© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/17 / 02. Juni 2017

Maas-Regeln
Keine Rücksicht auf Verluste: Der Bundesjustizminister will sein Zensurgesetz trotz harscher Kritik selbst aus den eigenen Reihen noch vor Juli durch den Bundestag peitschen
Heiko Urbanzyk

Justizminister Heiko Maas (SPD) erlebt seit Monaten Druck von allen Seiten. Grund: Sein Netzwerkdurchsetzungsgesetz, mit dem er den Kampf gegen sogenannten „Hate Speech“ und „Fake News“ in den sozialen Medien aufnehmen will. Mit dem Gesetz will die Bundesregierung Unternehmen mit einer Nutzerzahl über zwei Millionen Kunden, also Firmen wie Facebook, YouTube und Twitter, dazu zwingen, innerhalb kürzester Zeit Äußerungen seiner Kunden auf den Internetplattformen zu prüfen und gegebenenfalls zu löschen. Es drohen Bußgelder bis zu 50 Millionen Euro. Maas Kritiker halten den Entwurf für schwammig formuliert, die ausgewählten Straftatbestände für willkürlich und im Ganzen den Gesetzentwurf für verfassungswidrige Zensur. Welche Aufgaben diktiert Maas den Unternehmen? Und was bedeutet dieses geplante Gesetz ganz praktisch für den Nutzer der Sozialen Netze? Doch zuerst: Was ist eigentlich unter „Hate Speech“ und „Fake News“ zu verstehen?

Blogger werden schon jetzt ohne Begründung gesperrt

Beide Begriffe kommen in keinem Straftatbestand im deutschen Recht vor; „Hatespeech“ (Haßrede) und „Fakenews“ (Falschmeldungen) sind politische Termini. Um ihre Schwammigkeit zu umgehen, bezieht sich Maas auf schon bestehende Paragraphen des Strafgesetzbuches. Im Gesetzentwurf steht: „Maßstab der Prüfung ist deutsches Recht.“ Maas zieht dafür folgende Paragraphen heran: 86 StGB (Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen), 86a StGB (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen), 90 StGB (Verunglimpfung des Bundespräsidenten), 90a StGB (Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole), 111 StGB (Öffentliche Aufforderung zu Straftaten), 126 StGB (Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten), 130 StGB (Volksverhetzung), 140 StGB (Belohnung und Billigung von Straftaten), 166 StGB (Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen), 185 StGB (Beleidigung), 186 StGB (Üble Nachrede), 187 StGB (Verleumdung), 241 StGB (Bedrohung) und 269 StGB (Fälschung beweiserheblicher Daten).

Festzustellen ist also, daß bereits heute jeder, der eine Straftat durch Äußerungen auf Facebook und Co. begeht, dafür belangt werden kann. Schon heute, ohne das geplante NetzDG, werden Netzkommentatoren gelöscht und gesperrt. Einige Beispiele: Der Blogger und Fotograf Markus Hibbeler wurde wegen eines islamkritischen Textes auf Facebook von dem Unternehmen für sieben Tage gesperrt. Hibbelers Anwalt Joachim Steinhöfel hat dagegen Facebook abgemahnt und verlangt, daß der Text wieder ins Netz gestellt wird. Frist: sieben Tage.

Der freie TV-Journalist Imad Karim, ein Kritiker der Flüchtlingspolitik der Regierung, wurde ohne Begründung am 14. April dieses Jahres von Facebook gesperrt. Betroffen waren ebenfalls 139 von ihm administrierte Gruppen. Nach Kritik wurde Karims Account zwei Tage später ohne Begründung wieder freigeschaltet.

Die Journalistin Anabel Schunke wurde von Facebook gesperrt. Der Grund: Sie hatte eine frauenfeindliche und sexistische Beleidigung ihr gegenüber öffentlich gemacht. Ein Nutzer hatte ihr geschrieben, sie bräuchte „mal so einen richtigen Kanak Schwanz“ (JF online berichtete). 

