© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/17 / 19. Mai 2017

Journalisten werden zu Aktivisten
„Fake News“: Wie Medien bei ihrer AfD-Berichterstattung postfaktische Stimmungsmache betreiben
Ronald Berthold

Zugegeben, die Schlagzeile von Welt Online liest sich wie ein echter Aufreger: „AfD-Politiker empfiehlt Frauen-Verbrennung zur Klimarettung“. Was für ein Unmensch, könnte der Leser denken – und das soll er wohl auch. Diese Absicht ist klar zu erkennen – erst recht, wenn feststeht, daß die Nachricht einen entscheidenden Schönheitsfehler aufweist: kein Wort davon ist wahr. Ähnlich wie das Springer-Medium hatten vergangene Woche zahlreiche Zeitungen die „Fake News“ verbreitet.

Die bizarre Behauptung ist allerdings lediglich ein weiteres Teil des Falschmeldungspuzzles, mit dem etablierte Medien gegen die AfD kämpfen. Anfang Mai stellten Zeitungen die Vorsitzende Alice Weidel wahrheitswidrig als potentiell „steuerflüchtig“ dar. Dem Vorsitzenden der Jungen Alternative, Markus Frohnmaier, wurde ein Zitat im Nazi-Duktus unterstellt, das dieser freilich nie von sich gegeben hatte. Über einen Berliner Abgeordneten hieß es, dieser wolle Flüchtlinge „internieren“. Legendär sind inzwischen die verdrehten Nachrichten, Partei-Vize Alexander Gauland wolle den Fußballer Boateng nicht als Nachbarn, und die Vorsitzende Frauke Petry fordere einen „Schießbefehl“ gegen Flüchtlinge.

Reden, selbst Dementis, werden verdreht

Nun also soll ein AfD-Abgeordneter verlangt haben, Frauen zu verbrennen, um gegen die Klimaerwärmung vorzugehen. Und das auch noch am Pult des Landtags. Die Meldung klingt so absurd, daß jeder Journalist sofort in die Nachrecherche gehen müßte, bevor er sie verbreitet. Doch in der AfD-Berichterstattung haben Agitation und Propaganda längst die journalistische Sorgfaltspflicht ersetzt. Und so verbreiteten fast alle Medien diesen Unsinn.

Wahr ist, daß der baden-württembergische Parlamentarier Rainer Podeswa in seiner Rede über Klimapolitik Bezug auf Mißernten aus dem 16. Jahrhundert nahm. Er berichtete, daß damals angebliche Hexen als Sündenböcke für das mehrere Jahre andauernde schlechte Wetter herhalten mußten und verbrannt wurden. Der AfD-Politiker zog nun Parallelen zur Gegenwart und griff die Grünen an: „Das sind die Ergebnisse einer öko-stalinistischen, schon wahnhaften Mission, die Sie in diesem Thema verfolgen. Wir von der AfD stehen für eine Klima-, für eine Wirtschafts- und eine Gesellschaftspolitik der Vernunft.“

An dieser Rede könnten Journalisten – freilich im Kommentar-Ressort – durchaus einen schiefen historischen Vergleich kritisieren. Daß Podeswa aber gefordert habe, Frauen zu verbrennen, ist daraus in keiner einzigen Zeile zu verstehen. Genau das Gegenteil ist richtig: Er verwahrte sich gegen überzogene Methoden in der Klimapolitik.

Die Nachrichtenagentur dpa hatte die „Fake News“ als erstes verbreitet. Erst sieben Stunden später, um 19.15 Uhr, als deren Inhalt sich längst wie ein Lauffeuer verbreitet hatte, korrigierte sie die Meldung. Die Krönung der Manipulation: Als Podeswa sich zwischenzeitlich gegen die völlige Verdrehung seiner Rede verwahrte und darstellte, was er wirklich gesagt hatte, titelten Zeitungen, darunter die Berliner Morgenpost: „AfD-Mann rechtfertigt Empfehlung zur Frauenverbrennung“.

Selbst ein Dementi wird also mißbraucht und ins Gegenteil verkehrt, um nichts zurücknehmen zu müssen. Wäre diese Fakten-Resistenz ein Einzelfall, könnte sie eine Randnotiz bleiben. Doch was die AfD angeht, handeln offenbar viele Journalisten nach dem Motto: „Ich laß mir meine schöne Story doch nicht durch die Recherche kaputtmachen.“

