© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/17 / 23. Juni 2017

„Eine ungeheure Provokation“
Der Kulturwissenschaftler, Ex-Achtundsechziger und Herausgeber Frank Böckelmann widerspricht der „Aburteilungswut“, die er gegen den angeblichen Skandalautor Rolf Peter Sieferle toben sieht, und erklärt die Hintergründe aus seiner Sicht
Moritz Schwarz

Herr Dr. Böckelmann, war Rolf Peter Sieferle ein Antisemit und Rechtsextremist?

Frank Böckelmann: Nein. Alle dafür in den Medien als Beweis angeführten Textstellen, etwa aus seinen jüngsten Büchern „Finis Germania“ und „Das Migrationsproblem“, halten einer Überprüfung diesbezüglich nicht stand.

Zum Beispiel?

Böckelmann: Etwa Auschwitz sei „zum letzten Mythos“ der modernen Welt geworden – womit sich Sieferle laut Medien „in die Nähe der Auschwitzlüge begibt“. Wer aber den Satz im Buch nachliest, erkennt ohne große Mühe, daß Sieferle mit „Mythos“ natürlich nicht meint, es habe Auschwitz nicht gegeben – zumal er im selben Kapitel von den „Greueltaten“ und „Verbrechen“ der Nazis spricht. Mit „Mythos“ meint er vielmehr das Dogma, der Holocaust sei eine unvergleichliche und untilgbare Kollektivschuld der Deutschen.

Joschka Fischer nannte Auschwitz den „Gründungsmythos der Bundesrepublik“ .

Böckelmann: Wofür ihm trotz des Wortes Mythos natürlich keine „Nähe zur Auschwitzlüge“ unterstellt wurde. Aber das zeigt die blinde Aburteilungswut, die Sieferle entgegenschlägt. Ebenso, wenn Journalisten, die über seine Texte schreiben, Adjektive wie „ekelhaft“ einflechten. Sie haben sie also offenbar nur mit Widerwillen gelesen, ohne jedes Interesse zu verstehen, was gemeint ist. Sie lesen sie nur – und das war übrigens die Methode der historischen Inquisitoren –, um verdächtige Stellen für Anklage und Verurteilung herauszupicken.      

„Die Schuld der Juden an der Kreuzigung des Messias wurde von diesen selbst nicht anerkannt.“ – Da allerdings klingt Sieferle schon sehr nach antisemitischem Stereotyp.

Böckelmann: Wenn man diesen Satz aus dem Kontext reißt, könnte man diesen Eindruck gewinnen. Liest man aber im Buch nach, zeigt sich, daß Sieferle nicht etwa von einer Schuld der Juden spricht, sondern auf eine jahrhundertelange christliche Schuldzuschreibung zurückkommt. Er referiert über die Geschichte des Antisemitismus und sagt dann, daß die Juden die ihnen unterstellte Kollektivschuld für die Kreuzigung Jesu nie angenommen haben. Weil sie zu sich selbst standen – vorbildlich! Tatsächlich ist der Satz also sogar das Gegenteil von antisemitisch.   

Warum wird Sieferle falsch dargestellt? Schließlich, das merkt man den Texten seiner Kritiker an, sind diese nicht dumm.

Böckelmann: Das ist keine Frage der  Intelligenz. Diejenigen, die Sieferle als „rechtsextrem“ diffamieren, sehen sich von ihm offenbar in ihrem journalistischen Selbstverständnis angegriffen: als Gesinnungswächter und Wegweiser, als Streiter für Entgrenzung und Vielfalt. Sieferle stellt dar, wie gleichförmig unsere Medienlandschaft geworden ist. Die meisten Journalisten hingegen schwärmen von den heftigen Debatten in ihren Redaktionen und sehen mit diesen die Meinungsvielfalt belegt – obwohl es sich nur um Nuancen in einem metroliberalen Konsens handelt. Sieferle schreibt sogar, daß wir das Verschwinden des „Menschen“ bereits hinter uns haben, nämlich des Menschen, der in „individuell-familiären Dimensionen“ lebte. Im fragmentierten und standardisierten Dasein sei Individualität „eher die Ausnahme“. Dies gesagt zu bekommen, ist gerade für Journalisten eine unerträgliche Provokation.    

