© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/17 / 19. Mai 2017

Frauen eine Chance geben
Präsidentenwahl Iran: Reformer hoffen auf mehr Freiheiten
Marc Zoellner

Mühsam erklimmt Azam Taleghani die Treppe zum Innenministerium. Helfend greift ihr die Enkeltochter unter die Arme. Azam lächelt. Doch es ist kein siegesgewisses Lächeln, sondern eines von Trotz und Stolz. Denn Azam ist Teherans dienstälteste Revolutionärin – und gekommen, um dem geistlichen, allein von Männern beherrschten System des Iran den Kampf anzusagen. 

„Wir Frauen machen über fünfzig Prozent der Bevölkerung aus“, erklärt Azam den Journalisten ihre Motivation. „Deswegen verdient dieses Land auch zumindest einen weiblichen Kandidaten.“ Wer, wenn nicht Azam: Denn immerhin war die bekannte Journalistin nicht nur eine der ersten Frauen im iranischen Parlament. Sie war 1997 auch die erste Frau, die sich als Kandidatin zur Wahl um das Präsidentenamt bewarb. 

Die große Frage heißt: „Mann“ oder „Person“ 

Damals gewann Mohammad Khatami von den Reformern mit einer überwältigenden Mehrheit von gut siebzig Prozent das Rennen um das zweithöchste Amt im Staat – gleich nach jenem des Religionsführers, des geistlichen wie weltlichen Oberhaupts der Islamischen Republik Iran. Letzteres wird im Iran auf Lebenszeit vergeben und seit dem Tod Ruhollah Chomeinis 1989 von dessen Nachfolger Ajatollah Ali Chamenei besetzt. 

Der Wächterrat des Iran, ein unter der strengen Kontrolle des Religionsführers stehende Institution aus je sechs Juristen und Theologen, lehnte ihre Bewerbung damals vorab aus formalen Gründen ab. Denn die Verfassung des Iran sieht eigentlich keine weiblichen Bewerber zur Präsidentschaftswahl vor – zumindest nach streng-konservativer Auslegung. 

Es ist das Wörtchen Rejal, an welchem sich die Geister scheiden und von welchem es im Artikel 115 der  Verfassung heißt, zur Wahl aufstellen lassen dürften sich sämtliche „religiösen wie politischen Rejal“. Noch im Dezember vergangenen Jahres erklärte der Wächterrat unmißverständlich seine Intention: Das aus dem Arabischen stammende Wort Rejal heiße „Mann“ und sonst nichts. Doch im alltäglichen Sprachgebrauch der iranischen Gesellschaft, verweisen Politiker und Bürgerrechtler sämtlicher Couleur, bedeute Rejal durchaus auch „Person“ oder „Persönlichkeit“.

„Ich bin heute gekommen, damit das Problem mit dem Rejal gelöst werden kann“, erklärt Taleghani und lächelt unter ihrer Brille in die Kameras der Journalisten. Über 137 Frauen haben sich insgesamt für den Urnengang von diesem Freitag nominieren lassen. So viele wie noch nie zuvor in der Geschichte des theokratischen Iran. Noch 2013 waren es gerade einmal dreißig. 

Überhaupt glich der Pool an potentiellen Kandidaten mehr einem kunterbunten Potpourri denn einem politischen Wettbewerb: Fernsehstars und Modegecken gaben sich bei ihrer Vorstellung im Ministerium die Klinke in die Hand, radikale Prediger und passionierte Opiumraucher; ein Zwillingspärchen, dessen jüngerer Bruder gern Außenminister sein wollte. Zudem ein Nachtwächter, ein Polygamist und sogar ein dreijähriges Mädchen. Doch von den 1.636 Kandidaten blieben am Ende nur sechs übrig: drei vom konservativen, drei aus dem reformorientierten Lager.

