© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/17 / 26. Mai 2017

„Heute fühle ich mich heimatlos“
Wutbürger: Der liberal-konservative Journalist Klaus Kelle fremdelt mit seinem Land
Ronald Berthold

Als eine meinungsstarke Stimme der schweigenden Mehrheit hierzulande präsentiert sich der Medienunternehmer Klaus Kelle (57) in seinem jüngst erschienenen Buch „Bürgerlich, christlich sucht … Biete Meinung statt Mitte“. In leicht verständlicher Sprache widmet sich der umtriebige Journalist – Kelle betreibt den Blog „Denken erwünscht“ sowie die Nachrichtenportale „NRW.jetzt“ und „Bayern.jetzt“, schreibt regelmäßig Kolumnen, unter anderem für Focus Online, und er gründete kürzlich die Internet-Tageszeitung „The GermanZ“ – aus zum Teil sehr persönlicher Sicht dem rapiden Wandel der deutschen Gesellschaft und des Meinungsklimas.

Kelle schreibt über Zuwanderung, Kriminalität und islamistischen Terror, den „Kampf gegen Rechts“, Europa und deutsche Außenpolitik, über Kirche und Christentum, Familien- und Bildungspolitik. Erst die Verknüpfung seiner Lebensumstände, seiner bürgerlichen Auffassungen mit der Veränderung der politischen Landschaft macht verständlich, warum so viele Menschen inzwischen mit jenem Staat fremdeln, auf den sie noch vor wenigen Jahren nichts hätten kommen lassen.

Kelle bezeichnet sich als Patrioten, der Deutschland gern sein „Vaterland“ nennt. Ein Wort, das selbst bei den führenden Köpfen seiner Partei – Kelle gehört seit vier Jahrzehnten der CDU an – inzwischen wie aus der Zeit gefallen scheint. Mit dem radikalen Umbau des Landes in eine multikulturelle Gesellschaft kommt der Autor nicht klar. Er ist ein Mann der Werte und – selbst wenn er es durch den Untertitel „statt Mitte“ in Abrede stellt – auch ein Mann der Mitte. Kelles Vater war westfälischer Einzelunternehmer. Die Eltern wählten immer FDP, bis diese 1969 den SPD-Vorsitzenden Willy Brandt zum Bundeskanzler machte. Das empfand die Familie als Verrat, wollte Brandt doch „Deutschland an die Russen verkaufen“. Fortan stimmten die Kelles für die CDU.

Mit Rainer-Barzel-Stickern und Aufklebern, die er an Straßenlaternen klebte, kämpfte der junge Klaus Kelle gegen die Ostpolitik des Kanzlers. Er machte sich damit zum Außenseiter, liefen die Klassenkameraden doch mit „Willy wählen!“-Ansteckern über den Pausenhof. Heute hat er seinen Frieden mit der damals bekämpften Appeasement-Politik gegenüber dem Ostblock und der Anerkennung der DDR gemacht.

Merkels Flüchtlingspolitik bringt Probleme

In seinem Buch bezeichnet er diese als „ersten großen und richtigen Schritt der Bundesrepublik auf dem langen Weg zur deutschen Wiedervereinigung“. Heute sei er auch überzeugt, daß der damals im konservativen Lager so umstrittene Warschauer Kniefall Brandts von 1970 eine „absolut richtige und großartige Geste des deutschen Bundeskanzlers vor den Augen der ganzen Welt gewesen ist“.

Dieser Wandel der eigenen Auffassungen im Laufe der Jahrzehnte steht ein wenig im Widerspruch zu Kelles Aussage, die er in dem Buch nur kurz zuvor gemacht hat. Dort schreibt er: „Ich habe meine wesentlichen Prinzipien in all diesen Jahren nicht verändert.“ Damit sei die CDU in den vergangenen vier Jahrzehnten „immer meine eigentliche politische Heimat“ gewesen. Doch mit seiner Partei habe er nun ernsthafte Probleme: „Heute fühle ich mich heimatlos.“

Kelle schildert die Probleme, die durch die Flüchtlingspolitik seiner Parteivorsitzenden entstanden sind. Gleich zu Beginn listet er diverse Verbrechen und Terroranschläge auf, die Deutschland in Atem hielten und nicht von der Masseneinwanderung seit September 2015 zu trennen sind.

 Sehr eindrucksvoll berichtet er auch eine vermeintliche Kleinigkeit – wie im Herbst 2016 eine Nachbarin an seiner Tür klingelte, die mit ihrem Sohn im Grundschulalter im Stadtpark Kastanien sammeln wollte. Um Sitzbänke herum hatten sich dort „dunkelhäutige junge Männer“ gruppiert, die die Frau und ihr Kind mit obszönen Gesten belästigten. Eine Szene, die sich dutzendfach in deutschen Städten abspielt, die es nie in die Kriminalitätsstatistik schafft und die doch so stark verdeutlicht, warum sich immer mehr Menschen in Deutschland nicht mehr sicher fühlen. 

Kelle erzählt aber auch, wie er und seine Frau Birgit ihre voll funktionstüchtige Küche mit einwandfreien Elektrogeräten an Flüchtlinge verschenkten. Die sieben Syrer kamen ins Haus, schraubten die Möbel ab und verluden sie auf einen Kleinlaster. Kelle war sogar zuvor noch zum Geldautomaten gegangen, hatte jede Menge 20-Euro-Scheine abgehoben, um damit die Migranten zu bedenken. Doch die lehnten ab: „Sie bedankten sich für die materielle Unterstützung und die Gastfreundschaft der Deutschen überhaupt, aber Geld wollten sie von uns nicht haben. Ich war baff.“

Da verwundert es nicht, daß Kelle auch Alexander Gauland für seine vermeintliche Äußerung kritisiert, Deutsche wollten den Fußballer Jerome Boateng „nicht gern als Nachbarn“. Dies sage mehr über den AfD-Vize aus, „der das vermutete, als über das, was die Deutschen wirklich denken“. Hier mag sich der eine oder andere Leser schon wünschen, daß Kelle vielleicht auch den Kontext erwähnt hätte und wie umstritten es ist, ob Gauland das tatsächlich so gesagt hat.

Überhaupt die AfD. „Kann man eine Konservative wie Frau Petry wählen?“ fragt der Autor und antwortet zunächst mit einem schlichten „Warum denn nicht?“ Dann schreibt er aber mit Bezug auf Petrys Mann, Marcus Pretzell, daß man sich in dem von diesem geführten nordrhein-westfälischen Verband vorkomme wie in einer „Kaderpartei aus der alten DDR“. Sein kurzer Wahlcheck zu der jungen Partei endet dann mit den Worten: „Nein, mein Ding ist das nicht.“

Offen bleibt, wer nach dem Linksrutsch der Union denn nun für einen wie Klaus Kelle in Frage kommen könnte. Alle Parteien mit Chancen auf den Einzug in den Bundestag unterzieht er dieser Frage. Die FDP sei für ihn unwählbar, weil „Wolfgang Kubicki die katholische Kirche für im Grunde verfassungsfeindlich hält“. Dann vielleicht die oft als „bürgerlich“ titulierten Grünen? „Mir würde die rechte Hand abfaulen, bevor ich mein Kreuz bei Frau Peter, der Grünen-Chefin, setze.“ 

Es sind Zeiten zum Verzweifeln für – um beim Buchtitel zu bleiben – bürgerlich-christliche Menschen, die nach einer Heimat suchen.

Klaus Kelle: Bürgerlich, christlich, sucht ... Biete Meinung statt Mitte. Fontis-Verlag, Basel 2017, kartoniert, 256 Seiten, 15 Euro