© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/17 / 02. Juni 2017

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Wut regiert nicht gut
Paul Rosen

Als Parteipolitikerin der ersten Reihe ist Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) nie wahrgenommen worden. Nur Fachleute dürften sich erinnern, daß die Mathematikerin als Präsidentin der Kultusministerkonferenz eine große Mitverantwortung für die mißratene Rechtschreibreform trug. 

Aber plötzlich wird Wanka zur Galionsfigur im „Kampf gegen Rechts“. Bei dem möchte auch die Regierung nicht fehlen, obwohl das Bundesverfassungsgericht die Exekutive in der Vergangenheit mehr als einmal zu parteipolitischer Neutralität verpflichtet hatte. 

Zu Bonner Zeiten wäre es undenkbar gewesen, daß ein Minister auf Briefbogen seines Ministeriums, also amtlich, Stellung zu allgemeinpolitischen Fragen, besonders zu fachfremden Fragen, genommen hätte. Aber in Berlin ist vieles anders geworden, vor allem ist das, was man in Bonn noch unter Begriffe wie Benehmen und gute Sitten zu subsumieren pflegte, selten geworden. 

Somit paßt in die neue Zeit, daß Wanka in einer Pressemitteilung auf der Homepage des Ministeriums gegen die Alternative für Deutschland zu Felde zog. Grund war ein Demonstrationsaufruf der AfD für den 7. November 2015 in Berlin, in dem die Partei dazu aufrief, Kanzlerin Angela Merkel wegen der Flüchtlingspolitik die „Rote Karte“ zu zeigen. 

Was danach passierte, reklamierte der Prozeßvertreter Joachim Wieland vor dem von der AfD angerufenen Bundesverfassungsgericht als „Recht auf Gegenschlag“. Wanka hatte eine Pressemitteilung auf die Homepage gesetzt, in der es hieß: „Die Rote Karte sollte der AfD und nicht der Bundeskanzlerin gezeigt werden.“ Mit Bildungspolitik hatte das alles nichts zu tun, aber sehr viel mit dem Unvermögen einer Ministerin, Parteipolitik vom Regierungsamt trennen können. 

Offenbar hatten Wanka und ihre Mitarbeiter im Bildungsministerium vergessen, was ein Jahr zuvor nach verbalen Attacken von Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) auf die NPD festgestellt worden war. „Mitglieder der Bundesregierung haben bei Wahrnehmung ihrer amtlichen Funktionen die Pflicht zu strikter Neutralität“, hatte das Bundesverfassungsgericht geurteilt und festgestellt, die Pflicht zur Neutralität gelte insbesondere dann, wenn sie „die Autorität des Amtes oder die damit verbundenen Ressourcen“ in Anspruch nehmen würden. Klarer geht es nicht. 

Wanka trat nun höchstpersönlich in Karlsruhe auf und beharrte dort noch auf ihrem Standpunkt, als die Richter ihr unisono durch Fragen zu verstehen gaben, weit über das Ziel hinausgeschossen zu sein. Dahinter steckt mehr als Starrsinn. Es hat sich in der politischen Klasse etwas verändert: „Ich habe mich persönlich empört und darauf reagiert“, verteidigt sie ihre Anti-AfD-Pressemitteilung.

Empörung legitimiert jedoch keinen Rechtsbruch. Daß dieses Bewußtsein selbst bei einem Mitglied der Bundesregierung nicht mehr da ist, sondern Wut die Feder führt, läßt ahnen, wie hart die Auseinandersetzung werden wird, sollte die AfD jemals die Schwelle des Reichstages überschreiten.