© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/17 / 19. Mai 2017

Überholmanöver in Zeitlupe
Spaß für Jung und und Alt: Rüstige Senioren geben bei Rollatorenrennen Vollgas
Verena Rosenkranz

Aschenbecher töpfern, Wollmützen stricken oder Kartenspiele waren gestern. Die Junggebliebenen von heute wollen Spaß und Adrenalin – zumindest ein bißchen. Wenngleich keine Reifen qualmen werden und auch keine Bremsspuren von den gefährlichen Manövern des Vormannes zeugen, so werden Rollatorenrennen in Altenheimen doch immer beliebter. Bevor es heißt „an die Gehhilfen, fertig los“, werden aber noch mal die Hörgeräte geprüft, damit der Startschuß auch ja nicht verpaßt wird. Das Tempo ist zwar nicht rasant, der Spaßfaktor aber genauso groß wie bei jüngeren Generationen.

Vorreiter dieses ganz besonders kreativen Wettbewerbs waren die Niederlande, die die teils noch sehr rüstigen Senioren dazu motivierten, ihre Gehhilfe nicht nur still vor sich herzuschieben. Seit einigen Jahren wird in Amsterdam jeweils im September ein Rollatorenrennen veranstaltet. Die Wettbewerbe finden aber nicht hinter dicken Mauern von Betreuungseinrichtungen statt, sondern in aller Öffentlichkeit, ausgerichtet von der holländischen Regierung. 

Über 300 Senioren aus dem ganzen Land pilgern zu dem Rennen und treten in den Kategorien 400-, 1.000- oder 2.500-Meter-Rennen an. Frauengruppen mit einheitlichem Kopftschmuck trifft man dort genauso wie Männer in Teamhemden oder Mannschaften mit Hawaiiketten um den Hals. Kniebeugen und Dehnübungen werden an der Startlinie des Amsterdamer Olympiazentrums zum besten gegeben, als brauchten die Senioren gar keine Gehhilfen. An diesem Tag sind sie ihnen auch nicht nur Hilfe, sondern vor allem sportliches Wettkampfmittel.

Die Idee fand rasch auch Anklang in den Nachbarländern und vereint jung und alt. Während es bei dem einen Rennen tatsächlich um Schnelligkeit geht, setzen manche auch auf den karitativen Fokus und sammeln Spenden pro absolvierter Runde. Wieder andere Veranstaltungen setzen auf den Teamgeist unter den Heimbewohnern oder die besten Motivationsrufe durch die Angehörigen.

Daß bei dem ganzen Spaß aber auch eine Menge Ernst dabei ist, läßt sich an den Bewertungskategorien erkennen. Wie bei anderen Sportarten gibt es auch hier die Unterteilungen in Altersklassen, allerdings beginnen diese bei etwa 70 Jahren. Ü70 ist also quasi die Nachwuchshoffnung für die alteingesessene Heimgemeinschaft. Mit Ü80 bringen die Teilnehmer schon einiges an Erfahrung mit und gelten als gefährliche Gegner, während Ü90-Rennfahrer von Konkurrenten mit höchstem Respekt behandelt werden. 

Auch die Kinder und Enkel werden mit einbezogen 

Bei den verschiedenen Disziplinen gelten die unterschiedlichsten Regeln, manche nehmen es aber ganz genau und warnen schon vor Beginn die Heimbewohner mittels Flugblatt am Schwarzen Brett: „Zivildienstleistende und FSJler müssen vor dem Start die Rennstrecke verlassen haben. Herzschrittmacher müssen Standardeinstellungen haben und dürfen durch stärkere Batterien betrieben werden. Es sind nur einfache Rollatoren von der Krankenkasse ohne Zusatzantrieb gestattet.“ 

Mit mehr oder minder großer Konzentration trainieren die fitgebliebenen Senioren dann bis zum großen Tag und üben mit ihren Kollegen durchtriebene  Überholmanöver in Zeitlupe, wie diverse Youtube-Videos zeigen. Die Freude soll auch für die Verwandten nicht zu kurz kommen, und darum fordern manche Altenheime die Kinder und Enkelkinder dazu auf, doch selber mal Hand an den Rollator zu legen und sich mit den vier Reifen herumzuschlagen. Gar nicht so einfach, wenn sich die teilweise buntlackierten Renngeräte in die Quere kommen.

Wenn es beim nächsten Grand Prix wieder um die Ehre geht, sind die Querelen des Älterwerdens schnell vergessen. Oma und Opa machen die Veranstaltung zu einem Hit, manche Enkel überlegen schon, mit der Glücksstarternummer auch in anderen Ländern mit ihren guttrainierten Großeltern an den Start zu gehen. 

Wer es allerdings lieber ruhiger mag und sich das Schauspiel im Kleinformat ansehen will, kann sich Oma Hilde und Opa Hans als Plastikfiguren zum Aufziehen kaufen und sie am Schreibtisch gegeneinander antreten lassen. Ein augenzwinkernder Witz für eingefleischte Fans und Teilnehmer von Rollatorenrennen.