© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/17 / 09. Juni 2017

Knapp daneben
Einkaufen ist peinlich
Karl Heinzen

Wer bei Real an der Kasse ansteht und sich die Zeit damit vertreibt, daß er die auf einem Bildschirm flimmernden Werbeclips betrachtet, sollte wissen: Er wird möglicherweise beobachtet und kategorisiert. In 40 der insgesamt 285 Märkte zeichnet eine Kamera die Gesichter der Zuschauer auf, um Alter, Geschlecht und Verweildauer zu ermitteln. Die Daten werden an die Firma Echion übermitteln, welche die Werbeplattform betreibt. Sie behauptet, auf diese Weise Anhaltswerte dafür zu gewinnen, ob die Clips auf die erwünschte Resonanz beim Publikum stoßen.

Gespeichert werden die Bilder für ganze 150 Millisekunden. Für Datenschützer sind dies jedoch genau 150 Millisekunden zuviel. Zwar weiß Real nicht, wer da zu sehen ist, es sei denn, der Kunde hätte sich zufälligerweise Name, Anschrift und Geburtsdatum auf die Stirn tätowiert. Der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar meint dennoch, daß man nicht von Anonymität sprechen könnte. 

Die Waren, die sich langsam auf den Scanner zubewegen, fördern unser Innerstes schonungslos zutage.

Damit hat er sicher recht. Doch das Problem ist viel grundsätzlicherer Natur. Wer einkaufen geht, begibt sich zwangsläufig in die Öffentlichkeit. Spätestens wenn er die Einkäufe an der Kasse aufs Band legt, kann er nicht mehr verheimlichen, was für ein Mensch er ist. Die Waren, die sich langsam auf den Scanner zubewegen, fördern für alle Umstehenden, die neugierig zuschauen, sein Innerstes schonungsloser zutage, als es Geständnisse je könnten. Betreten nehmen die Zeugen zur Kenntnis, wenn einschlägige Produkte auf Alkoholprobleme oder ein unterentwickeltes Ernährungsbewußtsein schließen lassen. Sie lächeln, wenn sie lauter Fertiggerichte bemerken: Das ist wohl ein Single? Vergeblich versuchen Eltern zu verbergen, daß sie für ihre Kinder wieder einmal den Bekleidungsmüll aus Billiglohnländern kaufen, während sie selber Nobelmarken spazieren führen.

Lust am Einkaufen können daher nur Exhibitionisten empfinden. Doch niemand muß sich heute dieser Peinlichkeit aussetzen. Onlineshops bieten eine diskrete Alternative. Dies und nicht das bequeme Einkaufen ist ihr eigentliches Erfolgsgeheimnis.