© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/17 / 02. Juni 2017

Die fabelhafte Welt der Iris G.
Rechtsextremismus: Eine Studie für die Ostbeauftragte der Bundesregierung sorgt für Ärger / Behauptungen durch Daten nicht belegt
Peter Möller

Iris Gleicke ist eine unscheinbare Frau. Bis vor einigen Tagen war der Name der aus Thüringen stammenden SPD-Politikerin und sogenannte Ostbeauftragte der Bundesregierung außerhalb des politischen Berlin kaum jemandem geläufig. Dabei ist die 52 Jahre alte parlamentarische Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium gewissermaßen ein alter Hase ­– politisch gesehen. 

Sie sitzt bereits seit 1990 im Bundestag und war unter anderem parlamentarische Geschäftsführerin ihrer Fraktion. Doch erst jetzt gelang ihr der große Durchbruch – wenn auch etwas anders, als sie es sich wahrscheinlich vorgestellt hatte.

Kritiker bemängeln dünne Datenbasis

Anlaß für die plötzliche Popularität ist die Studie „Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland“, die Gleicke Mitte Mai präsentiert hatte. Die Hauptaussage des 236 Seiten starken Papiers des Göttinger Instituts für Demokratieforschung: Der Rechtsextremismus im Osten ist ein wachsendes Problem. „Es gibt, nicht in ganz Ostdeutschland, aber in gewissen Regionen und politisch-kulturellen Umfeldern, eine historisch gewachsene Neigung zu Fremdenfeindlichkeit und rechtsextremem Denken“, heißt es in der Studie. Und als hätten die Autoren geahnt, daß ihr Werk auf Kritik stoßen könnte: „Dies kann in der politischen Debatte nicht einfach beiseite gewischt werden, nur weil die Diagnose einer ostdeutschen Besonderheit eine politisch unangenehme Schwere in die öffentliche Debatte bringt.“

Das Problem: Die in der Untersuchung aufgestellten Behauptungen werden von Daten, die die Wissenschaftler präsentierten, nicht belegt, wie etwa eine Analyse des kritischen Wissenschaftsblogs „sciencefiles“ zeigt. Gleicke ließ sich davon zunächst nicht beeindrucken. Vielmehr sieht sie – rechtzeitig zum Beginn der Wahlkampfzeit – zahlreiche Aufgaben im „Kampf gegen Rechts“, vor allem für „zivilgesellschaftliche Organisationen“, die traditionell zur Klientel der SPD zählen.

Einen Seitenhieb hatte die Ostbeauftragte für Sachsen parat: „Das ganze Gerede der letzten Jahrzehnte, die Sachsen seien immun gegen Rechtsextremismus, das hat sich, glaube ich, negativ ausgewirkt, weil damit ein Freibrief entstanden ist“, polterte sie in Richtung des seit 1990 CDU-regierten Freistaates. Der Generalsekretär der sächsischen Union, Michael Kretschmer, reagierte prompt: „Man muß sich mittlerweile ernsthaft fragen, ob die sogenannte Ostbeauftragte der Bundesregierung ihren Job noch richtig versteht.“ 

Scharfe Kritik kam auch vom Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU): „Von solchen sogenannten Studien habe ich die Nase voll. Es ist nicht mehr hinzunehmen, daß wir Ostdeutschen permanent von Leuten seziert werden, die keinen Zugang zu unserer Geschichte und Mentalität haben“, sagte er der Bild-Zeitung. Diese sogenannte Analyse bleibe im Vorhof der Wahrheit stecken und schüre Vorurteile. Auch andere Politiker, Journalisten und Wissenschaftler nahmen die 130.000 Euro teure Studie nun genauer unter die Lupe. Geradezu vernichtend fiel ein Artikel in der Welt aus. Darin warf Marcel Leubecher den Verfassern der Studie methodische Mängel vor. So hätten die Wissenschaftler keine empirische Untersuchung in allen ostdeutschen Bundesländern vorgelegt, sondern „knapp 40 Interviews mit meist linken Politikern und Aktivisten aus Zivilgesellschaft und Wissenschaft geführt; außerdem einzelne Gespräche mit Bürgern aus zuwanderungsfeindlichen Hotspots in Freital, Heidenau und Erfurt.“ Damit habe die Studie wenig Aussagekraft für die Zustände in anderen ostdeutschen Regionen. Mit anderen Worten: Die Untersuchung ist nicht repräsentativ und die Datenbasis viel zu dünn.

Besonders kritisch bewertet Leubecher die Anonymisierung vieler Gesprächspartner. Die Kritik gipfelte in dem Vorwurf, zumindest einer der von den Wissenschaftlern befragter Experten („Herr Reese, führender Mitarbeiter der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung“) sei von den Autoren erfunden worden. Laut Welt habe die Einrichtung mitgeteilt, „daß es dort niemanden gebe, der so heißt – und auch niemanden, der sich wie angegeben äußern würde“.

Bundesregierung reagiert auf wachsende Kritik

Diesen Frontalangriff ließen die Göttinger Demokratieforscher, die um ihr Renommee fürchten mußten, nicht auf sich sitzen. „Natürlich ist nichts von diesen Unterstellungen richtig. Behauptungen wie jene vom ‘erfundenen Demokratievermittler’ entbehren jeglicher Grundlage“, heißt es in einer vom Institut veröffentlichten Stellungnahme. „Alle Interviewpassagen stammen von tatsächlichen Akteuren vor Ort, sind von den AutorInnen der Studie geführt, verschriftlicht und analysiert worden“, stellen die Wissenschaftler klar. Doch auch die Welt bleibt bei ihrer Darstellung und bekräftigte ihre Vorwürfe. Gleicke sah sich aufgrund der massiven Vorwürfe schließlich ebenfalls zu einer Stellungnahme veranlaßt. Darin wies sie pauschal alle Vorwürfe gegen die von ihr verantwortete Studie zurück – ohne dies indes mit Fakten zu untermauern.

Mittlerweile hat auch die Bundesregierung auf die wachsende Kritik reagiert. Auf der Internetseite des zuständigen Wirtschaftsministeriums, auf der die Studie heruntergeladen werden kann, steht nun ein Hinweis, daß das Papier überarbeitet worden sei: „Um für jeden, und auch für Nicht-Sozialwissenschaftler, ganz zweifelsfrei nachvollziehbar zu machen, welche Personen, die für die Studie interviewt wurden, anonymisiert wurden und welche unter ihrem Klarnamen zitiert werden, wurden nun explizite Kennzeichnungen an den relevanten Stellen ergänzt.“ 

Die Kritiker der Studie wird diese Korrektur vermutlich nicht überzeugen.