© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/17 / 26. Mai 2017

Behördlicher Offenbarungseid
Asylkrise: Als Folge der Affäre „Franco A.“ kommen bei Überprüfungen im Bundesamt immer weitere Fehlentscheidungen ans Licht
Michael Paulwitz

Zweitausend Asylverfahren läßt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) als Konsequenz aus dem Fall eines Oberleutnants, der sich mit einem Phantasienamen als „syrischer Flüchtling“ registrieren ließ, nochmals überprüfen. Bei „zehn bis 15 Prozent der Fälle“ seien nach der Hälfte der geplanten Überprüfungen „Fehler“ aufgefallen, berichteten Medien. Die Zwischenbilanz rückt ins Gedächtnis, daß der Fall „Franco A.“ kein „Bundeswehr-Skandal“ ist, sondern ein Offenbarungseid für den Umgang der Behörden mit der Asylkrise. 

Die wahre Dimension der „Fehlentscheidungen“ dürfte noch um einiges größer sein. Denn das Bamf läßt in seiner stichprobenhaften Nachkontrolle nur Fälle überprüfen, „bei denen es zu einer Anhörung gekommen ist“. Entscheidungen, bei denen Asylbewerber lediglich einen Fragebogen ausfüllen mußten und deren Angaben letztlich ungeprüft übernommen wurden, sind dagegen nicht Gegenstand der Nachkontrolle. 

Einfach abstempeln,       Plan erfüllt

Prompt fordern der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Burkhard Lischka, und der Obmann der Union im Innenausschuß, Armin Schuster (CDU), zusätzlich auch diese „schriftlichen Verfahren“ zu überprüfen. Darüber hinaus verlangt Schuster aufgrund der bekanntgewordenen hohen Fehlerquote auch jene 30.000 Verfahren zu überprüfen, die der Stichprobe zugrunde liegen.

Eine konsequente Überprüfung aller Asylentscheidungen der Jahre 2015 und 2016 könnte allerdings das Kartenhaus der vermeintlich erfolgreichen behördlichen Bewältigung des Asylansturms zum Einsturz bringen. Um zumindest den Anschein zu wahren, wurde ab Herbst 2015 offenbar einfach nur durchgewinkt, nach der Maxime „Syrer ist, wer sich als Syrer bezeichnet“, sprich: wer das richtige Kästchen im Fragebogen ankreuzt, wie Personalvertreter beim Bamf bald kritisierten.

Da seien „schwere Fehler“ passiert, „das muß ich auch verantworten“, räumt der damalige Behördenchef Frank Weise ein. Der Arbeitsagentur-Chef war im September 2015 an die Bamf-Spitze berufen worden mit dem Auftrag, die „schlimmen Bilder“ wegzubekommen und bis zum Wahltermin 2017 den Antrag-Rückstau abzuarbeiten. 

Dazu wählte man offenbar den einfachsten Weg: Einfach abstempeln, Plan erfüllt. Es sei ja von Anfang an klar gewesen, daß die schnellen Neueinstellungen und kurzen Schulungen von Mitarbeitern „auf Kosten der Qualität gehen müssen“, merkt Weise dazu heute nonchalant an.

Daß tatsächlich Hunderttausende Durchwink-Verfahren neu aufgerollt werden, ist allerdings kaum zu erwarten. Trotz Schnellabfertigung kommt das Bamf beim Abarbeiten der Anträge noch immer nicht hinterher. Und wegen der Untersuchungen im Fall „Franco A.“, warnt die Behörde, könne sich der „Rückstandsabbau“ weiter verlangsamen, weil erfahrene Entscheider aus dem laufenden Geschäft abgezogen werden müßten.

SPD-Generalsekretärin Katarina Barley lastet das Versagen beim Bamf Innenminister de Maizière persönlich an. Der hätte eben rechtzeitig für mehr Stellen bei der Behörde sorgen müssen. Entscheider, die sich in langwierigen Verfahren mit „ungeklärten“, was in vielen Fällen schlicht bedeutet: gelogenen Identitäten herumschlagen müssen, fallen allerdings auch nicht vom Himmel. Auch die aktuelle vom Bundestag beschlossene Verschärfung des Asylrechts dürfte an der Misere wenig ändern. Immerhin soll das Bamf jetzt Mobiltelefondaten von Asylbewerbern ohne Ausweis auswerten dürfen, um ihre Identität festzustellen. Zudem soll die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber abermals erleichtert werden; wer nicht freiwillig ausreist und falsche Angaben zu seiner Identität macht, soll in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden können.

Am Grunddilemma, daß die Behörde sich mit einer Vielzahl überflüssiger und unberechtigter Verfahren herumschlagen muß und geltendes Recht gerade bei Abschiebungen wegen des hohen Aufwands nur zu oft schlicht nicht vollzogen wird, wird das freilich wenig ändern.

Die Fraktion der AfD im Landtag von Baden-Württemberg machte unterdessen Vorschläge für einen differenzierteren Umgang mit Migranten. Kriegsflüchtlinge, denen rechtlich allein ein zeitlich begrenzter Schutz zustehe, müßten nicht mit hohem Aufwand „integriert“ werden, erklärte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Emil Sänze bei der Vorstellung eines Programms zur sinnvolleren Nutzung der dafür ausgegebenen Milliarden.

Man solle Kriegsflüchtlingen mit „subsidiärem Schutz“ daher vorrangig neben Deutschkenntnissen, die ausreichten, „um sich hier zurechtzufinden“, vor allem weiterführende Bildung in der Muttersprache vermitteln sowie statt Ausbildungsabschlüssen „auf europäischem Niveau“ praktische Fähigkeiten, damit sie nach ihrer Rückkehr einen Beitrag zum Wiederaufbau ihrer Länder leisten könnten. Dadurch verhindere man zugleich ein „Ausbluten“ der Herkunftsländer.