© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/17 / 19. Mai 2017

Unerfüllte und unerfüllbare Versprechen
Linksgrüne debattieren über die verfehlte Nachhaltigkeitsstrategie / Enorme Effizienzlücken entdeckt
Christoph Keller

Hinge die Zukunft der Erde allein von der Vielzahl der Organisationen und Strategien ab, die seine „Rettung“ versprechen, wäre sie gesichert. Doch statt dessen versetzen das Institutionendickicht, internationaler Konferenzzirkus sowie babylonisches Stimmengewirr in Politik und Wissenschaft urteilsfähige Beobachter in Alarmstimmung. Wie viele Köche hier den Brei verderben, führt der pensionierte Regierungsdirektor Albert Statz im Leitaufsatz des Themenheftes „Zukunftsfähiges Deutschland“ der linksgrünen Zeitschrift Politische Ökologie (148/17) vor.

Totale Mobilmachung für die „Große Transformation“

Als Referatsleiter im Bundesumweltministerium war Statz lange zuständig für die „Nationale Nachhaltigkeitsstrategie“. Der frühere Politiker der Westberliner Alternativen Liste (AL) kennt sich aus im Abkürzungsgewirr der Weltrettungsunternehmen: von der Uno mit ihren SDGs (Sustainable Development Goals) über die Bundesregierung und ihrer DNS (Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie – Agenda 2030), die seit Ende 2016 ihre NHS (Nationale Nachhaltigkeitsstrategie) von 2002 fortschreibt, über die SKEW (Servicestelle Kommunen in der Einen Welt) des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit, das Programm GNK (Global Nachhaltige Kommune) bis zu den Renn (Regionale Netzstellen Nachhaltigkeitsstrategien) des 2001 berufenen Rats für Nachhaltige Entwicklung. 

Was diese Akronyme-Auswahl kaum andeutet, ist die totale Mobilmachung für die „Große Transformation“, die, in „Bürgermeisterdialogen“ vermittelt, jedes Dorf erfassen soll. Es gehe darum, so heißt es im DNS-Deutsch, „umfassende, beschleunigte Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft einzuleiten und voranzutreiben“. Und zwar auf allen Ebenen: „In unserer Art zu leben, zu arbeiten, zu konsumieren, in Technologien, Institutionen und Praktiken“. Über Klimapolitik, Energiewende oder Artenschutz gehen die Ziele daher weit hinaus und richten sich auf die komplette „Ökologisierung“ menschlichen Daseins. Immerhin erkennt der 71jährige, der sich selbst gerade mit dem Bau eines Passivhauses „zukunftsfähig“ macht, die „Diskrepanz“ zwischen vollmundig verkündeten „Strategien“ und „realer Politik“.

Trotzdem vertraut Statz darauf, daß Politikprozesse in Richtung Agenda 2030 steuern, wenn man den „Multi-Akteurs-Ansatz“ der DNS befolge, „Transparenz und Partizipation“ im „kritischen öffentlichen Diskurs“ gewährleiste, „kontinuierliches Monitoring“ treibe und unser deutsches, im internationalen Vergleich „hochentwickeltes Managementsystem“ perfektioniere.

Im Sprachgebrauch spiegelt sich die Beziehung zur Wirklichkeit. Umgekehrt verrät Sprache untrüglich auch fehlenden Wirklichkeitsbezug, wie etwa eine Feinanalyse des politischen Vokabulars der DDR-Nomenklatura veranschaulichte. Ebenso zeugt der von Statz kolportierte umweltpolitische Jargon der heutigen Nomenklatura mit Worthülsen wie Transparenz, Diskurs, Monitoring, von gestörtem Realitätsbezug. Es ist daher nur konsequent, wenn bisher keine „Strategie“ erfolgreich war. Was etwa die jetzt schon gescheiterte Strategie der Bundesregierung beweist, bis 2020 eine Million Elektroautos auf die deutschen Straßen zu bringen.

