© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/17 / 12. Mai 2017

Der öffentliche Auftritt war prächtig
Skandinavische Kultplätze: Zur Ausstellung „Odin, Thor und Freya“ in Frankfurt am Main
Karlheinz Weißmann

Odin, Thor und Freya dürften zu den bekanntesten germanischen Götternamen gehören. Der unheimliche, einäugige Herr Asgards, der polternde, rothaarige Hammerschleuderer und die Schöne aus dem Geschlecht der Wanen, die man mit ihrem Zwilling Freyr unter die Asen aufgenommen hat. Odin, Thor und Freya stehen für jene „drei Funktionen“ (Georges Dumézil) – Magie, Krieg, Fruchtbarkeit –, die nicht nur bei den Germanen, sondern auch bei den stammverwandten – indogermanischen – Völkern die Ordnung des Gemeinschaftslebens bestimmten. Allerdings wissen wir wenig Genaues. Das hat nicht nur mit der Schriftlosigkeit der germanischen Kultur in ihrer Frühzeit zu tun, sondern auch damit, daß die vorhandenen Quellen von Fremden stammen oder nach der Christianisierung entstanden, die einen besonderen Filter auflegte, wenn es um die Heiden ging, vor allem wenn es sich um die eigenen Vorfahren handelte.

Die aktuelle Ausstellung des Archäologischen Museums Frankfurt versucht hier Abhilfe zu schaffen durch Rückgriff auf die Menge der Funde, die man in jüngster Zeit gemacht hat und die unser Bild von Gesellschaft, Wirtschaft und Kultpraxis im Skandinavien des ersten Jahrtausends wesentlich ergänzen. Im Zentrum stehen dabei die Ausgrabung der frühen Häuptlingssitze Hoby und Gudme, altnordisch für „Götterheim“, und der königlichen Residenz bei Tissø auf Seeland. Man hat in Frankfurt den Hauptraum des Heiligtums in Tissø rekonstruiert, um dem Besucher einen möglichst lebendigen Eindruck von der Wirkung auf die Menschen der Vergangenheit zu ermöglichen.

In einem solchen dunklen Holzbau standen wohl fetischartige Götterfiguren, ähnlich denen, die im Aukamper Moor bei Braak gefunden wurden. An deren zentraler Bedeutung für die Weltanschauung des germanischen Menschen läßt man in Frankfurt keinen Zweifel, sowenig wie an der Wichtigkeit seiner Rituale. Gemeint ist nicht nur die Versenkung von Waffen, Werkzeugen, Gefäßen, Figurinen und Schmuck im Opfersee, sondern auch die Menge brutaler Tötungen, bei denen die dargebrachten Tiere oder Menschen allmählich erdrosselt und dann an einen Baum zur Verwesung aufgehängt wurden.

Macht hat die Germanen immer beeindruckt

Der Abstand dieser Welt zum Rest Europas war trotzdem nur ein relativer, kein absoluter. Das ist an den künstlerischen Leistungen der Germanen zu erkennen. Besonders die Votivgaben, die man gefunden hat, zeigen neben handwerklichem Geschick ein außerordentliches Formbewußtsein und Schönheitssinn. Zu den Auftraggebern der wertvolleren Stücke – in Frankfurt zeigt man unter anderem den schwersten Goldring der Wikingerzeit – gehörten ohne Zweifel mächtige Männer und Frauen. Deren Stellung war zwar nicht so gefestigt wie die der Adligen des Kontinents, aber doch stark genug, um sich Gefolgschaft zu sichern und eine größere Zahl von Menschen in verschiedenen Formen von Abhängigkeit zu halten.

Tissø bietet dafür ein besonders eindrucksvolles Beispiel. Im Zentrum der Anlage stand eine große Halle, die nicht nur Wohn- und Schlafplatz, sondern auch Handelszentrum, Versammlungsort und Repäsentationsraum war. Repräsentation war für den Herrn von Tissø wichtig, da es kaum institutionelle Formen gab, die das soziale Leben strukturierten. Die Pracht des öffentlichen Auftritts, der materielle Wert wie die aufwendige Gestaltung von Kleidern, Dekoration und Insignien, spielte deshalb eine ausschlaggebende Rolle. Für all das kann man in der Ausstellung zahlreiche Belege sehen. Sie zeigen fallweise auch, wie eng schon die Verbindung mit dem politischen Zentrum im Süden geworden war. Als Beleg dafür mag ein Prunkschwert aus der Zeit zwischen 550 und 650 dienen. Denn die Klinge der Waffe stammt aus einer Werkstatt des Merowingerreiches, nur der Griff und seine Ornamentik wurden vor Ort gefertigt und dem eigenen Geschmack angepaßt.

Trotz der konfliktreichen Beziehung zwischen Skandinavien und dem Rest Europas, nicht zuletzt infolge der Wikingerzüge seit dem Ende des 8. Jahrhunderts, orientierten sich die Eliten des Nordens zunehmend an Mustern, die jene germanischen Führungsschichten vorgaben, die das Erbe des Römischen Reiches angetreten hatten. Daher rührte auch ihre Bereitschaft, das Christentum anzunehmen, dem man so lange feindlich gegenübergestanden hatte. Eine Ursache lag in der Einsicht, daß ein Zusammenhang zwischen zivilisatorischem Fortschritt und dieser fremden Religion bestand, eine zweite in der Entsprechung von Monotheismus und Monarchie, ein dritter aber in der Wahrnehmung, daß der neue Gott mächtiger war als die alten.

Der Aspekt der Macht hat die Germanen immer besonders beeindruckt, was aber nicht heißt, daß sie ihre eigene Überlieferung mit der Taufe einfach vergessen hätten. Man kann das in Frankfurt sehr schön an einem Armreif aus der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts ablesen, der in stilisierter Form den Hügel von Golgatha zeigt, samt den beiden Schächerkreuzen, während das Kreuz Christi als Baum dargestellt ist, jenes uralte Heilszeichen und Symbol der Welt, das in der Tradition der Germanen immer von Bedeutung war.

Die Ausstellung „Odin, Thor und Freya“ ist bis zum 6. Juni im Archäologischen Museum Frankfurt täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Mi. bis 20 Uhr, zu sehen. Der empfehlenswerte Katalog (Verlag Schnell + Steiner, geb., 176 Seiten, 190 farbige und 10 s/w Illustrationen) kostet in der Ausstellung 17,95 Euro.

 www.archaeologisches-museum.frankfurt.de