© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/17 / 12. Mai 2017

„Dein Kollege – Ein Rassist?“
Ein Artikel im Intranet des SWR gibt Handlungsempfehlungen für den Umgang mit vermeintlich fremdenfeindlichen Mitarbeitern
Ronald Berthold

Daß kritische Positionen zur Flüchtlingspolitik der Bundesregierung in den Sendungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks keinen Platz haben, stellt niemand ernsthaft in Frage. Daß die Erwähnung von steigender Kriminalität durch die Zuwanderung zu den Tabus der Berichterstattung gehört, dürfte vielen Zuschauern ebenfalls klar sein. Daß Mitarbeiter aber mit Kündigung bedroht werden, wenn sie beim Südwestrundfunk (SWR) intern abweichende Meinungen vertreten, wurde erst durch den Leak einer Handlungsanweisung publik.

Seit mehr als einem Jahr rufen der Personalrat Stuttgart und die Integrationsbeauftragte im Intranet des SWR dazu auf, Kollegen der Personalabteilung zu melden, die „fremdenfeindliche Propaganda“ verbreiten. Ganz offen fällt das Wort „Kündigungsgrund“. Doch was ist laut dieses Artikels, den die Autoren mit „Dein Kollege – ein Rassist?“ überschrieben haben, eine fremdenfeindliche Äußerung?

Für den Personalrat und die Integrationsbeauftragte beginnt das bereits mit der Frage „Hast du auch Angst, deine Frau abends noch U-Bahn fahren zu lassen?“ Das klinge nur „scheinbar harmlos“. Wer beim SWR, der rund 4.500 Mitarbeiter beschäftigt, mit Kollegen über seine Ängste spricht, riskiert offenbar seinen Arbeitsplatz. Auch vor sogenannten „verzerrt dargestellten Einzeltaten“ warnt der Text, denn dann gleite eine Unterhaltung „in eine Richtung ab“: „Fremde werden pauschal verdächtigt und als Straftäter dargestellt.“

Der Artikel steht seit März 2016 im Intranet – zwei Monate nach den massenhaften sexuellen Belästigungen und Vergewaltigungen in Köln sowie anderen Städten, die die öffentlich-rechtlichen Sender vier Tage lang verschwiegen. Intern wird dagegen Klartext gesprochen: „Auch und trotz der Vorfälle von Köln: Wer nach dem Profil der Täter fragt, kann sehen, daß es keine Hinweise darauf gibt, wonach Flüchtlinge häufiger straffällig werden als andere Menschen. Auch nicht, daß Menschen nichtdeutscher Herkunft krimineller sind als die Durchschnittsbevölkerung.“ Mit dieser Behauptung wird bis heute gegen jene Kollegen Stimmung erzeugt, die das anders sehen.

Inzwischen mußte selbst Bundes­innenminister Thomas de Maizière (CDU), der ebenfalls lange davor „warnte“, Kriminalität beziehungsweise Terror in Zusammenhang mit Flüchtlingen zu bringen, aufgrund offizieller Zahlen bestätigen, daß dies nicht länger haltbar ist. Durch die Flüchtlingswelle seien die Straftaten rapide angestiegen, erklärte er kürzlich.

Auch vor 14 Monaten war dies trotz einseitiger Medienberichterstattung schon vielen klar, die nicht verklärt auf die mehr als eine Million meist männlichen und muslimischen Einwanderer allein aus dem Jahr 2015 blickten. Nun veröffentlicht es sogar die Bundesregierung, und dennoch steht die Handlungsanweisung, die auf falschen Behauptungen fußt, weiter im Intranet. Ob sich noch ein SWR-Mitarbeiter traut, auf die Zahlen des BKA zu verweisen? In einem Klima der Angst läßt sich nicht frei reden – dabei sollte das das Credo eines vom Gebührenzahler finanzierten Mediums sein. Zuletzt erhielt der SWR mehr als eine Milliarde Euro aus dem Rundfunkbeitrag und von den Landesmedienanstalten.

