© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/17 / 19. Mai 2017

Endgültig auf Grund gelaufen
Piraten: Sie waren neu, nerdy und so nett anti-etabliert / Doch die Medienlieblinge mit Internetanschluß scheiterten im analogen Politikbetrieb
Ronald Berthold

So schlagzeilenträchtig die Piratenpartei vor mehr als fünf Jahren durchstartete, so sang- und klanglos ist sie nun wieder aus den Parlamenten verschwunden; am vergangenen Sonntag nun auch aus dem Düsseldorfer Landtag (siehe Seite 4). Wie wurde aus dem Medienliebling eine Eintagsfliege, der niemand eine Träne nachweint?

Es waren weniger die Inhalte, die die Piraten zwischen September 2011 und Mai 2012 in vier deutsche Landtage spülten. Denn die Forderung, Deutschland zu digitalisieren, reicht nicht für 7,4 bis 8,9 Prozent, die die Partei in Berlin, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und im Saarland erreichte. Vielmehr begründete die Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien diese aufsehenerregenden Ergebnisse. Allerdings konnten die Piraten die in sie gesetzte Hoffnung, das politische Spektrum aufzubrechen, nicht erfüllen.

Abschiedsgroteske einer bedeutungslosen Partei

Schnell stellte sich heraus, daß sie keine wirkliche Lücke füllten, sondern sich nur brav zwischen SPD, Grünen und Linken einordneten, ohne eigene politische Akzente zu setzen. Die Sehnsucht nach einer neuen Kraft wurde enttäuscht. Mit der Wahl zum Düsseldorfer Landtag vom Sonntag haben die Piraten nun auch ihre letzte Fraktion verloren.

Mit einer Stimme für die Piraten ließ es sich wohlgelitten protestieren. Journalisten und Politikwissenschaftler stigmatisierten – anders als später bei der AfD – weder die Partei noch deren Wähler. Im Gegenteil: Die Wahlerfolge betrachteten die Eliten mit Sympathie. Für die Underdogs zu stimmen galt als schick. Ähnlich dem kurzfristigen „Schulz-Effekt“ spiegelte sich hier vor allem ein Medienphänomen.

Die Piraten schlossen sich ruck, zuck dem „Kampf gegen Rechts“ an, boten keine Alternativen in der Innen-, Migrations- und Europapolitik. Doch gerade auf diesen Feldern ballte sich Unzufriedenheit, die die Newcomer nicht in Politik umsetzen wollten. Bereits 2013 hatten dies die meisten erkannt; die Wahlergebnisse pendelten sich bei gut zwei Prozent ein. Folgerichtig sind sie in diesem Jahr endgültig zur Splitterpartei mutiert, die auch in ihren einstigen Hochburgen lediglich die „Digital Natives“ mobilisieren kann. Und das ergibt nur eine Null oder eine Eins vor dem Komma, wie die vergangenen Wahlen zeigen.

Eine, die am Grab der Piraten kräftig mitschaufelte, ohne das freilich zu beabsichtigen, heißt AfD. Die noch jüngere Partei artikulierte die in der Bevölkerung vorhandene Mißstimmung und entzog somit dem Motiv „Protest“ bei der Entscheidung für die Piraten die Grundlage. Das Gefühl, mit deren Wahl einen Politikwechsel zu forcieren, hatte sich als Illusion entpuppt. Daher handelt es sich um keinen Zufall, daß die AfD nun auch in all jene Landtage eingezogen ist, aus denen die Piraten herausgeflogen sind.

Erstaunlicherweise haben die Eskapaden ihrer Protagonisten keine Rolle beim Niedergang gespielt. Selbst der spektakuläre Mord des Berliner Abgeordneten Gerwald Claus-Brunner war nicht mehr wahlentscheidend, er wurde erst kurz nach der Wahl öffentlich. Der einst von den Medien verhätschelte Politiker mit der Latzhose und dem Palästinensertuch hatte sein Opfer – einen Mann, der seine Liebe nicht erwiderte – mit einer Sackkarre quer durch die Hauptstadt befördert. Anschließend brachte sich der Parlamentarier um. So ging diese Bluttat vor allem als schreckliche Abschiedsgroteske einer bedeutungslos gewordenen Partei in die Geschichte des Berliner Abgeordnetenhauses ein.

Schon allein aufgrund seines auffälligen Äußeren gehörte der zwei Meter große Claus-Brunner zu den prominenten Gesichtern der Piraten. Reich daran war die Partei nie. Und diejenigen, die es zu gewisser Bekanntheit gebracht hatten, desertierten mit der Zeit. Der Berliner Fraktionsvorsitzende Martin Delius, der später unerwartet souverän den Untersuchungsausschuß zum Flughafen BER leitete, trat 2015 aus der Partei aus und wechselte zu den Linken. 

Wähler hatten sich keine neue linke Kraft gewünscht

Zur SPD ging bereits ein Jahr zuvor der frühere Berliner Landesvorsitzende Christopher Lauer, der 2012 öffentlichkeitswirksam in mehreren Talkshows über seine ärztlich diagnostizierte Aufmerksamkeitsdefizitstörung (ADHS) plauderte. Zwei Jahre später beschimpfte er den Bundesvorsitzenden Stefan Körner als „Schwachmaten“, der „Dünnpfiff“ verzapfe. Aber zu diesem Zeitpunkt war es um die Piraten schon geschehen. Sie hatten gerade in Thüringen 1,0 und in Brandenburg 1,5 Prozent geholt.

Beinahe in die gleiche Zeit fiel das „Bomber-Harris-Gate“. Die Piraten-Politikerinnen Anne Helm und Mercedes Reichstein forderten mit blanken Brüsten, daß Dresden erneut von britischen Fliegern dem Erdboden gleichgemacht werden sollte. Helm kandidierte zu diesem Zeitpunkt für das Europa-parlament. Wie weit links die Partei zu verorten war, blieb nun kaum noch jemandem verborgen. Selbst bei den folgenden EU-Wahlen, wo die Stimme der Deutschen meist locker sitzt, kamen die Piraten nur noch auf 1,4 Prozent. Deren einstige Wähler waren einem Irrtum aufgesessen; sie hatten sich keine neue linke Kraft gewünscht. Das zeigt sich jetzt, da die Partei wieder verschwindet und deren Stimmen neu vergeben werden: Weder SPD noch Grüne und Linke können vom Abgang der Eintagsfliege profitieren.