© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/17 / 02. Juni 2017

Harter Abwehrkampf in der Oberpfalz
Autoindustrie: Der bosnische Hastor-Clan scheitert mit der Machtergreifung beim Zulieferer Grammer / Großkonzerne immer verwundbarer?
Christian Schreiber

Als es noch keine Leiharbeit, Mehrfachbefristungen, Hartz-Gesetze und offene Grenzen gab, konnten Arbeiter noch mit Georg Herweghs Bundeslied drohen: „Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will!“ Gewerkschaftler sind längst Scheinriesen, dafür haben aber die auf Effizienz getrimmten Großkonzerne ein neues Problem: Ihre Just-in-time-Produktion und ihr radikales Outsourcing macht sie abhängig von den Zulieferern. Bei BMW stehen diese Woche die Bänder still, weil elektrische Lenkgetriebe fehlen. Die stellt Bosch in Schwäbisch Gmünd her – doch vom weltweit drittgrößten Autozulieferer gibt es keinen Nachschub, weil Druckgußgehäuse eines italienischen Bosch-Lieferanten fehlen. Wer die Kosten für die Produktionsausfälle trägt, entscheiden demnächst Gerichte.

Ein Wirtschaftskrimi mit Weißem Ritter aus China

Die Verwundbarkeit von Großkonzernen ist auch der Hintergrund eines Wirtschaftskrimis, der seit einem halben Jahr beim Autozulieferer Grammer mit Hauptsitz in Amberg/Oberpfalz tobt. Die Hauptversammlung ließ vorige Woche eine Investorengruppe mit ihren Anträgen zur Neubesetzung der Firmenspitze scheitern. Im Zentrum steht die aus Bosnien stammende Familie von Nijaz Hastor, der bis 1989 Direktor beim jugoslawisch-deutschen VW-Lizenznehmer TAS war. 23 Prozent der Grammer-Aktien hatte der Hastor-Clan zusammengekauft und gehofft, so künftig bestimmen zu können.

Der Vorstand entgegnete, der Familie gehe es darum, die Firma schlechtzureden, um dann die Macht komplett an sich reißen zu können. Die bayerische Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) warnte in der Welt am Sonntag, Hastor veranstalte „einen unverantwortlichen Machtpoker auf dem Rücken des Unternehmens und seiner Mitarbeiter“. In der sozialen Marktwirtschaft trage ein Großaktionär soziale Verantwortung für Mitarbeiter und Arbeitsplätze: „Hastor gefährdet die Zukunft von Grammer.“

Grammer beschäftigt weltweit knapp 12.000 Mitarbeiter, ein Großteil von ihnen positionierte sich gegen die Hastor-Familie, die ihren Firmensitz in Sarajevo hat. Hastors Prevent-Gruppe beschäftigt etwa 14.000 Mitarbeiter, 6.500 davon in Bosnien. Prevent ist der größte private Arbeitgeber und Exporteur Bosnien-Herzegowinas und war zu jugoslawischen Zeiten durch die Kooperation mit Wolfsburg groß geworden. Als VW-Importeur kontrollierte der Hastor-Clan bis 2015 große Teile des dortigen Automarkts, dann übernahm VW den Autovertrieb in der Region selbst. Seitdem ist das Klima vergiftet.

2016 zwang Prevent den größten Autokonzern der Welt in die Knie. Im Streit um Aufträge wurde die Lieferung von Getriebeteilen und Sitzbezügen gestoppt – ein Supergau für VW. Nun wollte Hastor den Grammer-Vorstandschef Hartmut Müller stürzen und eigene Leute in den Aufsichtsrat schicken. Der chinesische Großaktionär Ningbo Jifeng, den die Grammer-Spitze als Weißen Ritter an Bord geholt hatte und gut 15 Prozent der Anteile hält, hatte sich ebenfalls gegen die Pläne der Bosnier ausgesprochen. Bis fünf Tage vor der Hauptversammlung war aber nicht klar, ob die Chinesen bei Grammer einsteigen dürfen. Erst das Landgericht Nürnberg-Fürth hatte eine einstweilige Verfügung von Prevent dagegen aufgehoben.

Während der achtstündigen Aktionärsversammlung kam es zu tumult­artigen Szenen. Hastor-Anwalt Franz Enderle warf dem Vorstand vor, er denke nur daran, „wie er seine eigene Position sichern kann“. „Aufhören“-Rufe und wüste Beschimpfungen folgten. Die chinesischen Geschäftspartner sollen angeblich gegen die Hastor-Gruppe „geimpft“ worden sein. „VW hat Regie geführt und Grammer-Vorstandschef Hartmut Müller hat die ihm zugedachte Rolle gespielt“, hieß es aus der Hastor-Ecke. Damit habe der Manager seinen Aktionären „keinen Gefallen getan, sondern massiven Schaden zugefügt“.

Grammer beliefert neben VW auch Mercedes und BMW mit Mittelkonsolen und Kopfstützen. Enderle warf der Grammer-Spitze vor, sich von VW instrumentalisieren zu lassen. „Weil der dem Vorstand den Sattel gehalten hat, sind ernsthafte Preisverhandlungen künftig nicht mehr möglich. Sie werden nicht umhinkommen, jeden Preis, den VW diktiert, zu akzeptieren.“ 

Der bayerische IG-Metall-Chef Jürgen Welcher führte vor der Grammer-Jahreshauptversammlung einen Zug von 2.000 Mitarbeitern an, die gegen die Übernahme wetterten: „Die Hastors interessieren sich nur für kurzfristige Gewinne.“ Von der Hastor-Familie war allerdings niemand persönlich erschienen. Aufgeben will der reichste Bosnier nicht, sondern allen Beschlüssen gerichtlich entgegentreten. „Wir bleiben dran, werden nicht einfach verschwinden“, zitierte die Süddeutsche Zeitung einen Vertreter der Familie. Die hat längst ihre Macht erkannt: „Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will.“

Geschäftsbereiche der Grammer AG:  www.grammer.com