Sollte das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) verabschiedet werden, haben Anbieter die Verpflichtung, ein Meldesystem zu installieren. Wer glaubt, strafbare Inhalte im Netz entdeckt zu haben, kann sie an diese Beschwerdestelle melden. Alle Anbieter haben sicherzustellen, daß die Beschwerde schnell und unkompliziert abgegeben werden kann. Innerhalb von 24 Stunden müssen dann diese gemeldeten Inhalte von Mitarbeitern des Unternehmens geprüft und offensichtlich strafbare Inhalte gelöscht oder gesperrt werden. Unter offensichtlich versteht das Bundesjustizministerium Verstöße gegen Paragraph 86a StGB – wie das Zeigen des Hakenkreuzes.

Wenn etwas nicht eindeutig strafbar ist – genauer legt sich hier der Gesetzgeber nicht fest –, die Prüfung also länger dauert, gibt der Gesetzgeber dem Internetanbieter sieben Tage Zeit, um den Inhalt gegebenenfalls zu löschen. Darüber hinaus soll der Anbieter die entfernten Inhalte nach Paragraph 3 Abs. 2 Nr. 4 NetzDG „zu Beweiszwecken“ sichern. Nach der Gesetzesbegründung dient diese Norm „in erster Linie der Sicherung der Strafverfolgung gegen den Absender einer Nachricht mit strafbarem Inhalt“. Da eine Speicherfrist nicht benannt ist, dürfte diese nach dem Entwurf unbefristet sein. Auch die Kopien der gemeldeten Inhalte sollen gelöscht werden. Wenn ein Unternehmen zu spät oder gar nicht löscht, ist der zuständige Unternehmensmitarbeiter zur Kasse zu bitten. Bis zu fünf Millionen Euro kann das kosten. Wenn gegen das Unternehmen das Bußgeld verhängt wird, sind bis zu 50 Millionen möglich. Grundlage dafür ist Paragraph 30 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten.

Ausweislich der Gesetzesbegründung gehen bei den sozialen Netzwerken schätzungsweise jährlich mindestens 500.000 Beschwerden aus Deutschland wegen Haßkriminalität ein. Weil jedoch nur ein Bruchteil der angezeigten Kommentare gesperrt oder gelöscht werden, könnten sich „zahlreiche Nutzer, die vermeintliche Haßkriminalität gemeldet haben, (…)veranlaßt sehen, ihre erfolglose Beschwerde dem Bundesamt für Justiz zuzuleiten“. Maas erwartet jährlich 25.000 Meldungen in seinem Hause. „Da diese Anzeigen aber zum großen Teil unbegründet sein werden, kann mit einem jährlichen Aufkommen von 500 Bußgeldverfahren im Bereich des Beschwerdemanagements gerechnet werden.“ 

Wann ist es Kritik, wann Volksverhetzung?

Kritiker melden mehrere Punkte an. Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder kritisiert den Entwurf grundsätzlich. Er ist der Meinung, daß das Ministerium sich seiner originären Pflicht entledige und die staatlichen Aufgaben bei der Auslegung und Durchsetzung geltenden Rechts auf privatwirtschaftliche Unternehmen verlagere.

Aber auch einzelne Punkte werden herausgegriffen. Die kurzen Prüfungsfristen und die hohen Bußgelder werden zu unverhältnismäßiger Löschung von Beiträgen und damit zu einer Beschneidung der Meinungsfreiheit führen. Zumal der Gesetzentwurf vorsieht, daß Einsprüche von einem Amtsgericht ohne mündliche Verhandlung entschieden werden. 

Begriffe wie „Kopie“ sind nicht definiert. Ein Beispiel: Sollte ein Nutzer eben auf eine Strafbarkeit eines vorhergegangenen Kommentars eingehen, ihn dazu kopieren, um ihn dann zur Diskussion zu stellen, ist zu fragen, ob auch dieser Kommentar zu löschen ist. Wie der oben erwähnte Fall der Anabel Schunke. 

