© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/17 / 16. Juni 2017

„Ich bin ein Mann von Ehre“
Schleuser-Prozeß: Ein Iraner soll illegale Einwanderer als Touristen getarnt nach Deutschland gebracht haben / „Brauchte Geld für meine Frau“
Hinrich Rohbohm

Die  Verhandlung hat gerade erst begonnen, da bricht Soheyl M. bereits in Tränen aus. „Ich bin ein Mann von Ehre“, sagt er immer wieder. Der 37 Jahre alte Iraner muß sich seit dem 8. Mai dieses Jahres vor dem Hamburger Landgericht wegen bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern verantworten. Zwischen Juli und November 2010 soll er zusammen mit weiteren Tätern 72 illegalen Einwanderern Einreise und Aufenthalt in Deutschland und weiteren Staaten der Europäischen Union ermöglicht haben. 

Die Bande hatte den Migranten Touristenvisa verschafft, die in der ungarischen Botschaft von Teheran ausgestellt worden waren (JF 21/17). Dabei hatte sie gegenüber dem Botschaftspersonal sowohl falsche Berufe als auch eine falsche Aufenthaltsdauer angegeben. Als Reiseleiter getarnt, begleiteten die Täter ihre Gruppe, organisierten ein gewöhnliches zehntägiges Reiseprogramm, um nicht aufzufallen. Statt zurückzukehren, setzten sich die meisten aus der Gruppe dann jedoch nach Österreich ab. Die Schleuser hatten zudem Unterkünfte in verschiedenen EU-Staaten besorgt, halfen den Migranten auch dabei, Asylanträge zu stellen und bei den weiteren Abläufen während der Asylverfahren. 

Vor Gericht erscheint Soheyl M. in Karohemd, beigefarbener Hose sowie Turnschuhen. Und mit einem zutiefst deprimierten Gesichtsausdruck. Er wird in Handschellen in den Saal geführt, befindet sich seit November vergangenen Jahres in Untersuchungshaft. Als er neben seinem Verteidiger Platz nimmt, ist sein Blick nach unten gerichtet. 

Ja, er wolle aussagen. Aber schon seine ersten Sätze vermischen sich mit einem herzzerreißendem Schluchzen. „Herr Richter, ich bin ein Mann von Ehre“, sagt er immer wieder. Folgt man seiner Version der Geschichte, so ist auch er, der Angeklagte, ein Opfer der Schleuser-Mafia geworden. „Ich wollte weg aus dem Iran. Ich wollte nach Europa“, beginnt er zu erzählen. Gemeinsam mit seiner Frau habe er sich hier eine neue Existenz aufbauen wollen. Im Iran habe er nicht bleiben können. Weil er ein Kritiker des Ajatollah-Staates sei. Dabei stammt Soheyl M. aus einer wohlhabenden Familie. Sein Vater arbeitete im iranischen Verkehrsministerium. Man habe im Iran zur gehobenen Mittelschicht gehört, behauptet er. 

Über Schleuser hatte er sich ein Visum für die Europäische Union besorgen wollen. 4.000 Euro habe er ihnen dafür zahlen müssen. Und er müsse als Reiseleiter getarnt eine aus mehreren Familien bestehende Gruppe nach Budapest begleiten. Dies sei die Bedingung gewesen, damit auch seine Frau ein Visum bekomme. 

Angeklagter auch nur ein Opfer der Schleuser-Mafia?

Soheyl M. geht auf den Deal ein, fährt mit einer aus mehreren Familien bestehenden „Reisegruppe“ nach Ungarn, checkt mit ihr im Budapester Luxushotel „Royal Park“ ein. Er habe die Pässe der Teilnehmer eingesammelt, Formalitäten abgewickelt. Als sich abzuzeichnen beginnt, daß die meisten aus der Gruppe nicht wieder in den Iran zurückkehren wollen, seien ihm Zweifel gekommen. „Das hat uns nicht zu interessieren“, hätten die Schleuser entgegnet. Er selbst will von den illegalen Machenschaften der Bande zunächst nichts mitbekommen haben, habe nur an das Visum für seine Frau gedacht. Ein Umstand, den ihm das Gericht nicht abkaufen will. „Ihnen muß klar gewesen sein, was da abläuft“, entgegnet der Vorsitzende Richter. 

„Später ist mir das klargeworden, aber zu Beginn der ganzen Sache noch nicht“, gesteht er. Er habe zuvor immer wieder versucht, auch ein Visum für seine Frau von den Schleusern zu erhalten. „Das kommt später, dein Visum gilt jetzt, du mußt jetzt reisen oder gar nicht“, habe man ihm gesagt. Hatte die Bande sich auf diese Weise einen bis dahin unverdächtigen Komplizen verschafft? War Soheyl M. in gewisser Weise sogar selbst ein Opfer der Schleuser-Mafia? Das Visum für seine Frau ließ auf sich warten. 

Unter Tränen schildert Soheyl M., wie er zunächst allein nach Großbritannien ging. Und wie ihm die Schleuser mitteilten, daß er für das Visum seiner Frau nun nochmals 4.000 Euro zahlen müsse. „Das war aber so gar nicht abgemacht“, beklagt er und schildert seine verzweifelten Versuche, das nötige Geld zusammenzubekommen. „Ich habe jede Arbeit angenommen, die ich finden konnte, jede“, beteuert er. Schluchzend erzählt er von seinen Telefonaten mit seiner Frau, seinen Bemühungen, sie nach Europa zu holen. Davon, daß ihm das Geld fehlte, um die geforderte Summe für das Visum seiner Frau zahlen zu können. Weil die Miete so hoch gewesen sei und der Lohn seiner Gelegenheitsjobs so niedrig. Seine Stimme wird zunehmend lauter, seine Worte immer hektischer. Fast väterlich faßt sein Verteidiger ihn an den Arm, redet mit leiser Stimme auf ihn ein, versucht ihn zu beruhigen.

Schließlich sei es M. dann doch gelungen, seine Frau nach England zu holen, wo er mit ihr später ein Restaurant betreibt, das jedoch nur wenig eingebracht habe, wie er behauptet. Derweil wird nach Soheyl M. bereits international gefahndet. Am 31. Mai des vergangenen Jahres wird er in London festgenommen. „Ihre Geschichte könnte sich tatsächlich so zugetragen haben“, sagt einer der Richter. 

Ob er Näheres über die Hintermänner sagen könne, möchte die Staatsanwältin wissen. M. verneint, will wenig mitbekommen haben. Nicht einmal, daß es sich bei der besagten Reise nach Budapest um Schleuserkriminalität gehandelt habe. „Das wurde mir alles erst später klar, anfangs hatte ich davon keine Ahnung“, wiederholt der Beschuldigte. Der Prozeß wird fortgesetzt. Ein Urteil wird nicht vor Juli erwartet.