© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/17 / 12. Mai 2017

Air Berlin stürzt vorerst nicht ab
Luftfahrtbranche: Arabische Kreditlinie sichert das Überleben / Übernimmt Lufthansa das Geschäft des ungeliebten Konkurrenten?
Thomas Fasbender

Die zweitgrößte deutsche Fluggesellschaft Air Berlin (AB) kommt nicht aus den Schlagzeilen. Der von KPMG geprüfte Jahresabschluß 2016 wurde nur durch ein weiteres 350-Millionen-Euro-Darlehen des arabischen Großaktionärs Etihad und die Zusage gerettet, alle Air-Berlin-Verpflichtungen der kommenden 18 Monate zu garantieren. Schon im April mußte AB-Finanzvorstand Dimitri Courtelis versichern, die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft sei gesichert. Der Flugbetrieb werde nicht eingestellt.

Unglaubliche Milliarden-Verluste

Unglaubliche 2,7 Milliarden Euro Verlust hat die Berliner Airline in den vergangenen sechs Jahren eingefahren und gleichzeitig Nettoverbindlichkeiten von 1,2 Milliarden aufgehäuft. Das seit langem negative Eigenkapital wurde durch den Rekordverlust des Vorjahres – 782 Millionen Euro – praktisch verdoppelt. Kaum verwunderlich, daß sich der seit Februar amtierende Vorstandsvorsitzende Thomas Winkelmann sein Gehalt durch eine Bankgarantie von angeblich bis zu 4,5 Millionen Euro sichern ließ – anderenfalls hätte die Airline den ehemaligen Germanwings-Chef nicht für den neuen Job gewinnen können.

Der frühere Lufthansa-Manager war an die AB-Spitze berufen worden, nachdem die Gesellschaft im Herbst 2016 de facto ihr gesamtes Ferienfluggeschäft aufgegeben hatte. 38 Flugzeuge, gut ein Viertel der Flotte, wurden in die eigens gegründete Air Berlin Aeronautics ausgegliedert und per Leasing der Lufthansa überlassen. 20 weitere Jets fanden Verwendung in einer gemeinschaftlichen Struktur von TUI und Etihad; darüber hinaus übernahm Etihad die AB-Anteile an der österreichischen Niki. Allein für die Niki-Anteile erhielt die Gesellschaft von der Mutter bereits im Januar und Dezember 300 Millionen Euro vorab.

Trotz der massiven Unterstützung durch die Staatslinie der Vereinigten Arabischen Emirate bestanden die Wirtschaftsprüfer darauf, im Geschäftsbericht „bedeutsame“ Zweifel daran zu äußern, ob AB als Unternehmen fortgeführt werden könne: „Der Konzern ist angewiesen auf einen Letter of Support eines wesentlichen Anteilseigners.“ 

Noch ist offen, wie es weitergeht. Seit Winkelmanns Berufung wird über eine Übernahme der Gesellschaft durch die Lufthansa (LH) spekuliert. Die derzeit noch durch Air Berlin geflogenen 75 Maschinen könnten bei der LH-Billigtochter Eurowings Verwendung finden. Ähnliches kündigte LH-Chef Carsten Spohr vor der Hauptversammlung seinen Aktionären an. Eurowings, so Spohr, sei schon jetzt der Wachstumstreiber im Konzern und werde bis Jahresende 160 Flugzeuge umfassen. Er erwartet, daß die bislang defizitäre LH-Ausgründung 2018 erstmals Gewinne abwerfen wird. Ein Pferdefuß bei der AB-Übernahme sind die finanziellen Verpflichtungen. Die Schuldenfrage könne nur Etihad lösen, bekannte Spohr in Abu Dhabi, dem Heimathafen der Etihad-Flotte, wo er sich kürzlich im Gefolge von Kanzlerin Angela Merkel aufhielt.

Als geringeres Problem schätzt der Lufthansa-Boß die kartellrechtlichen Herausforderungen der Übernahme ein. AB ist immerhin die einzige deutsche Flugline, die Berlin direkt mit New York, Chicago, Florida oder Kalifornien verbindet. Auch ein Wegfall der AB-Mittelstrecken würde die deutschen Kunden hart treffen – aber im Zweifel zu LH und Eurowings treiben. Die EU, die bei Fusionen das entscheidende Wort hat, hat bereits in der Vergangenheit den Konkurrenten British Airways und Air France erlaubt, kleinere nationale Konkurrenten zu schlucken. Die Regelung der kartellrechtlichen Frage liege daher, so Spohr, in der Verantwortung des potentiellen Akquisiteurs, also der Lufthansa.

Offen ist, ob er seine Rechnung am Ende nicht doch ohne den Wirt, also ohne die arabische Mutter Etihad macht. Dort, in Abu Dhabi, bereitet der scheidende Etihad-Chef James Hogan die Strategie für seinen Nachfolger vor. Die Airline ist unter Druck; die anhaltend niedrigen Ölpreise haben das Flugaufkommen in den Golfstaaten deutlich sinken lassen. Seit die im Staatsbesitz befindliche Gesellschaft Kosten und Arbeitsplätze reduzieren muß, steht der Sinn nicht mehr nach teuren Stützungsaktionen für ausländische Beteiligungen.

Das durfte vorige Woche die mit drei Milliarden Euro verschuldete Etihad-Beteiligung Alitalia erfahren. Nachdem deren Beschäftigte per Urwahl ein Kostensenkungsprogramm abgeleht hatten, meldete die ursprünglich 1946 gegründete Alitalia Insolvenz an. Damit Italien nicht ohne Inlandsverbindungen dasteht und auch der Papst weiter auf Auslandsreise gehen kann, sprang vorerst der italienische Staat ein. Dabei ist es keine zwei Jahre her, daß Etihad verkündete, Alitalia zur europäischen Premiummarke auszubauen. Heute liegen die Kosten je Passagiermeile doppelt so hoch wie bei der boomenden Ryanair – und von Gewinn kann keine Rede sein.

Das Premiumkonzept ist krachend gescheitert. Wenn nun Etihad dennoch an AB festhält, dann nur, weil die Linie dem Hub in Abu Dhabi massig europäische Passagiere für die Routen nach Asien und Australien zuführt. Ein Fakt, um den die Golf-Konkurrenten Emirates und Qatar Etihad durchaus beneiden.

Geschäftsberichte von Air Berlin:  ir.airberlin.com