© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/17 / 16. Juni 2017

Gegen das hirnlose „Weiter so“
Ausstellung: Kunstraum Potsdam mit aufklärerischer Provokation
Christian Dorn

Die eifrigsten Schüler des Islamischen Staates sitzen in der Tourismusabteilung der Stadt Kassel, deren Facebook-Profil – parallel zur Documenta – mit einer teils verhüllten Herkulesfigur wirbt. Diese vorauseilende Unterwerfungsgeste (JF 24/17) korrespondiert unfreiwillig mit der im Kunstraum Potsdam gezeigten, von Christoph Tannert kuratierten Schau „Weiter so“. Dabei täuscht der lakonische Titel über die Brisanz der hier vorgestellten Werke hinweg, deren bildkünstlerischen Aussagen fraglos – so der denunziatorische Unterton in der Märkischen Allgemeinen – AfD-Wähler ansprechen dürften. Tatsächlich untermauern die Arbeiten der internationalen Künstler, die teils schon vor Jahrzehnten entstanden sind, deren geradezu unheimlichen, seherischen Charakter, indem sie etwa die Phänomene von Globalisierung und Islamisierung thematisieren. Ganz neu hingegen ist die Fotoserie des Künstlers Simon Menner, der Aufnahmen der Terrormiliz IS aneinandergereiht hat, deren Propagandavideos brutalste Hinrichtungsszenen zeigen, während auf denselben Bildern „anstößige“ Details wie nackte Hintern oder Frauen, etwa Angela Merkel auf einem Politikerfoto, unkenntlich gepixelt sind – die über Kassel wachende Herkulesstatue läßt grüßen. 

So heißt denn auch Tannert das Publikum „willkommen im Panoptikum unserer Albträume“. Unter dem Lückenmantel der Zivilisaton seien „wir alle Bestien“ und könnten, alles andere als unschuldig, nur wählen „zwischen Schlimmem und Schlimmerem“. Wider die vereinheitlichende Globalisierung komme es darauf an, wieder eine Spiritualität zu entwickeln. Denn Marx, so der Verweis auf Edward Goldsmith, habe völlig daneben gelegen mit seiner Ansicht, daß Religion Opium fürs Volk sei, vielmehr sei das wirkliche Opium der Materialismus. Die internationalen Künstler, von Rußland bis Singapur, bezögen mit ihrer Kunst Position und wirkten aufklärerisch. Entsprechend böten sie „Alternativen zu all dem karnevalistischen Mummenschanz, zum Basteln mit Flüchtlingen, zum Herumhocken mit Aktionsgruppen, zum Tigerfüttern mit selbsternannten Weltverbesserern“. 

Sie stünden „gegen das hirnlose Weiter-so, gegen den verblödeten Zeitgeist, samt seinen politischen Losungen“. „Echt Bombe“, man denke nur an die Anschläge in Teheran, wirkt da das Bildnis der „Tschetschenischen Marilyn“ (2005) mit Tschador und Sprengstoffgürtel vom russischen Kollektiv der Blues Noses Group. Die ebenfalls aus Rußland stammende Künstlergruppe AES+F nimmt in ihrer schon vor zwanig Jahren begonnenen Serie „The Witnesses of the Future. Islamic Project“ in Fotomontagen den Vormarsch des Islamismus vorweg: So zieht durch den Central Park eine Beduinenkarawane, während auf dem Roten Platz die Taliban neben einem Pfahl mit abgehacken Händen posieren. Weit verstörender erscheint die Porträtserie „When the Saints Go Marching In“ von René Schoemakers, die drei Votivtafeln mit den Bildern der neuen Heiligen im Luther-Jahr zeigt, Steve Bannon zur linken, Pierre Vogel zur rechten Seite von Martin Luther, dessen Porträt besonders diabolisch wirkt. 

Die witzigsten wie hintersinnigsten Arbeiten stammen abermals von Via Lewandowsky, der schlüssig beweist, wie der Prozeß der Islamisierung mit der Metapher des Kuckuckseis als gelungene Integration zu interpretieren ist (siehe Abbildung). Neben der Figurengruppe „Heilige Familie“ (Schornsteinfeger, Bäuerin, Selbsmordattenäter) regt auch die phonetische Bemusterung des arabischen Wortes für Vernunft in der Arbeit „Nimbus, Limbus“ zum Nachdenken an. 

Befördert wird die Reflexion durch Zitate auf höherer Ebene, durch die zum Beispiel Milo Yiannopoulos und Judith Butler aufeinandertreffen, wobei letztere fragt: „Schirmt uns unsere weltentrückte Art des linksliberalen Denkens von der Wahrheit ab?“ Die Antwort darauf gibt auch der globalisierungskritische Essay des Historikers Eberhard Straub im begleitenden Katalog, der erst noch vorgestellt wird. Verheißungsvoll verkündet Ricardo Benassi an der Außenfassade des Kunstraums Potsdam, einst Königliche Garnisons-Dampfwaschanstalt: „I’m with you in the struggle“.

„Weiter so“. Kunstraum Potsdam, c/o Waschhaus, Schiffbauergasse 4d, 14467 Potsdam. Mi–So, 13–18 Uhr, bis 2. Juli 2017. Katalog-Präsentation und Diskussion des Ausstellungskonzeptes am 29. Juni um 19 Uhr.

 http://kunstraumpotsdam.de