In dem „FAZ“-Beitrag „Am Ende rechts“ vom 12. Mai, der den Fall Sieferle ausgelöst hat, behauptet der Autor Jan Grossarth eine Wende Sieferles hin zum Rechtsextremen aus Verbitterung. Trifft das zu?

Böckelmann: Nein. Eine solche  späte Wende haben Jan Grossarth, Gustav Seibt und andere konstruiert, um einen allseits hochangesehenen Wissenschaftler nunmehr verdammen zu können, Sieferle hat die Sozial-, Kultur-, Natur- und Ideengeschichte zusammengeführt und vom Tunnelblick der Fachwissenschaft befreit. In den achtziger und neunziger Jahren wurde er von vielen als Philosoph der Grünen betrachtet. Man vergißt, daß Sieferle bereits 1994 mit seinem Buch „Epochenwechsel“ vor einer neuen Weltordnung der Konzerne gewarnt und zur Rückbesinnung auf die Kultur des gewachsenen Vertrauens, die europäische, aufgefordert hat. Seine letzten Schriften erklären sich nicht  aus Krankheit und Verbitterung, wie die FAZ behauptet. Alle angeblichen „Wenden“ erklären sich aus der konsequenten Weiterentwicklung seiner Forschungstätigkeit.

Sein Kollege, der Sinologe Raimund Kolb meint, der 2016 verstorbene Sieferle sei kein Rechtsextremist, sondern Ökologe gewesen: „Als Umwelthistoriker war für ihn klar, daß wir in einer Welt begrenzter Ressourcen leben. Als Verantwortungsethiker mußte er deshalb von der Migrationskrise tief beeindruckt sein.“  

Böckelmann: Ja, deshalb sprach ich von Weiterentwicklung. Sieferle zog Konsequenzen aus Einsichten in die Geschichte der Industrialisierung und erkannte schon früh einen unlösbaren Konflikt zwischen einer Rohstoffe fressenden Ökonomie, die ihre Umwelt total vernutzt, und der Ökologie.

Und von diesem Ansatz kommt Sieferle auch zum Migrationsproblem?

Böckelmann: Genau, denn die Verschleuderung des kulturellen Kapitals, von dem der Rechtsstaat und der Sozialstaat zehren, sind mit der – potentiell unbegrenzten – Massenzuwanderung unvereinbar. Sein Bestseller „Das Migrationsproblem“ hat das Potential, zu einer Grundlagenschrift gegen die Massenzuwanderung zu werden. Dies wird von den Medien, die sich mehr oder weniger dem „alternativlosen“ Weg Angela Merkels verschrieben haben, als große Gefahr erkannt. Das bedeutet, eine Schrift wie „Finis Germania“ muß als „rechtsradikal, antisemitisch und geschichtsrevisionistisch“, wie der Spiegel schreibt, entlarvt und bekämpft werden – wie stichhaltig Sieferles Thesen auch sind. Denn die Gesellschaft hat sich in zwei Lager aufgeteilt, und wir befinden uns gleichsam schon im Stadium des Handgemenges. Brücken bauen könnten nur große Gelehrte, wie Sieferle einer war. Gelehrte, die unerschrocken den Weg der Erkenntnis gehen, indem sie möglichst viele Faktoren einbeziehen und von ihren Einsichten her in den Zielländern der Massenimmigration zur Rückkehr des Politischen ermuntern. In jenen Ländern also, in denen gegenwärtig das Politische zwischen Ökonomie und Gesinnungsethik zermahlen wird.

 

Dr. Frank Böckelmann geboren 1941 in Dresden, ist Herausgeber der Zeitschrift Tumult und von Sieferles Buch „Das Migrationsproblem. Die Unvereinbarkeit von Sozialstaat und Masseneinwanderung“.

 

Bild: Rolf Peter (†) und Regina Sieferle 2013 in ihrem Haus in Heidelberg:  „Rechtsradikal, antisemitisch? Die Vorwürfe halten der Überprüfung nicht stand“ (Böckelmann); „Es wird gelogen und verfälscht“ (Regina Sieferle)

 

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