© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/17 / 09. Juni 2017

Harte Schale, weiches Herz
Unterhaltung: Der deutsche Country-Barde Gunter Gabriel begeht seinen 75. Geburtstag
Ronald Berthold

Gunter Gabriel liebt Rotwein. Wer sich mit ihm auf ein oder mehr Gläschen bei seinem Lieblingsitaliener in der Berliner Knesebeckstraße verabredet, bleibt nicht zu zweit. Der Countrysänger sucht den Kontakt mit den anderen Gästen, holt im Zweifel seine Gitarre hervor und spielt sein neuestes Stück, das ihm über Nacht eingefallen ist. Spätestens dann wird es voll am Tisch. Der Mann, der an diesem Sonntag 75 Jahre alt wird, genießt die Anerkennung – und zwar auf eine sympathische, nicht wirklich aufdringliche Art.

Am 11. Juni 1942 im westfälischen Bünde geboren, mußte er sich früh durchs Leben kämpfen. Sein alleinerziehender Vater „prügelte“ ihn schon im Teenageralter aus dem Haus, wie der knapp Zwei-Meter-Hüne häufig erzählt. Seine schwere Jugend berührt ihn bis heute. Gabriel, der vermeintlich harte Kerl, ist nah am Wasser gebaut. Nicht selten fängt er an zu weinen, wenn ihn seine Erinnerungen überkommen. Auch sein vorgerücktes Alter macht ihm zu schaffen. Gedanken an den Tod führen ihn immer wieder in Melancholie.

Daß er später mit Schlägereien Schlagzeilen produzierte, paßt zum Image des wilden Haudraufs. Aber kaum einer weiß, wie sehr er darunter leidet und wie ehrlich er sich bei seinen Opfern entschuldigte – die freilich nicht immer verzeihen konnten. Über seine Ausbrüche gingen vier Ehen kaputt. Wenn die Medien seine Eskapaden ausschlachten, stört ihn das nicht weiter. Im Gegenteil, schlechte Presse kommt ihm durchaus gelegen: „Lieber mit so etwas in der Zeitung stehen als überhaupt nicht“, ist das Motto, mit dem er seine Eigen-PR betreibt und zu dem er sich gern bekennt.

Nach all dem sah es nicht aus, als er die Volksschule abbrach, um über die Runden zu kommen. Dann bekam er die Kurve, machte sein Fach-Abi und geriet als DJ in Kontakt mit der Musikbranche. Zunächst schrieb er für andere Künstler bis heute bekannte Lieder, darunter Juliane Werdings „Wenn du denkst, du denkst“ und Frank Zanders „Ich trink auf dein Wohl, Marie“. Vom Plattenlabel fühlte er sich übergangen, weil ihn das an den Erfolgen finanziell nicht beteiligte. Das läßt sich einer wie er nicht bieten. Er haut – um es in Gabriels Sprache zu sagen – in den Sack.

Gabriel war mit Johnny Cash befreundet

Sein Talent, Gassenhauer zu schaffen, nutze er nun für sich selbst. Aus Günter Caspelherr wurde Gunter Gabriel. Den Künstlernachnamen lieh er sich von seiner ersten Frau, die Gabriele hieß. Die Ü-Strichelchen waren ihm zu spießig und so betrat 1973 ein Mann die Showbühne, dessen neuer Name zum Gütesiegel für deutsche Country-Musik aufstieg. Da war Gabriel schon 31. Mit „Er ist ein Kerl (Er fährt ’nen 30-Tonner-Diesel)“ schaffte er seinen Durchbruch als Solo-Sänger. Der sagenhafte Erfolg mit einem neuen Genre züchtete Nachahmer. Die Band Truck-Stop oder der Sänger Tom Astor sind von Gabriel inspiriert. Der Jubilar hob den deutschen Country aus der Taufe.

Er selbst orientierte sich an Johnny Cash, übertrug einige Lieder von ihm ins Deutsche. Mit dem „Man in Black“ befreundet gewesen zu sein, darauf ist Gunter Gabriel stolz. Noch kurz vor dessen Tod 2003 besuchte er ihn in Nash-

ville und kam geschockt ob des körperlichen Verfalls zurück. Für das Erfolgsmusical „Hello, I am Johnny Cash“ konnte es keine idealere Besetzung geben als den großen Verehrer des Protagonisten. Das Stück lief ab 2010 monatelang am Berliner Renaissance-Theater und schaffte es aufgrund des ungeahnten Erfolges immer wieder ins Programm. Mit knapp 70 erlebte Gabriel ein sensationelles Comeback. Fortan trug er den Beinamen „der deutsche Johnny Cash“, den ihm Journalisten verliehen, und das zu Recht. Seine Art, den Meister zu interpretieren, beeindruckte sogar Cash-Fans aus den USA.

Dabei schien Gabriels Karriere schon zu Ende. Falsche finanzielle Beratung und eigene übertriebene Großzügigkeit trieben ihn in die Pleite. Kaum ein Veranstalter wollte ihn noch engagieren. Doch der deutsche Country-Pionier gab nicht auf, klagte in einer Talkshow nicht nur sein Leid, sondern hielt plötzlich ein vorher gemaltes Schild mit seiner Telefonnummer in die Kamera: „Jeder kann mich für 1.000 Euro buchen. Ich trete in jedem Wohnzimmer auf.“ Die Idee zündete. Der Sänger konnte sich vor Angeboten nicht mehr retten, sanierte sich mit der Aktion, die er später „Wohnzimmertour“ nannte. Die Treue seiner Fans half ihm aus der Krise. Noch immer tritt er bei ihnen zu Hause auf. Allein derzeit – bis Ende Juli – gibt er sieben solcher Konzerte, eines sogar nur einen Tag vor seinem Geburtstag.

Dem Rauhbein nahm in der Branche mancher ziemlich übel, daß er aus der Zuneigung zu seinem Vaterland keinen Hehl machte. Aber auch das stört ihn nicht. Eine Gitarre hat er sich komplett in Schwarz-Rot-Gold fertigen lassen. Mit ihr und seinen Liedern begeisterte er auf dem JF-Sommerfest vor zwei Jahren mehrere hundert Gäste. Als einer der wenigen deutschen Sänger hatte er vor dem Fall der Mauer die Teilung zum Thema gemacht. Sein Lied hieß „Daran gewöhne ich mich nie“. Zum Evergreen unter seinen nicht selten patriotischen Fans gehört die Liebeserklärung „Deutschland ist …“

Gute Umgangsformen sind ihm nicht wichtig

Gepflegte oder gar konservative Umgangsformen sind dagegen nicht sein Ding. Zum Treffen kommt er schon mal barfuß, und wer mit ihm seinen geliebten Rotwein trinkt, muß – was Fäkalsprache angeht – ein dickes Fell haben. Gabriel strahlt nach einem Satz, in dem er lautstark ein vulgäres Wort an das andere gereiht hat, gern über das ganze furchige Gesicht. Auch wer sich gerade noch für ihn in Grund und Boden geschämt hat, kann diesem lausbübischen Lächeln kaum standhalten.

Irgendwie meint er das alles nicht so. Trällert eine Zigeuner-Combo vor den auf den Bürgersteig gestellten Tischen mehr schlecht als recht ein paar Lieder, zeigt er eine ganz andere Seite; sofort zückt er sein Portemonnaie. Mit 20 Euro kann ein Straßenmusiker immer rechnen, wenn Gunter Gabriel vor ihm sitzt. Manchmal sind es sogar 50. Unter seiner harten Schale verbirgt sich ein weiches Herz. Das lieben seine Freunde – und auch, daß er nie richtig erwachsen geworden ist.