Es sind drei altgediente Kämpen der Öko-Bewegung, Hubert Weiger, seit 2007 Chef des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), der Biologe Joachim Spangenberg, Sprecher des BUND-Arbeitskreises Wirtschaft und Finanzpolitik, sowie der Volkswirtschaftler Rudi Kurz, die in ihren Beiträgen den Illusionismus der „Strategen“ und ihrer tausend idealistisch-gläubigen Helfershelfer à la Statz enthüllen. Denn solange die Politik der Nachhaltigkeit am Wachstumsparadigma festhalte, so Kurz, gebe sie unerfüllbare Versprechen ab. Wirtschaftswachstum lasse sich nicht vom Ressourcenverbrauch abkoppeln. Im Rahmen der Debatte über umweltzerstörende Auswirkungen der Windenergie hatte der Umweltökonom Niko Paech bereits geltend gemacht, daß es „nachhaltiges, grünes Wachstum“ nicht zum ökologischen Nulltarif gibt. Die „Green-Growth“-Formel stehe nur für die „Zuspitzung moderner Fortschrittsillusionen“ mit anhaltend hohem Ressourcenverbrauch stehe (JF 52/16). Auf die rosa Regierungsbrille verzichtend, beleuchtet Kurz exemplarisch drei Bereiche, um zu demonstrieren, welche enormen Effizienzsteigerungsraten erforderlich wären, um den Ressourcenverbrauch vom Wirtschaftswachstum zu entkoppeln.

Erstens: die Politik der Dekarbonisierung. Bis 2050 sollen die deutschen Treibhausgasemissionen um 80 bis 95 Prozent sinken. Bei einem Prozent Wirtschaftswachstum jährlich wäre dies nur mit einer Effizienzsteigerungsrate von neun Prozent zu schaffen. Tatsächlich liegt sie bei unter zwei Prozent. „Es besteht also eine enorme Effizienzlücke“.

Zweitens: die Rohstoffproduktivität. Das rohstoffarme Deutschland solle seine Importe an Primärrohstoffen drosseln und auf Recycling und Sekundärrohstoffe setzen. Aber die auf diesem Sektor für 2020 angepeilte jährliche Produktionssteigerung um 2,8 Prozent werde ebenfalls „deutlich verfehlt“. Und endlich die Renaturierung. 1996 lag der Flächenverbrauch für Siedlungen und Verkehr bei 120 Hektar pro Tag. 

Schmerzhafte Konsumwende gefordert

Die alte NHS legte bis 2020 als Planziel eine Reduktion auf 30 Hektar fest. Erreicht wurde bis heute ein Rückgang auf 69 Hektar. Die durch die Massenmigration erzwungene Novellierung des Baugesetzbuches, die für den Naturschutzbund wegführt von der Politik „flächensparender Siedlungsentwicklung“ (Naturschutz und Landschaftsplanung, 3/17), dürfte die 30-Hektar-Marke definitiv in weiteste Ferne rücken. Auf der Grundlage der bisherigen Erfahrungen, so resümiert Kurz, zeichne sich keine „Effizienzrevolution“ ab, die zudem nicht ohne schmerzhafte „Konsumwende“ zu haben wäre.

Spangenberg und Weiger argumentieren ähnlich und beklagen, daß die Prediger der „Transformation“ sich radikalen Fragen nicht stellten. Und zwar mit Rücksicht auf „mächtige Interessengruppen“, die vom Status quo profitieren. Wolle man wirklich die Natur schützen? Warum rangiere ihr Schutz dann unverändert hinter dem Schutz von Eigentümerinteressen? Die Politik fördere eine Eigentumskonzentration, die letztlich nicht nur der Umwelt, sondern auch der Demokratie in seiner sozialstaatlichen Verfaßtheit schade.

Wachstumspolitik und Deregulierung unterminieren ungebremst Umwelt, Gesundheit, soziale Sicherheit. Dabei habe Wachstum im Sinne der neoliberalen Marktideologie mit Lebensqualität wenig zu tun. Aus BUND-Sicht gehe es daher nicht ohne „Obergrenzen“ beim Energie- und Ressourcenverbrauch. Etabliere sich nicht ein „neues Leitbild jenseits von Wettbewerbsgesellschaft und Wachstumsökonomie“, würden ökologische „Strategien“ solange scheitern, bis „externe Schocks“ zu „abrupten Änderungen“ nötigten. 

„Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“: bmz.de/

Themenheft „Zukunftsfähiges Deutschland“ (Politische Ökologie 148/17): oekom.de