© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/17 / 05. Mai 2017

Mehr Bier als Bambule
Bilanz des 1. Mai: Die befürchteten linksextremen Krawalle blieben aus – dennoch gab es zahlreiche verletzte Polizisten / Revoluzzer frustriert über Partymacher
Martina Meckelein

Drei schwarz gekleidete, alternde Linksextreme, zwei Männer und eine Frau, sitzen, Resignation im Blick, um 22 Uhr auf einem Bordstein am Kottbusser Tor („Kotti“) in Berlin. An ihnen ziehen junge Frauen, Familien mit Kindern, tanzende Männer vorbei, lachen, trinken Sekt, feiern. Die einen wollen Party machen und das Leben genießen, die anderen eine „bessere Welt“ und „den scheiß Bullen stundenlang Steine zum Fressen“ geben. So steht es auf einer Matratze zu lesen, die am Straßenrand liegt und sicherlich nicht zum „Chillen“ dort deponiert worden ist. Die Spaßgesellschaft und die Linksextremisten – sie werden wohl niemals mehr gute Freunde. 

Zum 1. Mai, dem Tag der Arbeit, waren bundesweit Zigtausende Polizisten im Einsatz. Berlin, Hamburg, Apolda, Stuttgart – der revolutionäre 1. Mai ist ein „Muß“ für jeden Revoluzzer, ob links ob rechts. Im Vorfeld wurde viel spekuliert und gewarnt vor „Übungsdemos“ für den G20-Gipfel in Hamburg und Radikalen-Feiern zur 30jährigen Wiederkehr des Linken-Demo-Terrors in Kreuzberg 1987.

Am Dienstag bilanzierte Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) die 1.-Mai-Demonstration. Rund 10.000 Demonstranten standen 5.200 Polizisten unter anderem aus Bayern und Hannover gegenüber. 72 Linksextremisten und Randalierer wurden festgenommen, unter anderem wegen Landfriedensbruch, gefährlicher Körperverletzung und Widerstands. 32 Polizeibeamte wurden im Einsatz verletzt. 

„Entschlossen und klassenkämpferisch“

Offensichtlich hatten sich die Linksradikalen mit ihrer Planung, eine nichtangemeldete Demonstration durch das alljährlich stattfindende „Myfest“ in Kreuzberg ziehen zu lassen, verrechnet. Geisel zufolge sei deutlich geworden, daß viele Menschen keine Lust mehr auf Steineschmeißer und dumpfe Gewalt hätten. So wie der Berliner SPD-Abgeordnete Tom Schreiber (JF 4/16). Er wurde schon 2015 zum „Haßobjekt der linksextremistischen Szene“. Denn Schreiber regt sich nicht nur über rechtsextremistische Gewalt auf, sondern ebenso über die von Linksextremisten und forderte ein härteres Vorgehen gegen Szene im Friedrichshainer Kiez um Rigaer Straße und Liebigstraße. 

Am Montag nun wurde er Opfer von Linksradikalen, wie er auf dem Kurznachrichtendienst Twitter schreibt: „Leider gab es einen versuchten Angriff gegen meine Person. Ich wurde gezielt angegriffen.“

Im thüringischen Apolda hingegen machten Angehörige der rechtsextremen Szene ihrer Frustration Luft. Sie hatten nämlich zuvor bei einer angemeldeten Demo in Halle nicht mitmachen dürfen. 300 Personen wurden im Zug von der Bundespolizei begleitet, 150 stiegen in Merseburg aus, der Rest fuhr weiter nach Apolda. Kurz vor 16 Uhr stiegen sie dort am Bahnhof aus und vermummten sich, zündeten Pyrotechnik und griffen die vor Ort befindlichen Polizisten mit Flaschen- und Steinwürfen an. „103 Personen wurden vorläufig festgenommen“, sagte Polizeisprecherin Steffi Kopp der JUNGEN FREIHEIT. Gegen sie liegen Anzeigen wegen Landfriedensbruch, Sachbeschädigung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte vor.

Was die Linksradikalen vom Deutschen Gewerkschaftsbund halten, unter dessen Fahnen sie gerne segeln, ist auf der Internetplattform indymedia als Fazit zum 1. Mai in Stuttgart zu lesen: „Der antikapitalistische Block ist mittlerweile zu einem wichtigen Bestandteil auf der DGB-Demo geworden. Nicht nur klare Forderungen, sondern auch ein entschlossenes Auftreten tragen einen wichtigen klassenkämpferischen Ausdruck auf die sonst eher undynamische und politisch wenig aussagekräftige DGB-Demo.“ Was unter entschlossenem Auftreten zu verstehen ist, liest sich im Polizeibericht so: Abbrennen von Pyrotechnik und: „Eine 22 Jahre alte Polizeibeamtin erhielt von einem unbekannten Demonstrationsteilnehmer offenbar mit einem Holzstock einen Schlag in den Unterleib und wurde dadurch verletzt.“

In Hamburg demonstrierten erst 8.000 auf der DGB-Veranstaltung unter dem Motto: „Wir sind viele, wir sind eins“ am Fischmarkt, später stand fast jedem Demonstranten ein Polizist gegenüber: 2.500 Linke und Linksradikale gegen 2.100 Polizeibeamte. Der Innensenator hatte aufgerüstet – 500 Beamte mehr als im Vorjahr für das Schanzenviertel, einen Brennpunkt der entsprechenden Szene. Fast 50 mutmaßliche Randalierer seien festgesetzt worden, sagte ein Polizeisprecher am Montag. 20 Personen wurden demnach fest- und 28 in Gewahrsam genommen. 14 Polizisten seien verletzt worden, keiner von ihnen schwer. 

Polizeisprecher Timo Zill sagte, es sei vielleicht einer der ruhigsten Einsätze am 1. Mai seit Jahren gewesen. Das nächste Stelldichein der Linksradikalen und der Polizei wird in Hamburg am 7. und 8. Juli sein: zum G20-Gipfel.