Die tausendfachen Verstöße gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die hier als „Vorfälle von Köln“ verharmlost werden, ließen sich auch im März 2016 schon nicht mehr wegdiskutieren. Wer das Thema trotzdem anspricht, dem sollen die „Gelbe Karte“ oder sogar die „Rote Karte“ – für „falsche Verdächtigungen“ – gezeigt werden, fordern Personalrat und Integrationsbeauftragte. Damit nicht gegen die Menschenwürde der Flüchtlinge verstoßen werde, „braucht es aufmerksame Beobachter, die bereit sind, dem entgegenzutreten“, heißt es in dem Text. Ein klarer Aufruf zur Denunziation.

Unverändert steht darin zu lesen, daß Erzählungen von „Übergriffen auf blonde Frauen“ in der Regel „schlicht fremdenfeindliche Propaganda“ seien. Der Artikel fordert auf, „klar Position zu beziehen“. Keine Gruppe könne „für einzelne Straftaten in Sippenhaft genommen werden, egal, ob Algerier, Syrer, Moslems oder Juden“. Solche Äußerungen seien „daher nicht vom außerordentlich wichtigen Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt. Hier gilt es, dem Kollegen oder der Kollegin verbal die Gelbe Karte zu zeigen.“

Um den eigenen Standpunkt zu untermauern, verlinken die Autoren auf die einschlägigen Lobbyorganisationen „Pro Asyl“ und Amadeu-Antonio-Stiftung. Dort könnten sich die SWR-Mitarbeiter weitere Informationen zum Umgang mit kritischen Mitarbeitern holen.

Wie ernst es dem Personalrat, der eigentlich die Redefreiheit der Angestellten verteidigen sollte, und der Integrationsbeauftragten ist, zeigt folgender Absatz: „Wenn Beschäftigte gar unaufgefordert derartige fremdenfeindliche Propaganda am Arbeitsplatz verbreiten, kann das ein Kündigungsgrund sein. Denn mit solcher Hetze wird der Betriebsfrieden insbesondere auch mit Kolleginnen und Kollegen anderer Herkunft nachhaltig gestört. Hier sollte umgehend die Personalabteilung informiert werden.“

Auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT sieht die Pressestelle des SWR keinen Aufruf zur Denunziation: Der Intranet-Artikel sei lediglich „ein Meinungsbeitrag zum Umgang mit Grenzsituationen im Büroalltag“. Allerdings distanziert sich die Sendeanstalt nicht von Inhalt und Duktus. Die als „fremdenfeindlich“ beschriebenen Äußerungen beschreibt sie als „Verhaltensweisen, die unvereinbar mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung sind“.

Für den SWR lediglich ein Meinungsbeitrag

Der Sender legt jedoch Wert darauf, daß es „sich bei dem Artikel nicht um eine Anordnung der Geschäftsleitung des SWR, sondern um einen SWR-internen Meinungsaustausch innerhalb der Belegschaft“ handele. Auch die Meinungsfreiheit sei intern nicht eingeschränkt, denn die „ist im Südwestrundfunk ein hohes Gut, das zeigt die durchaus vielschichtige und kontroverse Diskussion des Artikels im Intranet unseres Hauses“.

Ein Teilnehmer dieser kontroversen Diskussion wollte seinen Ärger offenbar nicht länger für sich behalten und leitete mehrere Screenshots des Beitrages an regierungskritische Seiten auf Facebook weiter. Erst dadurch wurde nun öffentlich, wer aus welchen politischen Gründen bei der Personalabteilung des SWR angeschwärzt werden und womöglich seinen Arbeitsplatz verlieren soll. Mitarbeitern, die sich beispielsweise um ihre Frauen sorgen, wenn diese allein mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, werden dies wohl weiterhin besser für sich behalten. Und wenn es danach geht, wie die Botschaft des Intranet-Artikels vielfach verstanden wird, müßte die Frage, mit der sich die Angestellten beschäftigen, lauten: „Hast du Angst, beim SWR deine Meinung zu sagen?“