Über 55 Millionen Menschen im Iran wurden am Freitag über ihren Favoriten für das Präsidialamt abstimmen. Hinzu kommen noch einmal gut 2,5 Millionen Auslandsiraner in 103 Staaten. Eine große Ausnahme bleibt Kanada: Seit der Islamischen Revolution unterhält das Land mit dem Iran lediglich diplomatische Kontakte auf niedrigstem Niveau. 

Trotz alledem rechnen Beobachter mit einer regen Wahlbeteiligung. Neuesten Meinungserhebungen zufolge gilt ein Überraschungssieg als so gut wie ausgeschlossen. Ungebrochen, bestätigen die Umfragewerte des in Washington ansässigen Forschungsinstituts International Perspectives for Public Oppinion (IPPO), sei Hassan Rouhani, der derzeitige Präsident, Favorit für über die Hälfte der Bürger des Landes. Im Juni 2013 war Rouhani mit dem Versprechen in die Wahl gezogen, die Aufhebung der internationalen Sanktionen gegen den Iran zu bewirken, die wirtschaftliche Lage zu stabilisieren sowie schrittweise normalisierte Beziehungen zu den westlichen Industrienationen zu etablieren.

Rouhanis moderater Kurs kommt beim Wähler an

Sein moderat-reformistischer Kurs, gerade in Fragen des Atomstreits um die Nuklearfabriken sowie eine potentielle Bewaffnung des Iran mit Kernbomben, dürfte von den Wählern in diesen Tagen belohnt werden. 

Schon 2013 erfreute sich Rouhani eines wenn auch knappen Sieges gleich im ersten Wahlgang. Mit gut 57 Prozent der Stimmen lag er den Umfragen zufolge zum Wochenbeginn auf noch sichererer Seite. Erhebungen des „Center for International & Security Studies“ (CISSM) der Universität von Maryland stützen diese Prognosen: Deren Ergebnissen zufolge wünschten sich im vergangenen Jahr über 62 Prozent der befragten Iraner sogar, die wirtschaftlichen Beziehungen zum Westen noch weiter auszubauen, während lediglich noch neun Prozent einen isolationistischen Kurs befürworteten. Zwei Drittel setzten überdies große Hoffnungen in Rouhani als Präsident, die zivilen Bürgerrechte zu erweitern.

Zugute kommen dürfte Rouhani am Freitag überdies, daß seine beiden aussichtsreichsten Kontrahenten, die streng-konservativen Ibrahim Raisi und Mohammad Bagher Ghalibaf, sich gegenseitig die Stimmen zu stehlen drohen. Raisi, der mit der „Astana Quds Rezavi“ die einflußreichste religiöse Stiftung des Landes leitet, kommt derzeit auf gut 22 Prozent; der amtierende Teheraner Bürgermeister Ghalibaf, der bereits 2013  gegen Rouhani gescheitert war, auf rund 19 Prozent.

Der Urnengang vom Freitag findet international besondere Beachtung; und das gleich aus zwei Gründen: Nicht nur, daß sein Ausgang darüber bestimmen wird, ob der  Iran auch künftig mit der Staatengemeinschaft kooperieren wird, speziell bezüglich der Einblicke in sein Atomprogramm – welches dem CISSM zufolge noch immer über 80 Prozent der Iraner für essentiell für den Fortschritt ihrer Nation erachten. Auch kommunal können die Reformisten mit einem Erdrutschsieg rechnen. 

Denn am 19. Mai werden ebenfalls die 479 Stadt- und Dorfräte des Iran neu gewählt. Mit ihrer frisch aufgestellten gemeinsamen Wahlliste erhoffen sich Rouhanis Anhänger und Sympathisanten, die derzeit 88 der lokalen Sitze halten, sich einen dauerhaften Rückhalt in der iranischen Gesellschaft für die politischen Visionen der Reformisten zu sichern. Zumindest hier – auf lokaler Ebene – stehen die Chancen gut, daß auch eine Handvoll Frauen mit in die Stadtparlamente einziehen wird.