© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/17 / 05. Mai 2017

Der Druck der Islamisten nimmt stetig zu
Indonesien: Die Gouverneurswahl erschütterte die bis dato zumeist friedliche Koexistenz zwischen Muslimen und Christen bis ins Mark
Hinrich Rohbohm

Es ist ein Bild, das es in dieser Form in der Geschichte der Stadt Jakarta noch nicht gegeben hat. Unzählige Blumensträuße säumen das Gelände des Gouverneurssitzes. Sie sind zumeist an Schildern, Transparenten und Plakaten befestigt, auf denen Bürger der Stadt Sympathiebekundungen an Basuki Tjahaja Purnama geschrieben haben. Jenen nun aus dem Amt scheidenden Gouverneur Jakartas, den sie in der Stadt alle nur „Ahok“ nennen und mit dem besonders die christliche Minderheit Indonesiens große Hoffnung verband. 

Christlicher Kandidat „Ahok“ knapp geschlagen 

„Er hat unser Herz erobert“, sagt Indah Abigail, eine 31 Jahre alte Versicherungskauffrau aus der Stadt Semarang, in Zentral-Java. Seit zehn Jahren lebt und arbeitet sie in Jakarta. Furcht davor, daß Islamisten in der Stadt die Oberhand gewinnen könnten, hatte sie bisher nie. „Wir haben ja ‘Ahok’, der wird nicht zulassen, daß Extremisten hier ihren Haß verbreiten. Wir stehen hinter ihm“, sagt sie. Das war noch vor der entscheidenden Stichwahl, die Ahok am 19. April gegen den ehemaligen indonesischen Bildungsminister Anies Baswedan verlor. 

Gerade erst hatte er da die erste Wahlrunde mit 43 Prozent der Stimmen für sich entscheiden können. Trotz spürbar ansteigenden Drucks von Islamisten und trotz mehrfach erfolgter Brandanschläge auf Kirchen überwiegt zu diesem Zeitpunkt der Optimismus unter der christlichen Minderheit. Gemeinsam mit dem als liberal geltenden Staatspräsidenten Joko Wikodo habe Ahok viele positive Veränderungen herbeigeführt, sagt Indah. „Vor allem im Bereich der Bildung und Wissenschaft haben beide viel bewegt.“

Der Grund für die Zuversicht lag bisher vor allem an der Konsequenz, mit der Polizei und Armee gegen islamistische Gewalttäter vorgegangen waren. „Wir haben großes Vertrauen in die Arbeit, die Densus 88 und Kopassus betreiben“, betont Indah. 

Densus 88 ist eine gut ausgebildete Anti-Terror-Einheit der Polizei, Kopassus eine Spezialeinheit des Militärs. Gegenüber der JF ist ein Mitarbeiter von Densus 88 bereit zu reden – über den täglichen Kampf der Einheit gegen den stetig zunehmenden islamischen Extremismus im Land. Wir treffen ihn im Grand Indonesia, einem Einkaufszentrum in der Stadtmitte von Jakarta. 

Daß das Gespräch mit ihm keine Selbstverständlichkeit ist, macht der Mann, der seinen Namen nicht nennt, schnell klar. „Wir reden nach außen nicht viel über unsere Arbeit“, beginnt er zu erzählen. „Schnell und lautlos“ agiere seine Einheit bei Operationen. Erst vor kurzem habe sie einen Anschlag auf den Präsidentenpalast vereiteln können. „Hinter dem Anschlagsversuch steckte der IS. Aber wir kannten dessen Pläne bereits.“ 

Woher und wie sie davon erfuhren, will der Mann nicht verraten, um Mitarbeiter nicht zu gefährden. Auch auf das Einkaufszentrum Plaza Senayan in der Nähe des großen Stadions von Jakarta sei ein Anschlag geplant gewesen. Auch er sei von Densus 88 vereitelt worden. Schon seit längerem beobachte seine Einheit die Zunahme islamistischer Aktivitäten in der Stadt. 

Islamisten erobern mehr und mehr Terrain 

Voriges Jahr hatte ein IS-Terrorkommando seinen ersten Anschlag in Indonesien durchgeführt. Das Ziel: ein Einkaufszentrum am Sarinah Place. Sieben Menschen starben. Die Täter griffen dabei auch eine Polizeistation am Sarinah Place an, erschossen mehrere Polizisten. Zwei Selbstmordattentäter sprengten sich in die Luft, drei weitere Terroristen wurden von der Polizei getötet, als sie Bomben werfen wollten. Die Polizei sprach davon, das Vorgehen ähnele stark den Pariser Terrorattacken vom 13. November 2015. Scharfschützen rückten an. In den umliegenden Bürohäusern durften Tausende Menschen die Gebäude mehrere Stunden lang nicht verlassen. 