Was bedeutet das Gesetz für den Nutzer? Unmittelbar richtet sich das NetzDG zwar an die Betreiber sozialer Netzwerke, Prüfungs- und Löschpflichten nachzukommen. Einen interessanten Aspekt führte Sebastian Alscher, Spitzenkandidat der Piraten Deutschland für die Bundestagswahl, in die Diskussion ein: „Ein Gesetz, das Plattformen nahelegt, vermeintlich strafbare Meinungen voreilig zu löschen, ohne gleichzeitig auch das Löschen erlaubter Inhalte zu sanktionieren, führt zu einem asymmetrischen Anreiz der Plattformbetreiber. Dies wird eine Selbstzensur zur Konsequenz haben, die nur noch Mainstream-Meinungen zuläßt.“

Der Laie weiß selten, wann  die Grenze der Takt- und Geschmacklosigkeit zur strafbaren Beleidigung als Ehrverletzung oder zur Volksverhetzung durch die abstrakte Gefährdung des öffentlichen Friedens überschritten ist. Er kann kaum beurteilen, in welchen Fällen seine Beleidigung der Wahrnehmung berechtigter Interessen dient, so daß doch Straflosigkeit gegeben ist. Ab welcher Schwelle wird Kritik an der Kanzlerin oder ein Witz über den Bundestag zur strafbaren Verunglimpfung des Staates und seiner verfassungsmäßigen Organe? 

Sicher ist, daß ohne Wissen des Nutzers Inhalt gelöscht wird. Er hat keine Möglichkeit des Widerspruchs vor der Sperrung oder Löschung. Denn das sieht das geplante Netzwerkdurchsetzungsgesetz nicht vor. Der Nutzer wird vor vollendete Tatsachen gestellt und kann erst im nachhinein reagieren. Wobei er nicht seine Unschuld zu beweisen hat, denn er ist nicht angeklagt, sondern sozusagen die Unbedenklichkeit seines Postings.

Welche Auswirkungen das Gesetz nicht nur auf das Nutzerverhalten, sondern auf die Gesellschaft haben wird, ist umstritten. Johannes Baldauf von der linken Amadeu-Antonio-Stiftung sprach jüngst im Deutschlandfunk davon, daß „für viele Leute die sozialen Netzwerke der Ort sind, wo sie dann einfach alles rauslassen können. Dann kommen wir wieder zurück zum gesellschaftlichen Klima. Das ist am Ende das, worauf man einwirken muß, um genau das zu ändern.“





Kritik von allen Seiten

Der Hauptgeschäftsführer des Branchenverbandes Bitkom findet: „Der Einsatz gegen Haßrede und Kriminalität im Netz ist zu wichtig, als daß er mit einem überhasteten und handwerklich schlechten Gesetz geführt werden kann, das vor den Gerichten keinen Bestand hätte.“

Martin Wieske, Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Lokalzeitungen(VDL), hat in einem Gastbeitrag in der Zeitschrift „Neue Justiz“, die Umsetzung als „schlecht gemacht“ kritisiert. „Die Erfahrungen der Zeitungsbranche belegen, daß es selbst im Meinungsaustausch erprobten Redakteuren nicht möglich ist, rechtsverletzende Kommentare zeitnah zu erkennen und hierauf in kurzer Zeit angemessen zu reagieren.“

Christian Mihr, Geschäftsführer von „Reporter ohne Grenzen“, bemängelt die verantwortungslose Kurzfristigkeit: „Eine derart komplexe Frage mitten im Wahlkampf in kürzester Zeit regeln zu wollen, hat mit verantwortungsvoller Gesetzgebung nichts mehr zu tun.“

Der Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) kritisierte auf der Jahrespressekonferenz die Hinwendung zu privatisierter Rechtsdurchsetzung. „Es kann nicht sein, daß der Staat seine Hoheit auf Rechtsdurchsetzung ruhen läßt, um Facebook, den größten Inhalteraum der Erde, auch zum größten Zensor zu machen“. 

Die FDP-Generalsekretärin findet das Vorgehen von Maas rechtsstaatlich inakzeptabel. „Das Vorhaben der Bundesregierung, das von Minister Maas stümperhaft vorbereitete Netzwerkdurchsetzungsgesetz durch den Bundestag zu peitschen, ist demokratie- und bürgerfeindlich.“