© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/17 / 19. Mai 2017

Die Lager der Rechtlosen
Die Deportation der japanischen US-Bürger 1942
Thomas Fasbender

Daß die Mär vom amerikanischen Schmelztiegel der Völker genau dies ist, ein Märchen, belegen die Auseinandersetzungen um angeblichen Polizei-Rassismus in den USA. In der Tat spielt dort die ethnische Herkunft eine viel wichtigere Rolle als in Europa. Nicht nur zu Zeiten der 1865 abgeschafften Sklaverei – noch mitten im 20. Jahrhundert wurden US-Bürger nach rassischen Kriterien ihrer Rechte beraubt.

Die Rede ist von den japanstämmigen Nordamerikanern im Westen der USA, die gut fünf Monate nach dem japanischen Überfall auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 in Internierungslager gesperrt und bis mindestens 1945 festgehalten wurden. Schon am Tag nach dem Angriff waren die Vermögen japanischer Staatsangehöriger und auch jene der ersten, „Issei“ genannten Generation, also der noch in Japan geborenen US-Bürger, eingefroren worden. Beide Gruppen unterlagen empfindlichen Ausgangssperren; ihre Wohnungen wurden nach allem durchsucht, was auf Verbindungen zum Kriegsgegner hindeutete, und seien es Souvenirs oder Kultgegenstände.

Deportation betraf über 120.000 Japanischstämmige 

Am 20. Mai 1942, als sämtliche Japanstämmigen, die mit US- und die mit japanischem Paß, den Küstenstreifen entlang des Pazifiks schließlich räumen mußten, traf es auch die „Nisei“, die zweite Einwanderergeneration. Über 120.000, zwei Drittel davon Bürger der USA, verbrachten die folgenden drei Jahre unter erbärmlichen Umständen in Lagern im Landesinneren. Viele von ihnen waren niemals in Japan gewesen. Selbst für Veteranen, die im Weltkrieg bis 1918 unter der US-Flagge gekämpft hatten, wurde keine Ausnahme gemacht.

Angeblich schlecht beraten und unter dem Druck der japanfeindlichen Öffentlichkeit, hatte US-Präsident Frank-lin D. Roosevelt am 19. Februar 1942 die berüchtigte Executive Order 9066 unterzeichnet, die trotz massiver Verletzungen der amerikanischen Verfassung erst Jahrzehnte später aufgehoben wurde. Historiker weisen darauf hin, daß die damalige Haltung der Öffentlichkeit keine spontane Reaktion auf den japanischen Angriff war. Schon in den Jahrzehnten zuvor waren antijapanische Diskriminierung, Propaganda und Gewalt in den USA an der Tagesordnung gewesen. Die europäische Bevölkerungsmehrheit grenzte Asiaten und Schwarze gleichermaßen aus.

 US-Pazifikküste war bereits am 20. Mai „japanerfrei“ 

Verglichen mit anderen Ethnien war die japanische Migration in die USA ein junges Phänomen. Die ersten Siedler waren 1885 mit dem Dampfer „City of Tokio“ in Hawaii gelandet, wo sich in den folgenden Jahren viele Japaner als Plantagenarbeiter niederließen. Bald darauf setzte auch die Migration auf das nordamerikanische Festland ein, vornehmlich in der Region um San Francisco. Gut zwanzig Jahre nach dem Ende der japanischen Selbstabschottung 1863 kamen nicht nur Arbeiter auf der Suche nach Beschäftigung, sondern auch neugierige Studenten in das Land jenseits des Pazifiks.

Die Internierung der Japanstämmigen wurde noch während der Kriegsjahre vom Supreme Court der USA legitimiert. Einer der Betroffenen, der US-Amerikaner Fred Korematsu, hatte sich der Order 9066 bewußt widersetzt, war verhaftet worden und erzwang die höchstrichterliche Entscheidung „Korematsu gegen die Vereinigten Staaten“. Darin argumentierte eine Zweidrittelmehrheit der Richter mit der kriegsbedingten Notwendigkeit der Maßnahme. Die Befürworter hatten behauptet, die japanischen Mitbürger, von denen die meisten an der Westküste siedelten, könnten vom Kriegsgegner als Fünfte Kolonne für Sabotage- und andere wehrkraftzersetzende Akte eingesetzt werden.

Die Umsetzung der Order war im Mai 1942 verkündet worden. Alle Japanstämmigen, die aus dem definierten Küstenstreifen am Pazifik nicht zuvor schon ins Hinterland umgezogen waren, hatten genau eine Woche, um ihre Existenz aufzulösen und die Kinder aus der Schule abzumelden. Häuser und Unternehmen wurden zu Spottpreisen notverkauft. Mitnehmen durfte jeder nur, was er tragen konnte. Am 20. Mai war die US-Pazifikküste „japanerfrei“.

 Die gut 120.000 Betroffenen wurden auf zehn Barackenlager in sieben US-Staaten verteilt. Für die streng der Tradition verpflichteten Japaner bedeuteten die Lagerjahre einen massiven Kulturverlust. Die Männer, die für fünf Dollar am Tag niedere Arbeiten verrichteten, büßten erheblich an Status ein, die Frauen litten unter dem fehlenden Privatleben. Zudem zerstörten die Sammelunterkünfte die asiatische Familienstruktur. Bald nahmen die Männer ihre Mahlzeiten gemeinsam ein, und die Mütter blieben mit den Kindern allein. Teenager genossen eine zuvor ungeahnte Freiheit; einer ganzen Generation japanstämmiger Frauen brachte die Internierung aber auch den Zugang zu Bildung und beruflicher Autonomie. Erst recht paradox mußte die Tatsache anmuten, daß die US-Armee den Internierten der zweiten Generation anbot, in einem von zwei japanischen Regimentern am Kriegsgeschehen teilzuhaben.

Im übrigen waren nicht nur Japanstämmige von der Order 9066 betroffenen. Zumindest zeitweise wurden 11.000 Deutsch- und 3.000 Italienischstämmige interniert, darunter selbst jüdische Emigranten mit deutschem Paß. Nach den US-Gesetzen galten Juden als religiöse und nicht als ethnische Gruppierung. Einige der Internierten kamen erst Jahre nach 1945 wieder auf freien Fuß.

Während konkrete Maßnahmen nach Kriegsende aufgehoben wurden, galt Order 9066 offiziell bis ins Jahr 1976. Rehabilitiert wurden die Betroffenen sogar erst 1982, zugleich erhielt jeder Überlebende 20.000 US-Dollar Entschädigung. George Bush sprach den Opfern und Hinterbliebenen dann 1992 als erster US-Präsident eine offizielle Entschuldigung aus.