© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/17 / 23. Juni 2017

Kohls Wut
Nachruf I: Daß der „Kanzler der Einheit“ vor 1989 keine aktive Wiedervereinigungspolitk schätzte, ließ er politisch Andersdenkende deutlich spüren / Ein Erfahrungsbericht
Detlef Kühn

In Nachrufen auf den verstorbenen früheren Bundeskanzler Helmut Kohl wird zu Recht sein Verhalten nach dem Fall der Mauer am 9. November 1989 gelobt. Er erkannte, daß das SED-Regime nicht mehr zu retten und die Wiedervereinigung der einzige Ausweg aus der Misere war. Mit der Zehn-Punkte-Erklärung vom 28. November 1989 im Bundestag trat er die Flucht nach vorn an und sprach erstmals von einer konkreten Aussicht auf Einheit.

Die Erleichterung darüber teilte auch der Autor dieser Zeilen, der als Präsident des Gesamtdeutschen Instituts  für politische Bildung zuständig war. In dieser Eigenschaft war ich im turbulenten Herbst 1989 in Bonn fast der einzige, der es wagte, den Bankrott der DDR vorherzusagen und die Einheit Deutschlands als unvermeidlich darzustellen. Obwohl ich damit nur meine Beamtenpflicht erfüllte, mißbilligte man mein Verhalten vor allem im Bundeskanzleramt, wagte aber nicht, mir eine entsprechende Weisung zu erteilen.
Erst später sollte ich die Wut Helmut Kohls zu spüren bekommen, obwohl – oder vielleicht gerade weil – ich sofort nach Kohls Erklärung diese öffentlich vertrat, etwa im Interview der Woche im Deutschlandfunk am 3.Dezember 1989. Man verzieh mir meine Eigenmächtigkeit nicht. Oft ist es schlimmer, zum falschen Zeitpunkt das Richtige zu tun, als zum richtigen das Falsche.

„Kohl ist ja ein großer Hasser“

Eine ähnliche Erfahrung machte Karl Feldmeyer, langjähriger politischer Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) in Bonn und Berlin, zuständig für die CDU, Deutschland- und Verteidigungspolitik. Seine stets fundierten Berichte nervten den Bundeskanzler und CDU-Vorsitzenden so sehr, daß er allen Ernstes den FAZ-Herausgebern nahelegte, Feldmeyer aus Bonn abzuziehen und nach Südamerika zu entsenden, was diese allerdings ablehnten (JF 52/16-01/17). Auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Bernhard Friedmann bekam den Unmut Kohls zu spüren, als er Mitte der achtziger Jahre mehrere Versuche unternahm, die Regierung  zu einer aktiven Wiedervereinigungspolitik zu bewegen. Er schrieb ein Buch mit dem Titel „Einheit statt Raketen“, in dem er auf die Veränderungen in der Sowjetunion hinwies, die genutzt werden könnten. Ich durfte dieses Buch in Bonn öffentlich vorstellen.

Im Herbst 1990 zeichnete sich ab, daß auch das Gesamtdeutsche Institut aufgelöst werden würde. In dieser Zeit erreichte mich ein Hilferuf aus Leipzig, wo der lokale Hörfunksender „Sachsenradio“ dringend einen Verwaltungsdirektor suchte, der ihnen in ihren Umstellungsnöten behilflich sein könnte. Mich reizte die Aufgabe, obwohl bereits klar war, daß „Sachsenradio“ im geplanten Mitteldeutschen Rundfunk aufgehen würde. Für einige Monate wurde ich dann sogar noch Rundfunkdirektor. In dieser Zeit lernte ich den frisch gekürten künftigen MDR-Intendanten Udo Reiter kennen, der sich auf seine neue Aufgabe vorbereitete. Er suchte Direktoren für seine Anstalt. Mich hätte auch hier der Posten des Verwaltungsdirektors gereizt, zumal ich das Sendegebiet des MDR recht gut kannte. Reiter war einverstanden, mußte mir aber dann zu seinem Bedauern mitteilen, er könne mich „politisch nicht durchsetzen. Ich nahm das zur Kenntnis. Als FDP-Mitglied war mir bewußt, daß die ARD parteipolitisch verfilzt war. Das dehnte sich nun auf das „Beitrittsgebiet“ aus.

Drei Jahre später, ich war längst als Direktor der sächsischen Landesmedienanstalt in Dresden tätig, besuchte ich den damaligen Abteilungsleiter im Bundespresseamt Norbert Schäfer in seinem Haus bei Bonn. Schäfer galt in der Leitung des BPA als Mann der CSU. Er erzählte mir beiläufig, der Bundeskanzler habe damals persönlich meine Ernennung zum Verwaltungsdirektor des MDR verhindert. Im Sommer 1991 sei er dienstlich bei Kohl gewesen. Als dieser für kurze Zeit das Zimmer verließ, sei er, wie Schäfer sich ausdrückte, „gewohnheitsmäßig“ aufgestanden, um mal zu sehen, was da so auf Kohls Schreibtisch lag. Ihm sei ein Blatt Papier ohne Kopf und ohne Unterschrift aufgefallen, auf dem stand: „Es wird vorgeschlagen, den Präsidenten des Gesamtdeutschen Instituts, Detlef Kühn, zum Verwaltungsdirektor des MDR zu ernennen. Um Zustimmung wird gebeten.“

Als Kohl dann zurückkam, setzten sie ihr Gespräch fort, während Vorzimmerdamen Akten herein- und wieder herausbrachten. Eine habe gefragt, was hier mit dem Kühn sei. Kohl habe nur mit dem Kopf geschüttelt. Die Sekretärin habe das Papier mitgenommen.

Auf meine Frage, ob das nicht zuviel der Ehre für einen relativ unwichtigen Beamten sei, sagte Schäfer sinngemäß: „Wie man’s nimmt. Kohl ist ja ein großer Hasser. Am meisten haßt er Parteifreunde, die nicht machen, was er will.“ Außerhalb der CDU, meinte Norbert Schäfer, hasse er vor allem drei Personen. Der erste sei der General Kießling; der zweite Karl Feldmeyer und „der dritte sind Sie, Herr Kühn.“

Der General Günter Kießling hatte nach seinem Ausscheiden aus dem Dienst Kontakt zu mir im Gesamtdeutschen Institut aufgenommen und seine Unterstützung angeboten. Er wurde ein  erfolgreiches Mitglied unseres Rednerdienstes, das vor allem zu sicherheitspolitischen Problemen angefordert wurde. Er veröffentlichte noch vor dem Mauerfall 1989 sein Buch „Neutralität ist kein Verrat“,  dessen Inhalt nicht zu beanstanden war, dem allerdings der reißerische Titel schadete.

 

Detlef Kühn war von 1972 bis 1991 Präsident des Gesamtdeutschen Instituts.