© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/17 / 12. Mai 2017

Ländersache
In neun Mundarten dagegen
Paul Leonhard

Die rot-rot-grüne Landesregierung will Thüringen neu gliedern. Statt bisher 17 soll es künftig acht Kreise und statt sechs kreisfreien Städten ab 2018 nur noch zwei geben. So sieht es der knapp ein Jahr alte Landtagsbeschluß vor, der gegenwärtig schon wieder Makulatur ist. Denn Innenminister Holger Poppenhäger (SPD) garantiert nicht nur Erfurt und Jena die Kreisfreiheit, sondern – nach Protesten – auch Weimar und Gera, obwohl diese die per Gesetz vorgeschriebenen Anforderungen nicht ansatzweise erfüllen.

Von den 2,2 Millionen Einwohnern ist ein lautes und kontroverses Stimmengewirr in neun regionalen Mundarten zu vernehmen. Territoriale Neuordnungen gibt es in Thüringen seit der Einführung der Verwaltungsebene „Landkreis“ 1815 ständig. Streit darüber auch.

1994 wurden die seit 1952 bestehenden Landkreise von der regierenden CDU quasi per Dekret auf 17 reduziert und die kreisfreien Städte durch Eingemeindungen vergrößert. Angesichts einer weiter schrumpfenden Bevölkerung – laut aktuellen Prognosen auf unter zwei Millionen 2030 – beschäftigten sich bisher alle Regierungen mit Plänen zu einer Kreisgebietsreform. Noch unter der Großen Koalition wurde der Vorschlag einer Expertenkommission vorgelegt, der prinzipiell den derzeitigen Zielen entsprach: acht Kreise mit mindestens 150.000 Einwohnern und zwei kreisfreie Städte mit jeweils mindestens 100.000 Einwohnern, also Erfurt und Jena

Ziele, an denen Rot-Rot-Grün festhalten wollte, nur unter den Vorzeichen von „Transparenz“ und bürgerlicher Mitbestimmung. Man sei offen für eine breite Debatte, hatte Poppenhäger Ende 2016 in seiner Regierungserklärung zur Gebietsreform verkündet: „Wir lassen uns gern von Argumenten überzeugen, wenn es bessere Argumente sind und wenn sie das Ziel im Blick haben, Thüringen stark zu machen und eine landesweit sinnvolle Gesamtstruktur zu schaffen.“

Aus der jeweiligen Sicht „bessere Argumente“ gibt es in allen Teilen des Freistaates. Die reichen bis zu einer zumindest gedanklichen Rückabwicklung aller bisherigen Kreisgebietsreformen, um sich stärker nach historisch gewachsenen Strukturen auszurichten, bis zur Aufteilung des Freistaates an die Nachbarländer.

Erboste Sozialdemokraten drohen damit, die Zusammenarbeit mit den Linkssozialisten aufzukündigen. Die Landes- und Fraktionschefin der Linkspartei, Susanne Hennig-Wellsow, kritisiert, daß auf der einen Seite wohlhabende und auf der anderen arme Landkreise fusionieren sollen. Heftig geht es in den Fraktionen zu, weil Landtagsabgeordnete um ihre politische Zukunft fürchten. Aber allen liegt wie Vize-Landtagspräsident Uwe Höhn (SPD), der dem Entwurf nicht zustimmen will, die „Entwicklung des Freistaates am Herzen“.

Trotzdem hält Poppenhäger an dem eng gesteckten Zeitplan fest. Nachdem das Kabinett dem vorgelegten Entwurf am 2. Mai grundsätzlich zugestimmt hat, soll das Gesetz zum Neuzuschnitt der Landkreise und kreisfreien Städte im Juni dem Parlament vorgelegt werden, auch wenn es noch Änderungen geben könne. Dort hat Rot-Rot-Grün nur eine Stimme Mehrheit. Im Dezember soll der Landtag über das Gesetz abstimmen, das zum 1. Juli 2018 in Kraft treten soll. Etwas mehr Zeit wird den Gemeinden für ihre Fusionen gegeben.