Der Anschlag war von langer Hand geplant. Als Drahtzieher fungierte der Dschihadist Bahrun Naim, der sich 2014 dem Islamischen Staat angeschlossen hatte und dessen Aufenthalt die indonesischen Sicherheitsbehörden in Syrien vermuten. „Naim ist uns schon seit 2010 bekannt“, verrät der Densus-88-Mann. Er habe in Verbindung zu Abu Wardah, dem ehemaligen Führer der Mudschaheddin von Timor gestanden, der wiederum eng mit dem sogenannten Islamischen Staat zusammenarbeitete. 

Zentrales Haßobjekt der Islamisten sei Ahok. Daß mit dem ehemaligen indonesischen Bildungsminister Anies Baswedan nun ein Kandidat für das Gouverneursamt ins Rennen geschickt wurde, der enge Verbindungen zu radikalen Moslems unterhält, sei für den Densus-Mann „absehbar“gewesen. „Die Islamisten wollen in Jakarta die Scharia durchsetzen. Ahok als Christ und dazu noch chinesischer Herkunft im Amt des Gouverneurs ist in deren Augen nicht nur eine Provokation, sondern auch Blasphemie.“ 

Aufgrund des Vorwurfs der Blasphemie muß sich Ahok seit Dezember vorigen Jahres auch vor Gericht verantworten. Islamisten werfen ihm vor, den Koran beleidigt zu haben. Sie organisierten Massendemonstrationen gegen ihn, zu denen bis zu 200.000 Menschen kamen. „Tötet den Ungläubigen“ hatten sie auf ihre Plakate geschrieben. Islamisten hatten an einer Brücke ein Transparent mit der Aufschrift „An dieser Stelle soll der christliche Gouverneur gehenkt werden“ angebracht. 

Auch im Alltagsleben ist der religiöse Fanatismus in der indonesischen Hauptstadt inzwischen spürbar. „Islamisten hatten den Zugang zur Gereja-Kathedrale blockiert“, erinnert sich die Lehrerin Nathasya. Sie habe in den Gottesdienst gehen wollen. Die Männer hätten sie haßerfüllt angesehen. „Indonesien ist ein muslimisches Land, diese Gottesdienste hier sind Blasphemie“, riefen sie ihr zu. 

Die Kirche setzt auf Versöhnung

Die Kirche versucht, mit versöhnlichen Gesten zu reagieren. Sie hat Transparente aufgehängt, auf denen sie dafür wirbt, daß Indonesien ein Land der religiösen Vielfalt sei. „Laßt alle Völker und Religionen unseres Landes friedlich zusammenarbeiten“ steht auf ihnen geschrieben. Trotz der jüngsten Blockaden ist der Andrang zum Gottesdienst groß. Plastikstühle werden herbeigeschafft und selbst draußen vor der stark besuchten Kathedrale aufgestellt, damit jeder am Gottesdienst teilnehmen kann. 

Gegenüber auf der anderen Straßenseite befindet sich die Unabhängigkeitsmoschee, die größte islamische Gebetsstätte der Stadt. „Die Ironie ist, daß sie von einem christlichen Architekten entworfen wurde“, erklärt Nathasya. Zu Zeiten, als die religiösen Spannungen noch nicht so gravierend waren.

Das könnte sich nun deutlich ändern. Baswedan ist nicht nur Muslim, sondern ließ sich im Wahlkampf auch von islamistischen Gruppierungen unterstützen. Nach dem Wahlsieg hatte er bereits angekündigt, in Jakarta künftig die Scharia-Gesetzgebung anzuwenden. Distanzierungen von den Todesdrohungen gegen seinen Kontrahenten Ahok hatte er nicht vorgenommen. Im Gegenteil: Während des Wahlkampfs besuchte er auch die „Front zur Verteidigung des Islams“, eine der gefährlichsten islamistischen Schlägergruppen. 

Ein Mann dürfte einen nicht unerheblichen Anteil am Erfolg Baswedans haben: der chinesischstämmige Geschäftsmann Harry Tanoesoedibyo, bei den Indonesiern kurz Hari Tanoe genannt. Der Milliardär, dem mehrere Fernsehsender des Landes gehören, soll eine Schlüsselrolle in Baswedans Wahlkampf gespielt haben. Gerüchten zufolge habe man ihm im Gegenzug geschäftliche Vorteile zugesichert. Auch ist davon die Rede, daß Hari Tanoe selbst das Amt des Staatspräsidenten anstrebe. 

„Wenn Baswedan gewinnt, müssen wir mit dem Schlimmsten rechnen“, hatte Indah noch vor der Stichwahl der JF gesagt. „Das bedeutet dann mehr Christenverfolgungen, mehr brennende Kirchen, mehr Korruption.“ Sie könnte damit recht behalten.