eigene Abstammung ist Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 GG) und hat damit Verfassungsrang. Das Verfassungsrecht geht davon aus, daß der Bezug zu den eigenen Vorfahren von zentraler Bedeutung für das Selbstverständnis des einzelnen und für seine Persönlichkeit ist. Das Bundesverfassungsgericht hat dies in mehreren Entscheidungen thematisiert.

Abstammung ist eine biologische Realität. Nur ein Mann und eine Frau können ein Kind zeugen. Diese Realität anzuerkennen fällt Homosexuellen oder ihren Aktivisten heute zunehmend schwer. Wenn die Rechtsordnung zulassen würde, daß zwei Personen gleichen Geschlechts die Eltern eines Kindes sein können, so bedeutet dies nichts anderes, als dem Kind seine Eltern zu nehmen.

Das Kindeswohl gilt in der Rechtsprechung – auch der des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – als höchstes Prinzip, das Vorrang vor allen anderen Interessen hat. Und es dient mit Sicherheit nicht dem Kindeswohl, seine Abstammung so zu definieren, daß die väterliche Abstammung nicht mehr vorkommt. Die Abstammung darf nicht zu einem reinen Phantasiekonstrukt werden. Die vorangehende Weigerung der deutschen Behörden, die „Elternschaft“ der beiden Frauen anzuerkennen, lag deshalb im Interesse des Kindeswohls. Der Straßburger Gerichtshof hat dieses Ergebnis in vergleichbarem Fall bereits bestätigt. In mehreren Entscheidungen hat der Gerichtshof festgestellt, daß der Staat die Verpflichtung hat, Kinder zu schützen. Darf er dann auf der anderen Seite ein System etablieren, das ein Kind seiner doppelten Abstammung beraubt? Das Recht wäre in diesem Fall postfaktisch.

Die Vorstellung, solche Mechanismen könnten die Ungleichheit zwischen hetero- und homosexuellen Paaren in der Frage der Reproduktion überwinden, ist natürlich eine Illusion. Eine Elternschaft zweier Mütter gibt es nicht. Die moderne Technik aber macht es möglich, wenigstens diesen Anschein zu erwecken. Die Leihmutterschaft, definiert als das Austragen einer Schwangerschaft durch eine Frau, die nicht die biologische Mutter eines Kindes ist und dieses nach der Entbindung den biologischen oder sozialen Eltern übergibt, ist in Deutschland verboten. Grund für dieses Verbot ist das Kindeswohl. Es soll verhindert werden, daß es zu einer Aufspaltung in genetische und biologische (gestationelle oder austragende) Mutterschaft kommt, denn dies, so die Gesetzesbegründung zum deutschen Embryonenschutzgesetz, widerspricht dem Wohl des Kindes.

Es ist letztlich ein Irrtum zu glauben, es gehe hier um eine Frage der sexuellen Orientierung. Die Abstammung ist eine rein biologische Tatsache, deshalb kann hier auch keine Diskriminierung vorliegen, die definiert ist als unterschiedliche Behandlung von Personen, die sich objektiv in der gleichen oder einer ähnlichen Situation befinden, ohne daß es hierfür eine vernünftige Rechtfertigung gibt. Wie die frühere Mitarbeiterin am EGMR, Andreea Popescu, in einer am 17. April veröffentlichten Analyse zu dem vorliegenden Fall zu Recht betont, kann die Frage der Abstammung von vornherein keine Frage der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung sein, weil die Abstammung ein gleichgeschlechtliches Paar von Natur aus gar nicht tangiert.

Das Problem hat noch eine weitere Dimension. Es geht letztlich darum, den Begriff der Elternschaft insgesamt abzuschaffen, weil er seinen bisherigen Sinn notwendigerweise verlieren muß. Denn er würde dann nur noch in manchen, nicht aber in allen Fällen die biologische Abstammung anzeigen.

Auch die Argumentation, die verweigerte Anerkennung sei ein Eingriff in das Recht des Kindes auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, überzeugt nicht. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs liegt ein von Art. 8 EMRK geschütztes Familienleben gerade auch außerhalb der rechtlichen Beziehungen der Ehe und der Abstammung vor. Niemand hindert die Frauen im Ausgangsfall daran, zusammenzuleben und das Kind zu erziehen.

Einem Kind zwei Mütter zuzuschreiben und ihm den Vater zu nehmen, kommt einem Fall des Social Engineering gleich, das auf Kinder angewandt wird. Es handelt sich um eine ideologische Gesellschaftsveränderung auf marxistischer Grundlage.

Ein weiteres wichtiges Argument für den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof bei seiner Entscheidung über die Beschwerde dürfte sein, daß es in Europa keinen Konsens gibt, was diese Frage der automatischen Anerkennung einer doppelten mütterlichen Abstammung im Rahmen einer zivilen Partnerschaft betrifft. Die Frage des Konsenses ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs ein wichtiges Argument. Je geringer der Konsens, desto größer ist der Beurteilungsspielraum, den der einzelne Staat in einer bestimmten Frage hat. Nur (oder bereits!) fünf von 47 Mitgliedstaaten des Europarates kennen die automatische „Mit­elternschaft“ des anderen gleichgeschlechtlichen Partners: Österreich, Irland, die Niederlande, Spanien, das Vereinigte Königreich. Die Möglichkeit, eine „doppelte Abstammung“ im Rahmen einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft nach künstlicher Befruchtung zu begründen, besteht in sieben der Mitgliedstaaten. Neben den gerade genannten mit Ausnahme Österreichs auch in Dänemark, Belgien und Norwegen.

Da also von einem Konsens angesichts dieser Zahlenverhältnisse nicht gesprochen werden kann, während auf der anderen Seite wesentliche Rechte des Kindes betroffen sind, würde der Gerichtshof nach Einschätzung der Juristin Popescu gut daran tun, die Entscheidung der deutschen Behörden nicht in Frage zu stellen und den weiten Beurteilungsspielraum anzuerkennen, der den Mitgliedstaaten in dieser Frage zukommt.

Letztlich geht es um einen Angriff auf die Natur. Zwei Frauen können ein gemeinsames Enkelkind haben, aber ganz gewiß kein gemeinsames Kind. Einem Kind zwei Mütter zuzuschreiben und ihm den Vater zu nehmen, kommt einem Fall des Social Engineering gleich, das auf Kinder angewandt wird. Es handelt sich um eine ideologische Gesellschaftsveränderung auf marxistischer Grundlage und um einen Angriff auf die christlich-jüdischen Fundamente unserer Gesellschaftsordnung.



Dr. Friederike Hoffmann-Klein, Jahrgang 1967, arbeitet als Juristin mit Schwerpunkt Eu­ropa- und Kirchenrecht in Freiburg, darüber hinaus als Journalistin und Übersetzerin. Sie ist stellvertretende Landesvorsitzende der Christdemokraten für das Leben (CDL) Baden-Württemberg und Mitglied in deren Bundesvorstand. Auf dem Forum schrieb sie zuletzt über Schwangerschaftskonfliktberatung („Für ein Leben mit Kind“, JF 39/13).