© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/17 / 23. Juni 2017

Bis zur letzten Minute kämpfen
Netzwerkdurchsetzungsgesetz: Während die Kritik an den geplanten Regelungen lauter wird, holt Bundesjustizminister Heiko Maas zum Gegenschlag aus
Lukas Steinwandter, Potsdam

Die Lobby vor dem Plenarsaal im Potsdamer Landtag ist prall gefüllt. Die Sitzplätze reichen nicht für die mehr als 150 Gäste. Die SPD-Fraktion im Brandenburger Landtag hat Bundesjustizminister Heiko Maas eingeladen, um über sein geplantes Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) und die „Herausforderung Fake-News“ zu diskutieren. Schon eine halbe Stunde vor Beginn der Veranstaltung am Dienstag abend vergangener Woche unterhalten sich Dutzende Gäste über die Partei im allgemeinen, und den geplanten Gesetzesvorstoß im speziellen. Als mit fast zehnminütiger Verspätung Maas den Saal betritt, verstummen die Gespräche schlagartig. Begleitet von mehreren Männern mit Knopf im Ohr setzt sich Maas auf den Platz in der ersten Reihe.

Der Justizminister mußte in den vergangenen Wochen harsche Kritik über sich ergehen lassen. Mit seinem Vorstoß will er größere soziale Netzwerke dazu verpflichten, „offensichtlich“ strafbare Inhalte innerhalb von 24 Stunden zu löschen. Sowohl der UN-Sonderbeauftragte für Meinungsfreiheit, David Kaye, als auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags (siehe Kasten) sowie der Bund Deutscher Zeitungsverleger und Reporter ohne Grenzen attestierten dem Gesetz eine Unvereinbarkeit mit der Meinungsfreiheit.
„Diese Diskussion ist so was von überfällig“

Hier ist Maas allerdings unter Freunden und erntet viel Applaus – mit einer Ausnahme: Facebooks Cheflobbyistin Eva-Maria Kirschsieper. In der zwanzigminütigen Rede versucht Maas seine Kritiker zu entkräften. „Ich glaube in keinster Weise“, daß die Meinungsfreiheit durch das NetzDG eingeschränkt wird, versichert Maas. Im Gegenteil: Derzeit würden Nutzer mit Kampagnen mundtot gemacht; künftig solle die Freiheit eines jeden geschützt werden. Auch den Vorwurf einer übereifrigen Löschpraxis der Plattformen aus Furcht vor den bis zu 50 Millionen Euro hohen Strafen wies der Minister zurück. Schließlich lebten Facebook, Twitter und Co. von hohen Zugriffszahlen. Dieser Aussage weiß Kirschsieper zu widersprechen. Nach derzeitiger Rechtslage lösche Facebook „zweifelhafte Inhalte“ nicht, sondern warte die Entscheidung eines Gerichts ab. Sollte das NetzDG beschlossen werden, würde sich das ändern. Kirchsieper spielt den Ball der Politik zu. Wenn Facebook den Eintrag eines Nutzers lösche, mache er dann trotzdem so weiter wie bisher. Bekäme ein Accountinhaber jedoch Post von der Staatsanwaltschaft, sähe dies anders aus.

Das Modell einer „regulierten Selbstregulierung“ sieht Maas als gescheitert an. Vor allem Twitter und Facebook löschten zu wenige gemeldete, „offensichtlich strafbare“ Inhalte. Die Kritik an dem Gesetzesentwurf verstehe er nicht. „Regeln für das Internet aufzustellen, ist beileibe kein Anschlag auf die Meinungsfreiheit“, betont Maas. Er kritisiert das angeblich reflexhafte Verhalten, wann immer im Internet von Regeln gesprochen wird, gleich von einer Einschränkung der Meinungsfreiheit auszugehen. Die aktuelle Debatte zeige, daß „diese Diskussion so was von überfällig ist“. Es wäre „fahrlässig“, wenn sie nicht geführt werde.

Daß die Diskussion nicht nur von Maas und seinen Gegnern lebt, beweist unterdessen Hamburgs Justizsenator Till Steffen (Grüne). Er möchte mit einer ähnlichen Regelung wie beim NetzDG Facebook und Co. dazu verpflichten, gegen Fake-News vorzugehen. Denn dagegen greife das Maas-Gesetz nicht, wie sein Urheber in Potsdam mehrfach betont. Maas geht es um Regeln, am liebsten auf europäischer Ebene. Denn „so schlecht sind wir mit der vermeintlichen Regelungswut nicht gefahren“, sagt der Minister mit Verweis auf Deutschlands Wirtschaft. Daß es auch im Internet läuft, dafür will er „bis zur letzten Minute kämpfen“.