© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/17 / 19. Mai 2017

Megapleitier Thomas Middelhoff steht erneut vor Gericht
Von New York nach Bielefeld
Thomas Fasbender

Thomas Middelhoff, bis 2014 Verwaltungsrat der New York Times-Company und seit einem Jahr Häftling in der JVA Bielefeld-Senne, steht erneut vor dem Essener Landgericht. Wieder geht es um irrwitzige Managerzahlungen. Die Erklärung dafür, den steilen Aufstieg, die grelle Hybris und den Untergang des Managerhelden liegen im Kulturbruch der späten 1980er. Damals wich der Industrie- dem Finanzkapitalismus, die Deutschland AG verdorrte, egolabile Naturen übten grenzenlose Selbstverwirklichung.

Hierzulande traf die Zukunft mit Verspätung ein. In den USA saßen Firmenplünderer längst auf der Anklagebank oder im Gefängnis, als Middelhoff, Aufsteiger unter den Bertelsmann-Managern, das Gemeinschaftsunternehmen AOL Europe mit dem US-Internetriesen AOL vorbereitete. Der damals 40jährige verkörperte den Zeitgeist, in vielem war er seiner Gegenwart sogar voraus. Eine deutsche Illustrierte porträtierte ihn ohne Krawatte auf dem heimischen Rasen, eine Revolution.

Während Helmut Kohl noch die geistig-moralische Wende versuchte, bekannte Middelhoff sich zum Amerikaner-Sein. Auf seinen Bielefelder Partys war Englisch Pflicht. Die Globalisierung war im vollen Gange, den Cleveren gehörte die Welt, die Frechheit siegte. Was sonst? Die Digitalisierungseuphorie beförderte ihn 1998 auf den Sessel des Bertelsmann-Chefs. Am Ende war es aber Patriarch Reinhard Mohn selbst, der vor dem Platzen der Dotcom-Blase die Reißleine zog. Der Familienunternehmer verzichtete auf die Multimilliarden-Fusion mit AOL und Time Warner, die Middelhoff ihm einreden wollte. Widerwillig durfte Middelhoff den AOL-Europe-Anteil verkaufen – und erzielte mit 7,5 Milliarden Euro den höchsten Erlös in der Historie des Internets. Daß der Ex-Luftwaffenleutnant den Möchtegern-Ami 2002 dennoch ohne viel Federlesens vor die Tür setzte, beweist die Menschenkenntnis des Alteigentümers.

Middelhoffs Jahre seitdem – bei Investcorp, Karstadt-Quelle oder Arcandor – waren kaum mehr als der Versuch, die alten Erfolge zu replizieren. Das Resultat: völliges Scheitern, wurzelnd in der Person und in den Bedingungen der Zeit. Unverfrorene Arcandor-Reisekostenabrechnungen und Steuerdelikte haben inzwischen dem 64jährigen drei Jahre Haft ohne Bewährung eingebracht. In dem neuen Verfahren geht es jetzt um angeblich unrechtmäßige Boni in Millionenhöhe; auch sechs frühere Karstadt-Quelle-Aufsichtsräte sitzen mit auf der Anklagebank. Middelhoff drohen weitere fünf Jahre Haft. Der einst arrogante Milliardenmanager hat 2015 Privatinsolvenz beantragt; 50 Gläubigern schuldet er angeblich einen dreistelligen Millionenbetrag. Die „Villa Aldea“ mit Blick auf die Côte d’Azur und das 2009 gekaufte Bielefelder Oetker-Anwesen geben davon nur einen Bruchteil her. Wenn Middelhoff je ein Comeback anstrebt, dann nur in Askese und Entsagung.