© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/17 / 09. Juni 2017

Pankraz,
Frau M. Piekenbrock und das Go Between

Es ist nun endlich passiert, was schon lange zu erwarten stand: In einem der bekanntesten Theater Berlins, der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, haben die Kuratoren die volle Macht übernommen. Nicht nur der dortige Intendant Frank Castorf ist abgelöst, sondern die Gestalt des Intendanten überhaupt. An seine Stelle ist der Kurator getreten, genauer: die Kuratorin,  in diesem konkreten Fall Frau Marietta Piekenbrock, die keinen Zweifel daran gelassen hat, wohin der Hase in Zukunft laufen wird: weg vom Theater in seiner traditionellen Ausprägung, hin zum sogenannten „Go Between“.

Offiziell ist es der aus Flandern stammende Chris Dercon (58), früher Direktor der Tate Gallery of Modern Art in London, der nun „Intendant“ der Volksbühne geworden ist, aber weder wurde er wirklich Intendant im alten Sinne, noch hat er künftig wirklich viel zu sagen. Er galt schon  in London als entscheidungsschwach, als „Pussycat“, als typisches „Weichei“, wie man im Deutschen sagt,  und eierte dann auch in Berlin bei den Verhandlungen mit dem Senat über die Zukunft der Volksbühne schier endlos um Entscheidungen herum, die eigentlich schnell und energisch gefällt werden mußten. 

In seinem Schatten (und jetzt auch amtlich als „Programmdirektorin“) waltete und waltet jedoch Frau Marietta Piekenbrock (53) aus Ostwestfalen, ihres Zeichens Kuratorin und Kulturmanagerin, und mit der ist nicht zu spaßen. Für sie gibt es kein Theater mehr, allerdings auch keine bildende Kunst und keine vom übrigen Kulturbetrieb abhebbare Literatur,  sondern eben nur ein kulturelles „Go Between“, ein kulturelles Dazwischengehen, bei dem sich alle Disziplinen ununterscheidbar vermischen, eine kulturelle Einheitssoße also, die nur noch von professionellen Kuratoren eingerührt werden kann.


Die Zukunft gehört der In-Betweenness“, verkündete Dercon bei der Feier zu seiner und Piekenbrocks  Einführung, „es geht uns um Künstler, die nicht nur über ihre eigene Sparte nachdenken wollen, sondern über unterschiedliche Sparten, egal ob Kunst, Theater, Kino.“ Und Frau Piekenbrock wurde konkreter und fügte hinzu: „Wir sind im Begriff, ein Sprechen über Kunst zu verlernen zugunsten von Inhalten, Themen, Konzepten, Tagespolitik. Die Künstler, die wir einladen werden, sind für uns hochpolitisch. Aber was sie verbindet, ist, daß alle an einer Rückgewinnung der Form arbeiten.“

„Nun, dann arbeitet mal schön!“ möchte Pankraz sarkastisch dazwischenrufen. Einerseits sollen die Künstler an der neuen Volksbühne über ihre eigenen „Sparten“ hinausdenken und alles schön miteinander vermischen,, andererseits sollen sie „hochpolitisch“ sein, also die aktuelle Politik mit dem üblichen linken Medienjargon begleiten. Und drittens sollen sie auch noch an der „Rückgewinnung der Form“ werkeln, denn sie seien ja Künstler, echte Künstler. Wie soll so etwas aber funktionieren? Schließen sich die Forderungen der Frau Piekenbrock nicht gegenseitig aus, und zwar gründlich und aus prinzipiellen Gründen? 

Formen sterben ja gerade dann, wenn man sich nicht mit Leidenschaft und höchster Genauigkeit auf sie konzentrieren darf, wenn mächtige und anmaßungsvolle Kuratoren mit buchstäblich allen Mitteln, nicht zuletzt mit finanziellen Verführungen oder Verweigerungen, völlig ungeniert Druck auf die Künstler ausüben. Früher mischten sich die Geldgeber, ob Fürst oder reicher privater Mäzen, allenfalls in die Auswahl der Inhalte und Themen ein, die die Künstler behandelten, faktisch nie in die Auswahl der Formen, Gestaltungsprinzipien oder Arbeitstechniken. Das hat sich leider sehr verändert. 

Heute müssen die Künstler schon froh sein, wenn Kuratoren à la Dercon die künstlerischen Formen herablassend als bloße „Sparten“ abtun. Richtig schlimm wird es dann, wenn sie à la Piekenbrock nur noch  „hochpolitische“ Künstler favorisieren, die das Go Between, das forsche Dazwischengehen, für das A und O ihrer Betätigung halten. In diesem Fall wird die Form nicht nur nebensächlich, vernachlässigbar, sondern völlig gleichgültig. Es kommt nur noch darauf an, möglichst laut und medienwirksam zuzuschlagen. Geschädigt werden dadurch nicht nur die Künstler selbst, sondern auch und nicht zuletzt das Publikum.


Schönres find’ ich nichts, wie lang ich wähle, /Als in der schönen Form – die schöne Seele.“ So einst Friedrich Schiller in seiner „Huldigung der Künste“. Man mag das idealistisch überspannt finden, aber ein harter Kern bleibt. Der skeptisch-realistische Georg Christoph Lichtenberg jedenfalls fügte den Schillerschen Versen später in seinen „Vermischten Bemerkungen“ hinzu: „Die Form des Gedankens muß dem Dichter schon innewohnen, ehe der Gedanke selbst erscheint.“ Nicht der Inhalt, sondern die Form bestimmt den Glanz und die Wahrheit eines Kunstwerks; keine  neumodische Kuratorenweisheit kann das ändern.

Von daher leitet sich auch die Bedeutung der jeweiligen „Sparte“ ab, in der das Kunstwerk erscheint. Sicherlich, es gab von Anfang an in der Geschichte der Menschheit einen gemeinsamen Kunststrom, und auch die Sehnsucht nach dem „Gesamtkunstwerk“ war immer lebendig. Sie blieb aber reine Utopie; selbst  die größten Wagner-Opern vermitteln nur eine Ahnung davon. Das von Dercon und Piekenbrock jetzt für die Volksbühne annoncierte „spartenübergreifende“ Gesamtkunstwerk aber, soviel läßt sich mit Sicherheit voraussagen, wird nichts weiter als eine grelle Karikatur der gemeinten Sache sein, bestenfalls.

Wahrscheinlichstenfalls wird es lediglich einen weiteren Abbau in der handwerklichen Solidität mit sich bringen, welche zu jedem gelungenen Kunstwerk dazugehört. Geborene Gesamtkunstwerker gibt es nämlich gar nicht. So werden sich künftig in der Volksbühne wohl an sich akzeptable Ballettänzer als Malergenies aufspielen oder bloße Zappelphilipps und Brüllaffen  als veritable Schauspieler und Sprechmeister. Und im Publikum wird man sich wehmütig an die schönen Vorlesungsabende bei Frank Castorf erinnern.