Denn nicht viel anders lief die Geschichte über Alice Weidels suggerierte Steuerhinterziehung. Als bekannt wurde, daß die AfD-Bundestags-Spitzenkandidatin auch in der Schweiz bei ihrer Lebensgefährtin wohnt, drehte Welt Online – wie auch viele andere Medien – daraus ein mögliches Steuerdelikt. Ohne etwas recherchiert zu haben, bemühte Redakteurin Naemi Goldapp den Konjunktiv, der eine mögliche Straftat konstruierte: „Unklar ist jedoch, ob Weidel auch Steuern in Deutschland zahlte, bevor sie ihren Wohnsitz bei ihren Eltern in Baden-Württemberg anmeldete. Hätte sie zuvor nur einen Wohnort in der Schweiz gehabt, würde sie das unter Verdacht stellen, steuerflüchtig gewesen zu sein.“

Wenn etwas „unklar“ ist, beginnt normalerweise die Arbeit der Reporterin. Sie fängt an zu überprüfen. Nicht so im Fall Weidel. Eine Recherche hätte ja die so wunderbar gelegen kommende, aber eben unbelegte These von der „steuerflüchtigen“ AfD-Frontfrau sabotieren können. Also, raus mit dem Verdacht. Allein der Umstand, daß die Politikerin tatsächlich in der Schweiz lebt, weil sich in Biel der Wohnsitz ihrer Freundin befindet, hätte jede Spekulation über Steuergründe verboten. Denn anders als bei wirklichen Hinterziehern, handelte es sich hier ganz offenbar um keine Briefkastenadresse, sondern um einen wirklichen Lebensmittelpunkt.

Die Wahrheitspflicht nicht „überspannen“

Daß die AfD teilweise selbst vor Gericht wenig Chancen hat, gegen bösartige Falschberichterstattung vorzugehen, zeigt der Fall Markus Frohnmaier. Das lokale Online-Medium ulm-news.de hatte ungeprüft folgende von der SPD verbreitete Aussage des baden-württembergischen Vorstandsmitglieds übernommen und veröffentlicht: „Nichts Geringeres wird unsere Aufgabe sein, als diese volksfeindlichen Parteien sämtlich aus Deutschland herauszutreiben. Wenn wir an die Regierung kommen, Gnade ihnen Gott.“ Die Rhetorik erinnert stark an Drohungen der Nazis gegen politische Mitbewerber und wäre in der Tat alarmierend.

Das vermeintliche Zitat Frohnmaiers war jedoch frei erfunden. Dagegen klagte der Politiker – und verlor vor dem Landgericht Köln. Die Richter bestritten zwar nicht, daß Frohnmaier das nie gesagt habe. Es fand sich dafür auch kein Beleg. Dennoch erteilten die Richter dem Medium einen Freibrief. Die Ulm-News hätten ihre „journalistische Sorgfaltspflicht nicht verletzt“. Begründung: „Der Presse können solche Prüfpflichten nicht uneingeschränkt abverlangt werden, da die Wahrheitspflicht nicht zu überspannen ist, um den im Grundgesetz (Art. 5 Abs. 1 S 1. GG) geschützten freien Kommunikationsprozeß nicht einzuschnüren.“ Das Gericht hob die begrenzten Recherchemöglichkeiten kleiner, regionaler Internetzeitungen hervor und betonte, daß die Äußerung „von Markus Frohnmaier hätte stammen können und dem Beklagten keine Zweifel an der Richtigkeit des von der SPD wiedergegebenen Zitats aufkommen mußten“.

Diese Rechtsprechung dürfte zahlreiche Berichterstatter ermutigen, weiterhin munter Nachrichten zu erfinden, wenn es dem „zivilgesellschaftlichen“ Zweck dient. Und vielleicht gibt es auch der Boulevardzeitung B.Z. Auftrieb, die Anfang März wahrheitsfrei behauptet hatte, der Berliner AfD-Abgeordnete Andreas Wild fordere, „Geflüchtete in selbstgebauten Lagern aus Holzhütten zu internieren“. In Wahrheit hatte Wild vor einem Jahr auf einer Veranstaltung in Erfurt gesagt: „Wir brauchen für die vorübergehenden Flüchtlingslager keine 94 Milliarden Euro. Wir brauchen dafür Bauholz, Hämmer, Sägen und Nägel (...) Und natürlich darf da nicht jeder raus oder rein wie es ihm gefällt.“ Der AfD-Politiker zog vor das Berliner Kammergericht. Dieses stellte nun fest: „Dazu, wer die ‘Flüchtlingslager’ errichten solle, hat sich der Antragsteller nicht geäußert. Die Formulierung ‘internieren’ hat er nicht verwendet.“

Zwar bekam Wild damit jetzt in erster Instanz recht, doch die B.Z. kann noch Rechtsmittel einlegen und könnte sich nun auch juristisch – nicht nur journalistisch – gemäß dem Frohnmaier-Urteil darauf beziehen, daß sie es mit der „Wahrheitspflicht“ nicht so genau nehmen muß.