© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/17 / 12. Mai 2017

Männer fürs Grobe
Botschaft der Hoffnung: „Das Ende ist erst der Anfang“ von und mit Bouli Lanners
Sebastian Hennig

Die Entstehungsgeschichte von „Das Ende ist erst der Anfang“ ist denkbar einfach: Je mehr der belgische Maler, Filmregisseur und Schauspieler Bouli Lanners der Frivolität des zeitgenössischen frankophonen Filmschaffens überdrüssig wurde, um so mehr wuchs in ihm der Vorsatz, als nächstes einen düsteren Film voller Untergangserwartung herzustellen. „Für mich ist dieser Film eine echte Botschaft der Hoffnung“, sagt der 1965 geborene Lanners. Er studierte zunächst Malerei an der Académie Royale des Beaux Arts in Liège und wechselte später ins Schauspiel. Ein sicheres Gefühl für die Wirkung starker Bilder ist ihm geblieben. Das zentrale Motiv seines Film schenkte ihm ein Zufall, als er aus dem Fenster des Nachtzugs von Toulouse nach Paris etwas erblickte, „das aussah wie eine Startrampe aus Beton, die sich über Kilometer durch die Landschaft zog. Ich wußte nicht, was es war, dachte es sei ein Aquädukt. Ich notierte mir die Namen der Bahnhöfe, an denen wir hielten, kehrte zurück an den Ort, und das war es dann.“

Die Ruine der Trasse des Aérotrain in Chevilly nahe Orleans durchzieht nun in Cinemascope die ganze Breite der Kinoleinwand. Nur wenige Jahre lang sauste eine Art Schienenflugzeug auf der Teststrecke. Es war die kurze und intensive Zeit der Verschwendung im zweiten Jahrzehnt nach Kriegsende. Das Pathos der Machbarkeit zeitigte die Atomkraftwerke, das Überschallflugzeug Concorde und eben den Aérotrain. Die Ölkrise beendete die wilde Party. Teile der Strecke wurden bald abgebaut, weil sie die Landschaft versperrten. Das erhaltene Teilstück unterstreicht die Ödnis der dünn besiedelten und ebenen Bördelandschaft der Beauce. Die Kornkammer von Paris ist geprägt durch endlos scheinende Weizen- und Zuckerrübenfelder. „Dieses Bild hat mich inspiriert, eine Geschichte über zwei Menschen zu schreiben, die am Rande der Gesellschaft leben, beide extrem fragil, und beide sollten auf einer geraden Linie laufen und damit jede klassische Form der Geographie außer Kraft setzen.“ 

Über das endlos scheinende Viadukt läuft ein offenbar verwirrtes Liebespaar. Esther (Aurore Broutin) und Willy (David Murgia) wirken gehetzt. Daß ihr Stumpfsinn pathologische Ursachen hat, erfahren wir erst viel später. „Da ist so etwas wie eine absolute Reinheit in ihnen, die zu dem Bild paßt, das ich von den ersten Menschen habe. Das heißt, sie verkörpern das Beste im Menschen.“ Das Geschehen des übrigen Films läßt sich knapp beschreiben. Zwei Männer fürs Grobe sollen ihrem Auftraggeber sein Mobiltelefon zurückbringen. Dieses enthält offenbar delikate Daten. Die beiden Landsknechtstypen Gilou (Bouli Lanners) und Cochise (Albert Dupontel) brausen in ihrem Wagen durch die öde Gegend und suchen das Telefon. Es darf keinesfalls in fremden Händen bleiben.

Bald erscheinen sonderbare Zeichen. In einer Getreidescheune findet Gilou zuerst einen im Schlafsack mumifizierten Leichnam. Dann rumpelt es in seinem Rücken, und wie er sich wendet, steht er einem Hirsch gegenüber. Die Religion des Gottlosen ist der Aberglaube. Ihn treffen diese Bilder wie Axtschläge. Sein Kamerad begegnet einer eigensinnigen Frau. Dann sind da noch der Auftrag und eine Reihe von Menschen, die nur mit Kaufen und Verkaufen beschäftigt sind. Deren Gier schürzt den letzten Knoten in die verschlungenen Wege der beiden. Bisher war es die zur Schau getragene Warnung, daß mit ihnen nicht zu Spaßen sei, nun mischt sich aus Zweifel und Verheißung eine neue Erfahrung ihres Lebens.

Ähnlich wie Rodriguez’ und Tarantinos „From Dusk Till Dawn“ gibt es auch in „Das Ende ist erst der Anfang“ heiligmäßige Kämpfer und abgefallene Höllenknechte. Der Vergleich eines Kritikers mit Quentin Tarantinos Gewaltorgien zielt auf die stabile Zeichnung, die dort unter dem betäubenden Chaos und hier in der formlosen Weite verborgen ist. Je mehr Figuren bei Tarantino niedergestreckt werden, um so deutlicher treten die Konturen hervor. Lanners Helden fuchteln zumeist nur mit den Waffen herum. Dem Publikum bleibt der äußerliche Schock erspart. Zwei Nestoren unter den Filmschauspielern – Michael Lonsdale als Blumen züchtender Herbergsvater und Max von Sydow als greiser Bestatter – bilden die Klippen im Meer des Irrtums.

Das unterbelichtete Paar begegnet einem langhaarigen Kerl mit gütigen Augen (Philippe Rebbot), der sich ihnen als „Jesus“ vorstellt. In Panik durchschießt Willy ihm nächtens die Handfläche. Später treibt Jesus selber die Hetzmeute der Wechsler und Krämer mit angelegtem Gewehr zusammen und bindet sie mit Schlauchschellen und Isolierband fest. Die Boten des gekündigten Auftraggebers räumen unter jenen auf, die sich unwissend aus purer Gier in den Besitz des Telefons brachten. Pack verträgt sich, und Pack erschießt sich.

Hölderlins Feststellung, „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“, variiert der Film bereits im Titel. Die Bedeutung des griechischen Wortes Katastrophe zielt auf eine Umkehr, eine Wendung des Geschehens. Und tatsächlich entringt sich der satten Finsternis dieses Gemäldes immer mehr ein zarter, aber bestimmter Sinn. Der Autor stellt fest, es wäre paradoxerweise sein einziger Film geworden, der gut endet.